Ein Angeklagter hat sich in Stuttgart erstmals zu den Vorwürfen geäußert.
Bernd Weißbrod/dpa-Pool/dpa
Ein Angeklagter hat sich in Stuttgart erstmals zu den Vorwürfen geäußert.
«Reichsbürger»-Prozess

Angeklagter distanziert sich von Verschwörungstheorien

Der Erste, der redet, will mit den «Reichsbürger»-Thesen nicht viel zu tun gehabt haben: Ein 55-jähriger Ingenieur spricht im Terrorprozess um Prinz Reuß von Krisenvorsorge und Nachbarschaftshilfe.

Als der Mann mit dem lichten Haar aus seinem Leben erzählt, zeichnet er ein bodenständiges, aber auch etwas schillerndes Bild. Der 55-Jährige ist im Terror-Prozess gegen Mitstreiter von Heinrich Prinz Reuß vor dem Oberlandesgericht Stuttgart der erste Angeklagte, der sich zu den Vorwürfen äußert.

Er stellt sich als harmloser Computerschrauber dar, als ein Tüftler und Wehrdienstverweigerer, der sich politisch eher links verortet und schon die Grünen gewählt hat. Einen Schamanismus-Lehrgang hat er auch absolviert. Mit Gewalt jedenfalls will er nichts zu tun haben. «Ich habe keine Affinität zu Waffen», sagt er. «Ich habe ja mit Camouflage-Klamotten schon Schwierigkeiten.» Trotzdem traf er sich nach eigenen Angaben mit den Männern der mutmaßlichen Terroristengruppe, der blutige Putschpläne vorgeworfen werden.

«Wolf» in der Gruppe und Schaf vor Gericht

Von den Verschwörungstheorien der «Reichsbürger» und von den Umsturzplänen distanziert sich der angeklagte Ingenieur deutlich. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, die IT-Infrastruktur für die Gruppe geplant und aufgebaut und etwa Laptops beschafft zu haben. Sein selbst gewählter Spitzname in der Gruppe: «Wolf». Vor Gericht präsentiert er sich aber als Schaf.

Der Prozess ist der erste von drei Mammutverfahren gegen die mutmaßliche Verschwörergruppe um Prinz Reuß. Die insgesamt 26 Angeklagten sollen einen gewaltsamen Umsturz geplant haben. Als Oberhaupt einer neuen Staatsform hätte laut Anklage Reuß fungieren sollen. Auch Ex-Soldaten gehören zu den Beschuldigten.

In Stuttgart geht es vor allem um den militärischen Arm der Gruppe, der die Machtübernahme mit Waffengewalt hätte durchsetzen sollen. Dazu ist laut Anklage schon mit dem Aufbau von mehr als 280 militärisch organisierten Heimatschutzkompanien begonnen worden. Der Präsident des Oberlandesgerichts, Andreas Singer, sprach im Vorfeld von einem der größten Staatsschutzverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik.

Der Angeklagte wollte Beitrag zu Zivilschutz leisten

Der angeklagte Ingenieur berichtet, man habe ihn kontaktiert, weil mehrere Leute Heimatschutzkräfte hätten aufbauen wollen für den Fall eines Systemzusammenbruchs. Dafür habe man einen IT-ler gebraucht. Er habe einen Beitrag zum Zivilschutz leisten und Menschen vernetzen wollen. Aber mit den Narrativen rund um einen angeblichen «Tag X» oder eine internationale politische «Allianz» habe er nichts zu tun gehabt. Er höre bei sowas lediglich gerne lange zu, sagt er, «auch wenn es für viele andere daneben klingt».

Der Angeklagte beschreibt seinen ausgeprägten Hang zur Krisenvorsorge. Bereits sein Vater, ein Kriegsveteran, habe stets «Extremvorsorge» betrieben und einst etwa ein Angebot eingeholt für einen kleinen Atomschutzbunker im Garten, berichtet der Mann. Ihn selbst habe das Thema Stromausfälle sehr beschäftigt.

«Warum-Kind» hinterfragt Aktionen der Reuß-Gruppe nicht

Vor Gericht stellt er sich als neugierigen Naturwissenschaftler dar, der den Dingen stets auf den Grund gehen müsse, als «Warum-Kind». Er habe sich in den vergangenen Jahren für «digitale Souveränität» und gegen «Überwachungskapitalismus» durch große Tech-Firmen eingesetzt, wollte demnach für die Menschen in seiner Heimat eine Dorfcafé-Plattform schaffen. Dass es bei Treffen mit den anderen mutmaßlichen Strippenziehern der Reuß-Gruppe um den Einsatz von Waffen ging oder ihm ein Wehrpass-Muster der «neuen Deutschen Armee» zugeschickt wurde, will das «Warum-Kind» aber nicht hinterfragt haben.

Der Angeklagte unterzeichnete Verschwiegenheitserklärung

Bereits bei einem frühen Treffen mit einer Verbindungsperson zur Reuß-Gruppe sei ihm eine Verschwiegenheitserklärung vorgelegt worden im Zusammenhang mit der mutmaßlich geplanten «Reaktivierung Deutschlands» - inklusive Androhung der Todesstrafe bei Zuwiderhandlung. 160 Personen sollen die Erklärung insgesamt unterzeichnet haben. Der Angeklagte berichtet, dass er über die Drohung gelacht habe. Gerade deshalb habe er sie unterschrieben. Er habe sich gedacht: «Wenn sie mich umbringen, dann haben sie halt auch keine IT.»

Die Gruppe wollte den Ermittlern zufolge zudem mit Fragebögen durch Ortschaften ziehen, um Anhänger anzuwerben. Der 55-Jährige sollte die Bögen demnach bearbeiten. Darin wurde zunächst der Covid-Impfstatus abgefragt, dann persönliche Daten, dann die eigene Erfahrung mit Waffen und die «Kontakte zu Behörden der BRD». Auch das interessierte den Angeklagten nach seinen Worten nicht weiter. Mit Blick auf die Vertreter der «Reichsbürger»-Ideologie spricht er vor Gericht vom «Schwurbelkreis». Er räumt aber ein, einen Tag vor dem «Tag X» noch Fernwartungssoftware auf die Rechner gespielt zu haben.

Richter: Argumentation nicht komplett nachvollziehbar

Der Richter macht keinen Hehl daraus, dass er die Argumentation des Angeklagten nicht durchgängig nachvollziehen kann. Er habe sich doch als Mensch dargestellt, der studiert habe, der sich mit Kommunikation beschäftige, der «immens nachdenkt», so Richter Joachim Holzhausen. Der Ingenieur argumentiert hingegen mit seiner angeblich katastrophalen Allgemeinbildung, vor allem in Geschichte und Politik, und damit, dass er sich nur mit Dingen befasse, die eine Auswirkung auf sein Leben hätten. «Ich habe mich mit den ganzen Themen nicht beschäftigt.» Bis zum rechtskräftigen Urteil gilt jedenfalls die Unschuldsvermutung.

Von Nico Pointner, dpa
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