Die AfD-Fraktion kämpft vor dem Bundesverfassungsgericht um die Vorsitze in mehreren Bundestagsausschüssen.
Uli Deck/dpa
Die AfD-Fraktion kämpft vor dem Bundesverfassungsgericht um die Vorsitze in mehreren Bundestagsausschüssen.
Verfassung

AfD kämpft in Karlsruhe um Posten als Ausschussvorsitzende

Früher wurden Posten im Bundestag nach einer Wahl meist ohne großes Aufsehen verteilt. Seit die AfD im Plenum sitzt, ist das anders. Nun verhandelt das höchste deutsche Gericht dazu.

Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob die AfD-Fraktion ein Recht auf Vorsitzende in Bundestagsausschüssen hat und ob ihre Abgeordneten von einem solchen Amt abgewählt werden dürfen.

Zum ersten Mal befasste sich das höchste deutsche Gericht nach Auskunft von Vizepräsidentin Doris König mit Fragen der Wahl und Abwahl von Ausschussvorsitzenden. Hintergrund sind zwei Klagen der AfD-Fraktion. In der Verhandlung in Karlsruhe ging es viel um Fairness, Vertrauen und die Frage, welchen Hut ein Politiker wann aufhat - und ob das für jeden und jede erkennbar ist.

In den Ausschüssen sitzen Abgeordnete aus den im Bundestag vertretenen Parteien. Sie beraten Fachthemen und bereiten Beschlüsse im Plenum vor. Die Ausschüsse werden in jeder Wahlperiode neu benannt und besetzt. Welche Fraktion welchem Ausschuss vorsitzt, wird eigentlich im Ältestenrat ausgehandelt.

AfD-Kandidaten fielen durch

Gibt es - wie nach der Bundestagswahl im September 2021 - keine Einigung, wird aus der Stärke der Fraktionen eine Zugriffsreihenfolge berechnet. Nach dieser dürfen sich die Fraktionen im Wechsel Ausschüsse aussuchen. An die AfD waren so der Innen- und der Gesundheitsausschuss sowie der Ausschuss für Entwicklungszusammenarbeit gefallen.

Üblicherweise benennen die Fraktionen dann den Vorsitz - nur bei Widerspruch wird gewählt. Entsprechend gab es in den drei Ausschüssen zweimal geheime Wahlen - und beide Male verfehlten alle drei AfD-Kandidaten die erforderliche Mehrheit deutlich.

Die AfD-Fraktion moniere daher den «Bruch einer jahrzehntelangen Parlamentspraxis», sagte König. Es gehe ihr um eine faire und loyale Anwendung der Bundestags-Geschäftsordnung. Dort ist geregelt, dass Ausschüsse ihre Vorsitzenden «bestimmen». (Az. 2 BvE 10/21)

Die Antragsgegner - der Bundestag, dessen Präsidentin und die betroffenen Ausschüsse - sind König zufolge hingegen der Auffassung, die AfD-Fraktion habe keinen Anspruch auf unmittelbare Entsendung eines Ausschussvorsitzenden. Auch die Möglichkeit zur Abwahl eines Vorsitzenden sei durch das Demokratieprinzip unmittelbar geboten.

Beispiellose Abwahl von AfD-Politiker

Bei der Abwahl geht es um die zweite Klage der AfD zur Abwahl Stephan Brandners als Vorsitzender des Rechtsausschusses im November 2019, die mitverhandelt wird (Az. 2 BvE 1/20). Der AfD-Politiker war nach mehreren selbst ausgelösten Eklats abberufen worden - ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des Bundestags.

Brandner hatte zum Beispiel die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den AfD-kritischen Rocksänger Udo Lindenberg auf dem Kurznachrichtendienst Twitter (heute: X) mit der Bemerkung «Judaslohn» kommentiert. Auch mit seinen Reaktionen auf den antisemitisch motivierten Terroranschlag von Halle mit zwei Toten und Verletzten löste er Empörung aus.

