Israel muss sich erstmals vor dem Internationalen Gerichtshof einer Klage wegen des Vorwurfs des Völkermords stellen - während es gleichzeitig den Einsatz seiner Armee in der Stadt Chan Junis im südlichen Gazastreifen ausweitet.
Vor dem höchsten UN-Gericht in Den Haag begann eine Anhörung zu der Klage, in der Südafrika Israel vorwirft, im Gaza-Krieg systematisch völkermörderische Handlungen gegen die Palästinenser begangen zu haben. In einem Eilverfahren fordert Südafrika einen sofortigen Rechtsschutz für die Palästinenser. Demnach sollen die Richter das Ende der militärischen Handlungen anordnen.
Die israelische Armee weitete indes eigenen Angaben zufolge ihre Einsätze in Chan Junis im Süden des Gazastreifens über und unter der Erde aus, wo sie die Führungsriege um den regionalen Hamaschef Jihia al-Sinwar vermutet. Bisher seien allein im Bereich von Chan Junis mehr als 300 Tunneleingänge und mehr als 100 Tunnel zerstört worden, teilte das Militär mit. Dabei habe man auch Terroristen getötet.
Netanjahu: «In Übereinstimmung mit internationalem Recht»
In dem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof wird Israel am Freitag seine Position darlegen. Kurz vor Beginn der Anhörung wies Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erneut alle Vorwürfe zurück: «Israel kämpft gegen Hamas-Terroristen, nicht gegen die palästinensische Bevölkerung, und wir tun dies in voller Übereinstimmung mit dem internationalen Recht.»
Der UN-Gerichtshof soll über Konflikte zwischen Staaten entscheiden. Eine Entscheidung, zunächst nur über den Eilantrag zur Einstellung des Militäreinsatzes, wird in den nächsten Wochen erwartet. Ein Verfahren in der Hauptsache, dem Völkermord-Vorwurf, kann Jahre dauern.
Neben Israel sehen auch die USA, Großbritannien und die Bundesregierung keinerlei Grundlage für die Klage Südafrikas. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sagte bei einem Besuch in Israel, er habe jede Empathie mit Menschen, die im Gazastreifen litten und «durch diese fürchterliche Auseinandersetzung» Familien und Kinder verlören.
Israel wisse, dass es so nicht weitergehen könne, sagte Habeck mit Blick auf das Vorgehen der Streitkräfte. «Aber Völkermord ist etwas anderes, es ist das gezielte Auslöschenwollen von Ethnien oder religiösen Gemeinschaften, das gezielte Auslöschen.» Habeck verlangte bei seinem Besuch von der israelischen Regierung zugleich, mehr für den Schutz von Zivilisten im Gazastreifen zu tun.
Infolge der israelischen Militäreinsätze sind nach jüngsten Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde seit Kriegsbeginn 23 469 Menschen getötet worden. Die Zahlen lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen. Israel beruft sich auf sein Recht auf Selbstverteidigung nach den blutigen Angriffen der Terrororganisation Hamas und anderer Extremisten am 7. Oktober 2023. Dabei waren rund 1200 Menschen getötet und etwa 250 aus Israel entführt worden, von denen bislang etwa die Hälfte wieder freigelassen wurde.
Armee: Sinwar in Tunnel vermutet
Die Führung der Hamas um Jihia al-Sinwar wird im Tunnelnetzwerk im Bereich von Chan Junis vermutet. Israelische Medien hatten zuletzt berichtet, Israel wisse zwar, wo Al-Sinwar sich versteckt halte. Man habe bisher aber nicht angegriffen, weil der Hamas-Chef sich mit Geiseln umgeben habe, die ihm als menschliche Schutzschilde dienten. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Hisbollah: Haben nur «winzigen Teil» unserer Fähigkeiten gezeigt
Die Hisbollah im Libanon hat nach eigenen Angaben seit Ausbruch des Gaza-Krieges und der Gefechte an der Grenze zu Israel nur einen Bruchteil ihrer Fähigkeiten gezeigt. Der Vize-Vorsitzende des Exekutivrats, Ali Damusch, sagte in einer verbreiteten Erklärung auf Telegram: «Der Widerstand hat bei seinen Operationen nur einen winzigen Teil seiner Fähigkeiten - nämlich Waffen, Raketen und Fachkenntnisse - eingesetzt.» Er fügte hinzu: «Wenn der Feind uns jedoch den Krieg aufzwingt, werden wir ihm all unsere Fähigkeiten und unsere Macht zeigen.»
Damusch äußerte sich kurz vor der Ankunft des US-Gesandten und Vermittlers Amos Hochstein in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Amos soll zu Verhandlungen zu einem möglichen Waffenstillstand an der israelisch-libanesischen Grenze in den Libanon gereist sein, wie es aus Regierungskreisen hieß.
Ägypten und USA wollen sich im Gaza-Krieg weiter «intensiv beraten»
Nach Angaben des ägyptischen Präsidialamts wollen die Regierungen Ägyptens und der USA im Gaza-Krieg weiter «intensiv» über Wege zu einer Entspannung beraten. Nach einem Treffen von Präsident Abdel Fattah al-Sisi mit US-Außenminister Antony Blinken in Kairo hieß es, beide hätten sich darauf verständigt, auf eine Beruhigung hinzuwirken. Eine Zwangsvertreibung der Palästinenser sei vollständig abzulehnen, hieß es in der Mitteilung aus Kairo weiter.
Blinken war im Zeichen des Nahost-Kriegs seit einer Woche erneut in der Region unterwegs mit Stopps unter anderem in mehreren Golf-Ländern, Jordanien und Israel.
IfW: Angriffe im Roten Meer lassen Frachtmengen dort einbrechen
Die Angriffe auf Handelsschiffe im Roten Meer hinterlassen deutliche Spuren im weltweiten Containerverkehr auf See. «Die dort transportierte Menge an Containern brach um über die Hälfte ein und liegt aktuell fast 70 Prozent unter dem eigentlich zu erwartenden Aufkommen», berichtete das Kiel Institut für Wirtschaftsforschung (IfW).
Die Umleitung von Schiffen um das Kap der Guten Hoffnung in Afrika führe dazu, dass sich die Zeit für den Transport von Waren zwischen den asiatischen Produktionszentren und den europäischen Verbrauchern deutlich um bis zu 20 Tage verlängert, sagte der Handelspolitik-Experte Julian Hinz. Folgen für die Verbraucherpreise in Europa erwartet Hinz allerdings nicht.
Seit Ausbruch des Gaza-Krieges greifen die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen immer wieder Schiffe mit angeblich israelischer Verbindung im Roten Meer an. Große Reedereien meiden zunehmend die Route. Etwa zehn Prozent des Welthandels laufen über das Rote Meer. Der UN-Sicherheitsrat in New York forderte am Mittwoch (Ortszeit) per Resolution eine «sofortige Einstellung» der Angriffe der Huthi-Rebellen auf Handelsschiffe im Roten Meer. Elf Länder stimmten dafür - Russland, China, Algerien und Mosambik enthielten sich.
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