Wim Wenders ist im Oscar-Endspurt. Zum dritten Mal in zwei Monaten legt sich der deutsche Regisseur in Los Angeles für seinen poetischen Film «Perfect Days» mit Interviews und Screenings ins Zeug.
Doch nun kann es der 78-jährige Filmemacher gelassen angehen. «Die Wahl ist ja schon gelaufen. Irgendjemand weiß schon alles, nur wir nicht. Sie nicht und ich nicht. Und deswegen ist es spannend», sagt Wenders im dpa-Interview kurz vor der Oscar-Gala.
Deutsche Oscar-Hoffnungen
Drei Mal war er bereits für einen Dokumentarfilm-Oscar nominiert, aber immer leer ausgegangen. Mit «Perfect Days» ist er für Japan in der Sparte «Bester internationaler Film» für einen Oscar im Rennen. Dort trifft er unter anderem auf den deutschen Beitrag «Das Lehrerzimmer» von dem in Berlin geborenen und teilweise in der Türkei aufgewachsenen Regisseur Ilker Çatak (40) und auf das britische Drama «The Zone of Interest» von Regisseur Jonathan Glazer mit den deutschen Schauspielern Christian Friedel und Sandra Hüller.
Als Konkurrenten verstehen sich Wenders und Çatak nicht, im Gegenteil. «Ilker ist ein super Typ und toller Regisseur und ich mag den Film ganz außerordentlich gerne. Ich freue mich, dass sie so weit gekommen sind, die freuen sich, dass wir so weit gekommen sind und wir drücken einander die Daumen, würde ich mal sagen», erzählt Wenders.
«Er hätte es verdient»
Çatak pflichtet im dpa-Interview bei. «Filmemachen ist kein Wettbewerb. Wim war durch seine Filme immer einer meiner Lehrer. Als junger Mensch haben sie mich inspiriert und zum Filmemachen ermutigt. Ich würde ihm so sehr wünschen, dass er nach drei Nominierungen nun endlich gewinnt. Zudem ist er so ein feiner Mensch. Er hätte es verdient.»
«Vier ist eine gute Zahl! Drei war noch krumm», witzelt Wenders über seine jetzige Oscar-Chance, nachdem er dreimal leer ausgegangen war: 2000 mit der Musiker-Doku «Buena Vista Social Club», 2012 mit dem 3D-Tanzfilm «Pina» über Pina Bausch sowie 2015 mit der Doku «Das Salz der Erde» über den brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado.
In dem meditativen, berührenden Film «Perfect Days» erzählt er von einem Mann namens Hirayama (Koji Yakusho), der in Tokio besonders schön gestaltete Toiletten reinigt und mit seinem einfachen Leben zufrieden ist. Dass Japan das Werk eines deutschen Regisseurs als Oscar-Kandidat wählte, ist eine Besonderheit, aber für Wenders auch nicht völlig unerwartet. «Ich habe immerhin schon dreimal da gedreht, bin sehr viel da gewesen und habe Japan immer als meine zweite Heimat angesehen. Zumindest filmkulturell. Und mein erklärter großer Meister ist der Japaner Yasujiro Ozu», erzählt der Regisseur.
Wenders begrüßt neue Strukturen und Wahlverfahren bei der Filmakademie, mit Bemühungen für größere Diversität. «Wir werden vielleicht zum ersten Mal eine American Indigenous Schauspielerin haben, was mich sehr, sehr freuen würde. Ich hatte das Vergnügen, mit Lily Gladstone an einem Tisch zu sitzen, beim Governors Dinner. Wir haben uns super verstanden. Und dann hat sie auch die Golden Globes schon gewonnen. Da hatte ich mir schon die Finger wund gedrückt.
Also es kann schon sein, dass da das insgesamt doch ausgeglichener wird, was das gesamte Spektrum der menschlichen Möglichkeiten betrifft», sagt Wenders. Gladstone ist für das Historiendrama «Killers of the Flower Moon» nominiert und wäre im Falle eines Gewinns die erste indigene Hauptdarstellerin mit einem Oscar.
«Vielleicht sind wir die Außenseiter»
In der Sparte «Bester Internationaler Spielfilm» sehen US-Branchenblätter in ihren Prognosen das britische Drama «The Zone of Interest» als Frontrunner. Doch am Ende stimmen gut 9000 Mitglieder der Filmakademie über die Preisträger in den insgesamt 23 Oscar-Sparten ab. Wenders sieht das als Chance. «Es kommt ja auch manchmal dann doch zu großen Überraschungen und dann gewinnen auch Außenseiter. Was sehr gut ist, dass das möglich ist. Vielleicht sind wir die Außenseiter», meint der Regisseur.
Ilker Çatak und sein Team hatten mit «Das Lehrerzimmer» im vergangenen Mai beim Deutschen Filmpreis fünf Lolas gewonnen, darunter die Goldene Lola für den besten Spielfilm und für Regie. Bei den Oscars wollten sie nun den Abschluss einer langen und schönen Reise feiern, meint Çatak. «In die Verleihung gehe ich mit genau NULL Erwartungen. Dabei zu sein ist schon total irre, wenn man sich mal vergegenwärtigt, von wo wir gestartet sind.»
Das Schul-Drama dreht sich um eine junge Lehrerin (Leonie Benesch), die eine Diebstahlserie aufklären will. Der packende Film setzt sich mit Vorurteilen, Debattenkultur und dem Druck auf Lehrer auseinander.
Çatak hatte kürzlich deutsche Medien für Ignoranz und Ausgrenzung kritisiert, etwa werde sein Name kaum erwähnt oder falsch geschrieben. «Ich habe überwältigend viel positives Feedback bekommen, sehr bewegende Mails und Nachrichten von Menschen mit Migrationsgeschichte, die ähnliche und noch viel schlimmere Ausgrenzungen erlebt haben. Aber natürlich auch von vielen Menschen ohne Migrationsgeschichte, die mir ihren Zuspruch schrieben.
Das war sehr ermutigend, auch wenn es natürlich diejenigen gibt, die nun meinen, ich würde nur 'rumheulen' und das Ganze auf eine gekränkte Eitelkeit reduzieren wollen», beschreibt der Regisseur die Resonanz auf seine Kritik. «Nochmal: Es ging mir um all diejenigen, die nicht das Privileg haben, ihre Stimme in der Öffentlichkeit erheben zu können.»
Es geht nahtlos weiter
Eine Ruhepause gönnt sich Çatak nicht. «Einen Tag nach den Oscars komme ich nach Deutschland zurück und finde mich direkt in der Preproduction zu 'Gelbe Briefe' wieder. Es geht also nahtlos weiter, worauf ich mich total freue.» Der Spielfilm dreht sich um ein Künstlerehepaar in der Türkei. Beide verlieren plötzlich ihre Arbeit und gehen mit ihrer Tochter nach Deutschland ins Exil.
Wenders plant ein paar Tage bei Freunden in Los Angeles - «und anschließend mache ich eine Ruhepause auf dem Land, in der Uckermark». Danach werde er einen bereits angefangenen Film über den Schweizer Architekten Peter Zumthor weiterdrehen. Zudem arbeite er seit Jahren am Konzept eines Spielfilms. «Das wird dann allmählich in die heiße Phase des Schreibens gehen. Aber erst mal ausruhen», betont der 78 Jahre alte Regie-Star.
Von Barbara Munker, dpa
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