Besucher bestaunen das weihnachtlich dekorierte Haus von Lucy Spata im New Yorker Stadtviertel Dyker Heights.
Christina Horsten/dpa
Besucher bestaunen das weihnachtlich dekorierte Haus von Lucy Spata im New Yorker Stadtviertel Dyker Heights.
New York

«Jeden Tag Party» - Weihnachts-Attraktion Dyker Heights

Rockefeller-Baum, Schaufenster, Eislaufbahn: Wohl kaum eine andere Metropole auf der Welt schmückt sich derart für die Weihnachtszeit wie New York. Millionen Touristen kommen deswegen in die Stadt - ihr neues Lieblingsziel aber liegt außerhalb von Manhattan.

Elf Monate im Jahr verirrt sich kein Tourist nach Dyker Heights. Die von Einfamilienhäusern geprägte Wohngegend liegt im Südwesten des New Yorker Stadtteils Brooklyn, mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Manhattan aus umständlich in etwa einer Stunde zu erreichen. Nennenswerte Sehenswürdigkeiten: keine.

Wenn aber die Tage kürzer werden und Weihnachten näher rückt, dann schlägt alle Jahre wieder die große Stunde für das Viertel - und Dyker Heights wird zu «Dyker Lights». Fast jedes Haus in der Gegend wird ausgiebigst geschmückt - mit Kunstschnee, aufblasbaren Schneemännern, Weihnachtsmännern und Rentieren, Spielzeugsoldaten, Geschenken, aber vor allem mit funkelnden Lichtern in allen Farben.

Einen Grinch gibt es immer

Gestartet wurde das Spektakel einst von Lucy Spata, die Mitte der 80er Jahre nach Dyker Heights zog, nachdem ihre Mutter gestorben war, mit der sie zuvor in einem anderen Stadtviertel zusammengewohnt hatte. «Meiner Mutter war das Schmücken immer sehr wichtig, und wir haben dann immer zusammen geschmückt», sagt Spata der Deutschen Presse-Agentur. «Zum ersten Weihnachten in Dyker Heights habe ich nirgendwo Lichter gesehen. Das hatte etwas Morbides und war etwas, an das ich nicht gewöhnt war. Also habe ich zu meinem Mann gesagt: "Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder dekorieren wir und geben dabei alles, oder wir ziehen um, weil so kann ich das nicht."»

Also schmückten Spata und ihr Mann ihr kleines Einfamilienhaus auf einem ruhigen, baumgesäumten Straßenblock - aber machten sich damit erstmal keine Freunde. «Die Menschen waren geschockt und haben sich beschwert. Es gibt ja immer einen Grinch. Aber je mehr sie sich beschwert haben, umso mehr Zeug habe ich aufgehängt, und dann haben sie sich daran gewöhnt und nach ein paar Jahren haben sie alle angefangen.»

Die Menschen tauchen in eine andere Welt ein

Inzwischen ist Spata längst eine Art inoffizielle Bürgermeisterin von Dyker Heights. «Jeder, der hierhin zieht, kommt zu mir und stellt sich vor. Und das erste, was ich ihnen sage, ist: "Ihr müsst an Weihnachten dekorieren".» Nach wie vor gebe es «immer mal wieder einen Grinch», der keine Lust auf das Spektakel und den ganzen Trubel habe, sagt Spata. «Aber die können entweder für 30 Tage in Urlaub fahren oder umziehen. Denn wenn man hierher zieht, muss man wissen, worauf man sich einlässt.»

Dutzende gigantisch geschmückte Häuser gibt es inzwischen in Dyker Heights, jedes Jahr werden es mehr und jedes Jahr versuchen die Nachbarn, sich gegenseitig auf noch überdrehtere Weise zu überbieten. Zehntausende New Yorker und Touristen kommen in der Vorweihnachtszeit Abend für Abend vorbei, um sich das anzuschauen. Dutzende Tour-Anbieter gibt es bereits und ganze Busladungen von Menschen werden in das Viertel gekarrt.

«Das hatte ich nicht erwartet», sagt Erfinderin Spata. «Jetzt ist hier jeden Tag Party.» Aber sie könne verstehen, warum die Dekorationen die Menschen anzögen. «Ich denke, es gibt den Menschen eine Chance, ihre Probleme zu vergessen - sie tauchen in eine Art andere Welt ein.» Früher sei sie jedes Jahr zum berühmten Weihnachtsbaum vor dem Rockefeller Center in Manhattan gefahren, sagt Spata. «Aber jetzt habe ich das Rockefeller Center hier.»

Um die Stromrechnungen geht es nicht

Alleine sein Unternehmen «Mein Trip nach New York» werde in diesem Jahr bis zu 8000 Besucher nach Dyker Heights bringen, sagt der in Bosnien geborene und in Deutschland aufgewachsene Reiseleiter Sanel Huskanovic. «Die erste Tour haben wir vor acht Jahren im strömenden Regen gemacht - und die Menschen waren begeistert. Da habe ich geahnt, welches Potenzial dahinter steckt.» 

Die Menschen seien fasziniert von den Weihnachtsdekorationen, «weil sie diese Häuser mit Filmen verbinden, weil es teilweise tatsächlich fast unwirklich ausschaut, weil das Übertriebene sie fasziniert, aber auch, weil es sie so richtig in Weihnachtsstimmung versetzt», sagt Huskanovic. Gerade deutsche Touristen fragten ihn aber auch immer besorgt, wie denn die Stromrechnungen der Hausbesitzer von Dyker Heights aussähen. «Meine Antwort ist, dass die Amerikaner, insbesondere die New Yorker, ein anderes Gemüt haben und sich freuen, wenn die Massen sie besuchen und ihre Dekoration schätzen, und dass sie schon einen Weg finden werden, das irgendwann zu Geld zu machen.»

Inzwischen gibt es tatsächlich bereits mehrere Häuser, deren Bewohner Essen, Kakao oder Souvenirs verkaufen - und um das Spektakel herum hat sich eine ganze Industrie von Straßenhändlern gebildet, die Eis, Verpflegung oder blinkendes Spielzeug für Kinder anbieten.

Erfinderin Spata sagt, ihr gehe es vor allem um die Erinnerung - an ihre dekorationsliebende Mutter und ihren vor ein paar Jahren ebenfalls gestorbenen Ehemann. «Im Herzen bin ich ein Baby.» Dank LED-Lichtern sei ihre Stromrechnung zudem gar nicht so schlimm, wie das mancher vielleicht vermute - aber in jedem Fall sei es das alles wert.

Januar und Februar sind die schlimmsten Monate

Von April bis Oktober verkauft die 67-Jährige aus einem Wagen heraus Würstchen auf den Festen der Millionenmetropole, danach geht es ans Schmücken. Rund 25 000 Lichter und um die 50 Figuren hat sie auch dieses Jahr mithilfe ihrer Mitarbeiter wieder aufgestellt und aufgehängt. Auch innen dekoriert Spata ihr Haus - unter anderem mit gleich fünf Weihnachtsbäumen. «Meine Spielzeugsoldaten sind meine Lieblinge, denn das waren auch die Lieblinge meines Mannes. Er hat das Haus immer mit Spielzeugsoldaten gefüllt.» Anfang Januar baut sie alles wieder ab.

Der Trubel der Vorweihnachtszeit in Dyker Heights störe sie überhaupt nicht, sagt Spata. «Aber wenn es vorbei ist, das macht mich so depressiv. All diese Menschen sind da und dann auf einmal - niemand. Das macht mich depressiv, Januar und Februar sind die schlimmsten Monate.»

Von Christina Horsten, dpa
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