Angriff statt Defensive: Grüne schalten in Wahlkampf-Modus
An der Ampel-Koalition haben die Grünen leise gelitten, gelegentliche Ausbrüche ausgenommen. Das ist vorbei. Die neuen klaren Ansagen haben mit dem Europawahl-Schock zu tun - aber nicht nur.
An der Ampel-Koalition haben die Grünen leise gelitten, gelegentliche Ausbrüche ausgenommen. Das ist vorbei. Die neuen klaren Ansagen haben mit dem Europawahl-Schock zu tun - aber nicht nur.
Rund ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl läuten die Grünen den Wahlkampf ein. «Für uns ist klar: So geht es in einer künftigen Regierung nicht weiter», sagte die Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge der «Süddeutschen Zeitung» (SZ). «Bedingung für eine Regierungsbeteiligung der Grünen wird sein, dass die Partner respektvoll, vertrauensvoll, verbindlich und kollegial miteinander umgehen.»
Umgeschaltet auf Attacke
Mit anderen Worten: All das lässt sich über die aktuelle Koalition aus SPD, Grüne und FPD nicht sagen. Es ist eine Bankrotterklärung, und sie reiht sich ein in eine Serie ähnlicher Äußerungen aus den vergangenen Tagen. Die Partei, die bei internen Konflikten den Ball meist begütigend flach hielt, hat umgeschaltet auf Attacke.
So nannte Parteichef Omid Nouripour die Ampel-Regierung im ARD-Sommerinterview «eine Übergangskoalition nach der Ära Merkel» und beklagt eine «befremdliche Lust» am Streit. Die Wortwahl ist kein Zufall, die «Übergangs»-Formulierung fällt in ähnlicher Form gleich zwei Mal. Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, sagte «Bild»: «Es erschwert die Situation, wenn sich ein Partner öffentlich ständig gegen die eigene Koalition profiliert.»
Die Bundestagswahl wirft lange Schatten
Mit den kurz bevorstehenden Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist das nicht erklärbar - hier ist für die Grünen ohnehin wenig zu holen. Nein, Grund ist die Bundestagswahl, die beginnt, sehr frühe Schatten zu werfen. Der reguläre Wahltermin liegt im September kommenden Jahres. Ein wichtiges Grünen-Mitglied nennt mehrere Gründe für den kommunikativen Kurswechsel.
Da ist zunächst Robert Habeck, noch nicht gekürter, aber inzwischen nahezu unausweichlicher Spitzenmann für die Grünen im nächsten Wahlkampf. Er übt mittlerweile sehr deutliche Kritik an der FDP.
Zuletzt kritisierte er, dass Teile der Gutachten zum Haushaltsentwurf in der Sommerpause öffentlich wurden - wofür Christian Lindner verantwortlich ist. «So ein Vorgehen führt immer dazu, dass jemand das Gesicht verlieren könnte oder seine Interpretation zurücknehmen muss», merkte Habeck in den Zeitungen der Funke Mediengruppe spitz an, ohne den Finanzminister beim Namen zu nennen.
Lieber Klartext als Schönreden
Das Gezerre um den Haushalt, der mühsame Kompromiss, der noch einmal nachverhandelt werden musste, das ist mindestens einer der Tropfen, der das Fass für die Grünen zum Überlaufen bringt. Zudem sitzt der Partei das desaströse Ergebnis der Europawahl in den Knochen. Sowohl Anhänger als auch Bürger wollten lieber, dass Probleme beim Namen genannt statt schöngeredet werden, heißt es. Und es könne helfen in Sachen Glaubwürdigkeit, das frühzeitig zu tun.
Trotz aggressiverer Wortwahl ist nicht davon auszugehen, dass die Grünen die Ampel-Reißleine ziehen und aussteigen. Das widerspricht dem staatstragenden Selbstverständnis der Partei, erst recht angesichts der US-Wahlen im November. Ein möglicher Wahlsieg Donald Trumps würde nicht zuletzt Unsicherheit auslösen bei der weiteren westlichen Unterstützung der Ukraine, die den Grünen sehr wichtig ist.
Habeck warnte die Ampel-Parteien davor, ein vorzeitiges Aus der Koalition zu riskieren. «Ein leichtfertiges Spielen mit Neuwahl verbietet sich», sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Nicht umsonst stehe im Grundgesetz, dass ein Bundestag für vier Jahre gewählt wird.
Offenheit zur Union
So unerquicklich das aktuelle Bündnis mit SPD und insbesondere FDP für die Grünen ist, die Zukunft halten sie sich offen. «Wir werden sehr genau prüfen, welche Koalition wir nach der nächsten Bundestagswahl eingehen», betonte Fraktionschefin Dröge. Und mit Blick auf ihre vier Erwartungen an eine neue Regierung (respektvoll, vertrauensvoll, verbindlich und kollegial): «Das kann auch bei der FDP und SPD erfüllt sein. Aber es sind auch andere Konstellationen und Koalitionen denkbar – auch mit der CDU.» Es müsse sich zeigen, welche Mehrheiten möglich seien.
Auch Parteichef Nouripour deutete seine Bereitschaft für neue Konstellationen an. «Wir müssen nach der Bundestagswahl offen sein, natürlich kann man nichts ausschließen», sagte er der SZ. «Auch weil die Veränderungen in der Parteienlandschaft Dreierkonstellationen wahrscheinlicher machen. Die Voraussetzung dafür ist, dass alle bereit sind, die Verantwortung, die sie übernehmen, auch auf Dauer zu tragen und Entscheidungen nicht ständig aufzumachen.»
Von Martina Herzog, dpa
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