Kleinen Kindern wird wieder etwas mehr vorgelesen - und doch ist das Gesamtergebnis einer Studie der Stiftung Lesen alarmierend: Bundesweit schmökert rund ein Drittel der Eltern nie oder nur selten gemeinsam mit ihren ein- bis achtjährigen Kindern. 18 Prozent gaben an, ihren Kindern nie etwas vorzulesen.
«Vorlesen ist aber nicht nur 'nice to have', sondern wichtig für die Entwicklung der Kinder», erklärte Simone Ehmig, Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen, anlässlich der Präsentation des Vorlesemonitors in Mainz. «Wenn Kindern regelmäßig vorgelesen wird, haben sie bessere Bildungschancen.»
Immerhin: Trend aus der Corona-Zeit gestoppt
Für die repräsentative Studie waren 815 Eltern von ein- bis achtjährigen Kindern von Mitte Mai bis Mitte Juni zu ihrem Vorleseverhalten befragt worden. Danach sind vor allem die ganz Kleinen und die Kinder beim Schuleintritt davon betroffen, dass ihnen zu Hause kaum vorgelesen wird. Nicht nur die erste frühe, sondern gerade auch die zweite Phase sei jedoch äußerst wichtig, um für den Start in der Schule die Grundlagen zu schaffen und die Lesemotivation im Grundschulalter zu erhalten und zu fördern, betonte Ehmig.
Insgesamt greifen Eltern wieder häufiger zum Kinderbuch als noch während der Corona-Pandemie, als das Niveau zurückging. So lesen 2024 den Angaben zufolge 67,7 Prozent der Eltern ihren Kindern mindestens «mehrmals pro Woche» vor, 2022 etwa waren es nur 61,3 Prozent.
Eltern mit niedriger Bildung lesen weniger vor
Vor allem Eltern mit formal niedriger Bildung lesen weniger vor als der Durchschnitt aller Eltern, wie aus der Studie hervorgeht, die die Stiftung Lesen zusammen mit der Deutschen Bahn Stiftung und der Wochenzeitung «Die Zeit» in Auftrag gegeben hatte. Bei mehr als einem Drittel (34 Prozent) sei das seltener als einmal pro Woche. Das zeige sich sowohl bei Familien mit als auch Familien ohne Migrationshintergrund, berichtete die Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung.
29 Prozent der befragten Eltern gaben demnach an, maximal zehn Kinderbücher im Haushalt zu haben. Mütter und Väter, die nicht vorlesen, können nach eigenen Aussagen in der Befragung zudem nur selten einschätzen, ob ihr Kind Schwierigkeiten mit dem Lesenlernen hat oder nicht.
Positive Vorleseerfahrungen werden weitergegeben
74 Prozent der Eltern, denen früher selbst vorgelesen wurde, lesen dagegen - unabhängig vom Bildungshintergrund - ihren eigenen Kindern mindestens mehrmals pro Woche vor, sagte Ehmig zu einem weiteren Ergebnis der Studie. Das zeige, dass die eigenen positiven Vorleseerfahrungen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auch an die nächste Generation weitergegeben werden.
Die Stiftung Lesen empfiehlt, das Vorlesen nicht nur mit Kinderbüchern zu verbinden, sondern auch Möglichkeiten zu nutzen, die Smartphones und Tablets dafür bieten. Gedruckte Bücher und digitale Medien dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, betonte die Expertin. Kinder sollten vielmehr entdecken können, dass digitale Medien nicht nur für Spiele und Videos da seien, sondern es dort ganz viele tolle Texte und Geschichten gebe. Nach dem Ergebnis der Studie haben 43 Prozent der Eltern auf ihrem Smartphone oder Tablet bereits Apps für Kinder genutzt, davon 26 Prozent zum Vorlesen. «Da liegt ein großes Potenzial.»
Gründe für Vorleseverhalten der Eltern
Als Gründe, die am Vorlesen hindern, nannten die Eltern in der Studie neben Stress und fehlender Zeit im Alltag, dass ihre Kinder nicht vorgelesen bekommen wollen, zu unruhig sind oder sich lieber mit anderen Dingen beschäftigen. Dabei habe das Vorlesen nicht nur einen positiven Effekt auf die Bindung zwischen Eltern und Kindern, es trainiere auch entscheidende Fähigkeiten für die Zukunft, so Ehmig. Kinder, die frühzeitig positive Vorleseerfahrungen machen, würden sich beim eigenen Leseerwerb und ganz grundsätzlich in allen Schulfächern leichter tun.
«Wir müssen die Eltern darin unterstützen, dass Vorlesen ihnen Spaß macht und nicht nur eine Zusatzaufgabe im ohnehin stressigen Alltag ist», sagte die Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen. Zum Vorlesen müsse es auch keinen perfekten Rahmen geben. «Einfach trauen und ausprobieren.»
Von Bernd Glebe, dpa
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