Zafer (Ahmet Varli) mit seiner Tochter Melek (Cagla Yurga).
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Zafer (Ahmet Varli) mit seiner Tochter Melek (Cagla Yurga).
Polit-Thriller

«Im toten Winkel»: Spannung bis zum Gehtnichtmehr

Die türkisch-deutsche Regisseurin Ayşe Polat entwickelt in ihrem neuen, preisgekrönten Kinofilm eine gedankenreiche Auseinandersetzung mit der jüngeren Historie und Gegenwart der Türkei.

Krimi, Historiendrama, Horrorfilm und Polit-Thriller: Der Spielfilm «Im toten Winkel» ist alles in einem. Virtuos jongliert die türkisch-deutsche Regisseurin Ayşe Polat («En Garde») mit verschiedenen Erzählebenen und -stilen. Die Geschichte dreht sich um die Schwierigkeiten einer Crew, die im Nordosten der Türkei einen Dokumentarfilm drehen will.

Aus einer raffiniert verschachtelten Odyssee zwischen Gestern und Heute entwickelt sich eine gedankenreiche Auseinandersetzung mit der jüngeren Historie und Gegenwart der Türkei. Dabei wird zudem über die Möglichkeiten und Grenzen der Wahrnehmung an sich nachgedacht. Ist etwas wahr, nur weil wir glauben, es zu sehen? Von dieser Frage geht eine enorme Verunsicherung aus, die für große Spannung sorgt.

Ayşe Polat nutzt Muster des Horrorkinos, um irrationalen und realen Spuk zu spiegeln. Großen Raum nimmt dabei ein Blick auf das Leben der Kurden in der Türkei ein. Womit der Film über einzelne Schicksale hinausweist. Das führt zu einem ernsthaften Nachdenken darüber, welche Chancen die Menschlichkeit an sich hat, wenn Unmenschlichkeit an der Tagesordnung ist.

Hoher Unterhaltungsfaktor

Getragen wird der in drei Akte aufgeteilte Film von einem exzellenten Schauspielteam. Das wird angeführt von Katja Bürkle als Dokumentarfilmerin. Tudan Ürper beeindruckt als Frau, deren Sohn vor etwa einem Vierteljahrhundert verschwunden ist, nach Meinung der Mutter vom Geheimdienst entführt. Eine besondere Rolle kommt einem kleinen Mädchen namens Melek (Çağla Yurga) zu. Es zeigt sich, dass gesellschaftliche Missstände fatalerweise von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Kameramann Patrick Orth hat eine dokumentarisch anmutende Bildwelt geschaffen, die den Sog des oft geheimnisvollen Geschehens raffiniert verstärkt. Mit manch verzwicktem Rätsel werden die Zuschauerinnen und Zuschauer bei der Stange gehalten. Der Unterhaltungsfaktor ist deshalb hoch. Verstärkt wird er durch das kluge Eintauchen in eine Gesellschaft, deren Regeln für viele Menschen zu Fallstricken werden können.

Ein preiswürdiger Polit-Thriller

Im September gewann «Im toten Winkel» beim Filmfest in Oldenburg den Hauptpreis. Und auch bei Filmfans in der Türkei ist der Polit-Thriller erfolgreich. Wie der deutsche Verleih Missingfilms unlängst mitteilte, ist «Im toten Winkel» mit 14 Auszeichnungen «die mit Abstand erfolgreichste deutsche Produktion auf den Filmfestivals in der Türkei». So gewann die Produktion dieses Jahr zum Beispiel Auszeichnungen beim International Istanbul Film Festival und dem Ankara Film Festival.

Im toten Winkel, Deutschland 2023, 118 Min., FSK ab 16 Jahren, von Ayşe Polat, mit Katja Bürkle, Tudan Ürper, Çagla Yurga

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