Fat White Family: Der ganz normale Ausnahmezustand
Das vierte Album der britischen Band Fat White Family ist eine Annäherung an menschliche Abgründe. Es ist ein musikalisch abwechslungsreiches und inhaltlich eindringliches bis verstörendes Werk.
Das vierte Album der britischen Band Fat White Family ist eine Annäherung an menschliche Abgründe. Es ist ein musikalisch abwechslungsreiches und inhaltlich eindringliches bis verstörendes Werk.
Die Band Fat White Family aus London gilt als Enfant Terrible des britischen Post-Punks. In der Band-Biografie heißt es, man sei «eine Drogenband mit einem Rockproblem». Schon der Titel des ersten Albums von 2013, «Champagne Holocaust», kratzte an der Grenze des guten Geschmacks. Jetzt kommt das vierte: «Forgiveness is Yours».
Anlässlich des Tods der ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher im Jahr 2013 machte ein Foto der Band damals medial die Runde: darauf die Bandmitglieder vor einem Pub in London-Brixton, in dem sie zu der Zeit hausten. Mit gereckten Fäusten stehen sie vor einem selbstgemalten Banner mit der Aufschrift: «Die Hexe ist tot!»
«Forgiveness is Yours» (erscheint am 26.4.) handelt laut Frontmann Lias Saoudi vom Leben als ewigem Notfall. Fatalistisch gibt er zu Protokoll, es gehe darum, «nicht mehr zu ahnen, sondern zu wissen, dass dieser Sch*** nie einfacher werden wird... tatsächlich wird es noch viel schlimmer werden».
«Today You Become Man» ist weniger Musiktitel als mit Geräuschen unterlegte Prosa. Eindringlich berichtet Saoudi von einer prägenden Erfahrung seines älteren Bruders Tamlan: Als Fünfjähriger wurde dieser in den 80er-Jahren aus England zum Heimatort ihres algerischen Vaters im Atlasgebirge gebracht.
Während der Vater ihm erzählt, sie würden Bücher kaufen gehen, findet sich der Junge schließlich in einem fremden Wohnzimmer wieder. Auf dem Wohnzimmertisch liegend, mit Holzstab zum Draufbeißen im Mund, wird er ohne Betäubung beschnitten.
Hommage an «Bittersweet Symphony»
Das zugehörige Video ist eine Hommage an «Bittersweet Symphony» von The Verve. Während sich Verve-Frontman Richard Ashcroft rücksichtslos seinen Weg durch London bahnt, rempelt sich Saoudi durch die algerische Stadt Maillot - dem damaligen Tatort.
In einigen eher psychedelischen Tracks wie «John Lennon» meint man einen leichten Hall von Pink Floyd herauszuhören. «Work» ist ein treibender Track, auf dem irgendwas von The Sisters of Mercy mitschwingt.
Die Fat White Family sind Punks, nicht vom Sound her, eher im Geiste. Die elf Titel auf «Forgiveness is Yours» sind abwechslungsreich. Es ist ein unangepasstes Kunstwerk, das auch nach mehrmaligem Hören nicht langweilt.
Von Dyfed Loesche, dpa
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