Schon die Prelude von «The Rose Of Laura Nyro», das der zu früh gestorbenen Songwriterin und queeren Weggefährtin Elton Johns gewidmet ist, deutet an, dass diese Kooperation fruchtbar war. Highlights sind «Little Richard's Bible», ein Tribut an die Rockikone der 50er und 60er Jahre, oder «The River Man», das mit herrlichen Doppel-Gitarren-Harmonien, wuchtigem Background-Chor und einem Piano-Solo à la «Pinball Wizard» begeistert.
Grammy-Gewinnerin lernt von Songwriter-Legende
Die Texte schrieb wie üblich Songwriter-Legende Bernie Taupin - dieses Mal in Zusammenarbeit mit Carlile. «Bernie hat mir gezeigt, wie man spontan darauf reagiert, dass Elton so schnell schreibt. Der nimmt den Text raus und fängt sofort an, die Musik dazu zu basteln. Und dann fliegen plötzlich Silben raus, Wörter, ganze Zeilen – einfach, weil die Melodie es verlangt. Und der Texter muss dann sofort reagieren, den Song retten, die Zeile, die nicht passt, austauschen.»
Die Sängerin glänzt besonders in dem mitreißenden, rockenden Duett «Swing For The Fences» und der wunderbaren Indie-Folk-Ballade «You Without Me», die sich um die Zeit dreht, in der sich Kinder von ihren Eltern lösen.
Starproduzent Andrew Watt (Rolling Stones, Lady Gaga) holte einige prominente Topmusiker ins Studio: Schlagzeuger Chad Smith (Red Hot Chili Peppers), Bassist Pino Palladino (Nine Inch Nails) und Multiinstrumentalist Josh Klinghoffer (Red Hot Chili Peppers, Pearl Jam). Wer würde Sir Elton auch absagen?
Momente der Verzweiflung im Studio
Die Aufnahmen verliefen jedoch nicht reibungslos. Selbst ein Altmeister wie Elton John tut sich manchmal schwer. Beim Auftritt in London erlaubte er dem Publikum einen erstaunlichen Blick hinter die Kulissen. Es wurden Szenen aus dem Studio eingespielt, in denen der Brite weinte, in denen er der Verzweiflung nahe war und schimpfte, bevor ihn der 34-jährige Watt einfing.
Carlile war beeindruckt von Watts Umgang mit dem Superstar. «Er hatte Rückgrat, Mitgefühl und eine ruhige, geerdete Art», erzählt sie. «Ich glaube, ohne Andrew hätte ich ein Stück weit dichtgemacht. Aber Andrew hat einfach zurückgepoltert, laut losgelacht oder er ist mit Elton nach draußen gegangen, um ihn mal eben fest in den Arm zu nehmen und zu drücken.»
Und so wurde das Album in nur drei Wochen fertiggestellt. «So etwas habe ich noch nie gemacht», berichtete Elton John in London. Die britische Musikikone sei «wie ein Güterzug», meint Carlile gleichermaßen begeistert und erschöpft. «Es war so anstrengend. Mein Gehirn war müde, weil ich versucht habe, mit der Musik mitzuhalten, die einfach so aus ihm raussprudelt.»
Elton John mit 78 in Bestform
Beim Konzert im Londoner Palladium, das demnächst im britischen und US-amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt werden soll, gaben die beiden neben neuen Songs auch Klassiker wie «Tiny Dancer», «I'm Still Dancing» oder «Bennie And The Jets» zum Besten. Auf der Bühne oder im Studio - der fast 80-jährige Elton John beeindruckt mit seiner Stimme und seiner Energie.
Doch in Songs wie «When This Whole World Is Done With Me» und «A Little Light» setzt sich Sir Elton mit seiner eigenen Sterblichkeit auseinander. In letzterem singt er gleich zu Beginn: «Maybe it's time to hang my boots up» - «Vielleicht ist es Zeit, meine Stiefel an den Nagel zu hängen.» Gemessen an diesem großartigen Album ist es dafür noch zu früh.
Von Philip Dethlefs, dpa
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