«Rhabarberbar»: Wie man einen viralen Hit landet
Tiktok verändert die Musikindustrie. Wie sonst sollte ein Kabarettist aus Berlin mit dem Lied «Barbaras Rhabarberbar» weltweit bekannt werden? Experten erklären das Phänomen.
Tiktok verändert die Musikindustrie. Wie sonst sollte ein Kabarettist aus Berlin mit dem Lied «Barbaras Rhabarberbar» weltweit bekannt werden? Experten erklären das Phänomen.
Bodo Wartke aus Berlin hat sozusagen den Ritterschlag der sozialen Medien bekommen. Sein Zungenbrecher-Rap «Barbaras Rhabarberbar» ging im Frühjahr auf den Plattformen Tiktok und Instagram um die Welt. Das dazugehörige Tanzvideo von ihm und Musiker-Kollege Marti Fischer wurde Ende Juni rund 48 Millionen Mal wiedergegeben. «Ich kann das immer noch nicht so richtig begreifen, was da eigentlich passiert ist», sagt Wartke der Deutschen Presse-Agentur. Doch wie leicht ist es eigentlich, einen viralen Hit in den sozialen Medien zu landen - und haben Künstler etwas davon?
Der Erfolg kam plötzlich - aber nicht über Nacht
Im Fall des Berliner Musikkabarettisten hat es fast ein halbes Jahr gedauert, ehe «Barbaras Rhabarberbar» durch die Decke ging: Wartke und Fischer hatten den Zungenbrecher zum Song gemacht und Ende 2023 bei Tiktok veröffentlicht. Erst teilten Nutzer das Lied oder versuchten, die Reime über eine Frau namens Barbara, die eine Rhabarberbar besitzt, fehlerfrei auszusprechen. Später entdeckten zwei Australierinnen den Song und dachten sich einen Tanz dazu aus. Das verbreitete sich wie ein Lauffeuer auf Tiktok und dann auf Instagram und YouTube.
«Bei dem Song spürt man - ob man Deutsch nun versteht oder nicht - dass wir Freude an der Sache haben und diese auch jenseits von Sprache übertragen», sagt Wartke über den internationalen Erfolg. Mittlerweile sei der Song auf Sprachen wie Dänisch, Norwegisch oder Hebräisch übersetzt worden.
Auch alte Songs erleben ein Revival
«Barbaras Rhabarberbar» konnten Nutzer also gut für ihre eigenen Beiträge nutzen - laut Tiktok wurde die Audiodatei in mindestens 105 000 Kurzvideos reproduziert, die Musik lief dann zu Tanz- oder Mitsingvideos. Das bezeichnet die Musikwissenschaftlerin Barbara Hornberger als «(Wieder-)Aneignung durch User». Sie lehrt Populäre Musik und digitale Musikkulturen an der Bergischen Universität Wuppertal und ist erste Vorsitzende der Gesellschaft für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung (GMM).
Das passiert aber nicht nur neuen Liedern, sondern kann auch alte Hits wieder aus der Versenkung zurückholen: Kate Bushs «Running Up That Hill (A Deal with God)» von 1985 zum Beispiel erlebte 2022 nach der Netflix-Serie «Stranger Things» einen erneuten Höhenflug. Bei Tiktok wurde das Lied in 2,5 Millionen Kurzvideos als musikalische Untermalung genutzt.
Viele virale Lieder haben eins gemeinsam
Was bei bisherigen viral gegangenen Songs gut funktionierte: Schnelligkeit. So sollte etwa der Aufhänger des Songs schnell präsent sein, erklärt Hornberger. «Es muss in den ersten 15 Sekunden etwas passieren, was mich interessiert. Das heißt: Gefühlt stundenlange Intros oder langsam in die Gänge kommende Geschichten wie früher funktionieren weniger gut.» Zur Frage, ob sich Künstlerinnen und Künstler beim Songwriting daran orientieren, was bei Tiktok läuft oder nicht, äußerten sich die Labels Warner Music, Universal und Sony in Berlin nicht.
Eine schnelle Hook ist zuletzt der Nutzerin «Girl on Couch» (Mädchen auf dem Sofa) phänomenal gelungen. Sie trällerte folgenden Text in einem Video auf Tiktok: «I'm looking for a man in finance, trust fund, six-five, blue eyes», auf Deutsch: «Ich suche nach einem Mann im Finanzwesen, mit Treuhandfonds, 1,90 Meter groß, blaue Augen.» Dazu fragte sie, ob sie gerade den Song des Sommers geschrieben habe - und ob das jemand zu einem echten Song machen könne.
Das Video hat mittlerweile mehr als 50,9 Millionen Aufrufe. «Girl on Couch» lernte dadurch tatsächlich einen Mann kennen - den international bekannten DJ David Guetta, der aus ihrem Clip einen Remix produzierte und diesen jetzt auf Partys spielt. Das Duo ist damit auch in der ersten Woche nach Veröffentlichung in die Offiziellen Deutschen Charts eingestiegen - wenn auch nur auf Platz 83. Ansonsten beeinflussen Tiktok-Trends die Deutschen Charts nur indirekt - man muss einen viralen Hit erst auf einer Streaming-Plattform oder auf YouTube anklicken, damit das für die Chartermittler zählt, wie ein Sprecher sagte.
Was ein viraler Hit einem Künstler bringt - und was nicht
Viele überschätzten die Möglichkeiten für aufstrebende Künstlerinnen und Künstler auf der Plattform, findet Hornberger. «Wenn man sich überlegt, wie viele Millionen junge Musikerinnen und Musiker auf der Welt versuchen, einen Hit zu landen oder berühmt zu werden, dann sind diejenigen, die das auch erreichen, absolute Ausnahmefälle.»
Aus Sicht von Wartke, der seit mehr als 25 Jahren mit verschiedenen Programmen auf der Bühne steht, hat Tiktok Vor- und Nachteile für Musikschaffende. «Der Vorteil ist, dass sich Songs weltweit verbreiten können im Handumdrehen. Der Nachteil ist, dass Tiktok Musikurheber nicht angemessen bezahlt. Die Betreiber stellen im Grunde nur die Infrastruktur zur Verfügung, aber den Content liefern die anderen kostenlos», sagt der 47-Jährige. Er habe zwar unfassbar hohe Klickzahlen, aber verdiene «so gut wie nichts». Er hoffe, dass sich der Ruhm auch auf seine Auftritte als Live-Künstler langfristig auswirke.
Das Thema Vergütung hatte bereits für Streit zwischen dem viel kritisierten chinesischen Konzern Tiktok und dem Musiklabel Universal gesorgt. Anfang dieses Jahres zog Universal die Musik seiner Künstler von der Plattform, weil sie für die Nutzung der Songs nicht so vergütet werden, wie es bei Streaming-Anbietern Standard ist. Bei Universal stehen unter anderem Billie Eilish und Adele unter Vertrag. Im Mai einigten sich die Firmen auf einen neuen Deal - und die Musik kehrte zurück. Tiktok versteht sich laut eigenen Angaben selbst nicht als Streaming-Plattform, aber es werde sichergestellt, dass Rechteinhaber Lizenzausschüttungen erhalten, wenn ihre Musik genutzt werde. Außerdem könnten Künstler ihre Musik auf Tiktok mit Streamingdiensten verbinden.
Von Sabrina Szameitat und Weronika Peneshko, dpa
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