Spielfilme über kluge Lehrerpersönlichkeiten, die schwierigen Leuten behutsam den Weg ins Leben ebnen, gibt es einige. Die Liste der Kinoerfolge reicht von «Der Pauker» (1958) mit Heinz Rühmann bis zu «Der Club der toten Dichter» (1989) mit Robin Williams. Man glaubt, zum Thema wäre schon alles erzählt worden. In staunenswerter Weise ist Regisseur Alexander Payne und seinem TV-erfahrenen Drehbuchautor David Hemingson jetzt jedoch eine frische, originelle Variante zum Thema gelungen.
Weihnachten 1970 in dem ferienbedingt verwaisten Internat einer Schule für Jungs aus reichen Familien: Der unbeliebte Lehrer Paul (Paul Giamatti), der wegen seines ungehobelten Verhaltens verhasste Teenager Angus (Dominic Sessa) und die als verschroben geltende afroamerikanische Köchin Mary (Da'Vine Joy Randolph) kommen zufällig zusammen. Es eint sie, dass niemand mit ihnen das Fest der Liebe verbringen mag oder sie selbst nicht mit anderen Leuten zusammen sein möchten. Sie sind «The Holdovers», «Die Übriggebliebenen».
Notgedrungen richtet sich das Trio miteinander ein. Dabei kommen die Drei einander näher. Zwangsläufig offenbaren sie Wunden, Verletzungen, Ängste, Wut und Trauer. Aber auch Witz und Lebensmut dürfen triumphieren. Vorurteile und alte gesellschaftliche Klischees über Bord werfend, offenbart schließlich jede und jeder bisher unbekannte Fähigkeiten und eine lang verborgene Schönheit. Am Ende sind sie keine besseren Menschen. Aber sie verstehen sich besser auf das Zusammensein mit anderen.
Der Film feiert Vernunft, Respekt, Güte und Ehrlichkeit
Untermalt vom Sound softer Pop-Hits etwa von Cat Stevens wird die bürgerliche Welt, wie sie vor mehr als einem halben Jahrhundert die westliche Hemisphäre geprägt hat, lustvoll beschworen. Dabei kommt auch Furchtbares wie die Brutalität des Vietnamkriegs und die Gefährlichkeit rassistischen Denkens zur Sprache. Vor allem aber feiert der Film Vernunft, Respekt, Güte und Ehrlichkeit als unabdingbare Elemente allen menschlichen Miteinanders. Dabei harmonieren satirischer Witz und spürbares Herzblut perfekt miteinander.
Ganz leise und wie nebenbei kritisiert der durchweg leichtfüßig anmutende Film die gegenwärtig in den westlichen Demokratien vielfach anzutreffenden Auswüchse eines allein auf das eigene Ich ausgerichteten Denkens und Handelns. Plötzlich mutet dieser Film, der aussieht, als wäre er tatsächlich schon in den 1970er Jahren gedreht worden, verblüffend heutig an. Gerade weil nicht aufdringlich, dürfte die raffiniert verpackte Kritik an aktuellen Entwicklungen besonders wirkungsvoll sein.
Mitreißender Star der hintergründigen, wirklich herzergreifenden Tragikomödie ist Paul Giamatti als Lehrer Paul. Man ahnt es sofort: Hinter der verbitterten Fassade verbirgt sich ein butterweicher Kern. Was Paul Giamatti auf äußerst subtile Art enthüllt. Er wirkt in jeder Sekunde glaubwürdig und wahrhaftig. Es wirkt, als spiele er nicht für, sondern lebe vor und mit der Kamera. Man kann sich dem Charisma des durch die TV-Serie «John Adams – Freiheit für Amerika» und den Kinofilm «12 Years a Slave» bekannten Stars nicht entziehen.
Bei der Verleihung der Golden Globes wurde Paul Giamatti für seine Interpretation des Lehrers als bester Hauptdarsteller in der Kategorie Musical/ Komödie ausgezeichnet. Viele sehen das als sichere Ankündigung für eine Ehrung mit einem Oscar. Verdient hätte Paul Giamatti den Preis auf jeden Fall. Vergeben werden die diesjährigen Oscars in der Nacht vom 10. auf den 11. März.
Von Peter Claus, dpa
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