Das Verfassungsgericht hatte in beiden Fällen Eilanträge abgelehnt, aber betont, Rechte der Fraktion könnten verletzt sein. Daher wurde nun über beide Klagen gemeinsam verhandelt. Ein Urteil des Zweiten Senats wird erst in einigen Monaten erwartet.

Eine Frage von Fingerspitzengefühl und Hüten

«Die Ausschussvorsitzenden genießen ein besonderes Vertrauen der Fraktionen», sagte der SPD-Abgeordnete Johannes Fechner in der Verhandlung. Sie sollten bei Konflikten vermitteln, aber keine Parteipolitik machen. Daher sei es wichtig, dass es qualifizierte Personen seien. FDP-Politiker Stephan Thomae sagte, das Amt sei typisch für Abgeordnete mit viel Erfahrung im Bundestag, nicht typischerweise aber ein Oppositionsinstrument.

Irene Mihalic von den Grünen betonte, die Vorsitzenden verträten nach außen den Ausschuss als Ganzes und nicht die Politik einer bestimmten Fraktion. Wer in dieser Funktion etwa von Verbänden eingeladen werde, dürfe sich nicht einen anderen Hut aufsetzen. Thomae sagte, dass es viel Fingerspitzengefühl brauche, um die Rollen als Parteipolitiker und Ausschussvorsitzender zu trennen. Man werde nicht zum «politischen Neutrum», dürfe aber nicht zu sehr polarisieren. Den Aussagen zufolge war Brandner das nicht gelungen.

Politiker wie auch der Senat äußerten jedoch Zweifel, ob die Trennung der Rollen in der Öffentlichkeit immer nachvollziehbar sei - da etwa Fernsehsender in Diskussionsrunden eher nur die Parteizugehörigkeit einblenden. Der Bevollmächtigte der AfD, Prof. Michael Elicker, verwies in dem Zusammenhang auf die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Deren Prominenz sei kaum zu übertreffen, sagte Elicker. Und diese habe sie seines Erachtens nur dank ihrer Position im Ausschuss.

Strack-Zimmermanns «Fäkalsprache» und Kubickis «Kanalratte»

Auf Strack-Zimmermann verwies auch Brandner. Sie äußere sich mit «Fäkalsprache» und pöbele rum. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki habe sogar einen ausländischen Politiker als Ratte beleidigt, ohne dass es Konsequenzen gegeben habe. Gemeint ist, dass der FDP-Politiker den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als «Kanalratte» bezeichnet hatte. Auch sei das Thema persönliche Qualifikation der Ausschussvorsitzenden außer bei den AfD-Kandidaten nie Thema gewesen, sagte Brandner.

Wenn er hingegen persönlich angegriffen werden, müsse er sich verteidigen können, sagte Brandner. Auch seinen Twitter-Account nutze er rein als AfD-Abgeordneter. Dort habe es nie einen Verweis auf den Ausschussvorsitz gegeben, sagte er. Außerdem sei die AfD-Fraktion durch die Nichtwahl von Runden zwischen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) mit den Ausschussvorsitzenden ausgeschlossen und bekomme Protokolle davon nur auf Anfrage.

Es ist nicht der einzige Konflikt um hohe Ämter im Bundestag, den die AfD mit den anderen Fraktionen am Verfassungsgericht austrägt. Diese hatten allen AfD-Kandidatinnen und -Kandidaten die Mehrheit für einen der Stellvertreterposten im Bundestagspräsidium verweigert. Hier entschied das Gericht im März 2022, dass das Recht zur gleichberechtigten Berücksichtigung unter dem Vorbehalt der Wahl durch die übrigen Abgeordneten steht. Einen uneingeschränkten Anspruch auf einen Platz im Präsidium gebe es nicht.

Von Marco Krefting, dpa
© dpa-infocom, dpa:240320-99-398438/4
Copyright 2024, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten