Die Goldene Bulle von 1356, die zum Weltdokumentenerbe der UNESCO gehört, sowie weitere Unikate sollen als 3D-Digitalisate der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Bernd Weißbrod/dpa
Die Goldene Bulle von 1356, die zum Weltdokumentenerbe der UNESCO gehört, sowie weitere Unikate sollen als 3D-Digitalisate der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Geschichte

Stuttgarts «Goldene Bulle» per Mausklick

Durch eine neue Scanner-Technologie sollen Kulturschätze des Landesarchivs leichter zugänglich gemacht werden. Das gilt für die kostbare «Goldene Bulle» ebenso wie für ein paar Fußballschuhe.

Im ersten kurzen Moment erinnert eines der weltweit kostbarsten Dokumente an eine zusammengetackerte Schreibkladde, etwas blass, in den vergangenen Jahrhunderten ein bisschen aufgequollen an den Seiten. Es ist nur ein kurzer - zugegeben mächtig falscher - Eindruck, denn schnell fällt der Blick auf das goldene Metallsiegel, das dem fragilen Dokumentenwerk anhängt.

Eine Kladde? Pah, keineswegs. Von dieser historischen «Goldenen Bulle», 1356 vom römisch-deutschen Kaiser Karl IV erlassen und so etwas wie das «Grundgesetz» des Heiligen Römischen Reiches, gibt es weltweit lediglich sieben Exemplare. Nur alle fünf Jahre darf die gut erhaltene Stuttgarter Ausgabe des Weltdokumentenerbes ihren Tresor im Stuttgarter Hauptstaatsarchiv verlassen. Um das fragile 60-Seiten-Werk dennoch für Geschichtsinteressierte leichter zugänglich zu machen, wird es in diesen Tagen so oft fotografiert wie kein anderes aus dem Archivbestands zuvor: Die «Goldene Bulle» wird digitalisiert.

Ein Roboterarm fährt geduldig und mit gebührendem Abstand über die Urkunde, immer wieder nimmt er Bilder auf und speichert sie. Etwa 1500 Fotos werden so von dem historischen Schatz gemacht, um sie mit moderner Computertechnik zu verarbeiten und eine digitale Kopie des «Reichsgrundgesetzes» anzufertigen. Einst regelte es immerhin die Modalitäten der Königswahl und die Privilegierung des erlauchten Wählerkreises.

Profitieren soll davon nicht nur die Wissenschaft, die die «Goldene Bulle» in wenigen Wochen online und per Mausklick drehen, wenden und auswerten kann, wann auch immer sie mag. Die 3D-Digitalisierung soll auch im Internet und in Ausstellungen integriert werden, sagte Peter Rückert, der Leiter des Hauptstaatsarchivs, am Mittwoch in Stuttgart. «Wenn es uns so gelingt, das Exklusive und das Besondere zu vermitteln, dann ist das wichtig für das Geschichtsverständnis», meint der Historiker. Schulklassen könnten die Bedeutung besser verstehen, es könne die «Botschaft der authentischen, der zertifizierten Geschichte vermittelt werden», sagte Rückert.

Gemeinsam mit den Experten von Verus Digital, einer Ausgründung des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt, lässt das Archiv in den kommenden Tagen nicht nur sogenannte Flachware wie die «Goldene Bulle», also vor allem Dokumente oder Urkunden, erfassen. Auch einige andere dreidimensionale Stücke sollen unter den Scanner kommen, darunter der Spazierstock des letzten württembergischen Königs, Wilhelm II., Mini-Fußballschuhe mit den Unterschriften der Fußball-Weltmeister-Elf von 1954 und Pistolen, mit denen ein Attentäter 1861 den preußischen König Wilhelm I. in Baden-Baden töten wollte.

Natürlich gibt es 3D-Scans von Objekten bereits in der Industrie und auf dem Bau, im Gesundheitssektor oder auch in Museen. Das Landesarchiv ist nach eigener Aussage aber einer der wenigen Vorreiter bei den Sammlungsstätten von Archiven. Für das Fraunhofer Institut und für das Landesarchiv soll die Kooperation «ein Win-Win-Projekt» werden. Während die Experten Erfahrungen sammeln mit ihrer Technologie, öffnet sich das Archiv für die hochmoderne Technik.

In nicht allzu ferner Zukunft könnten aus Sicht von Wolfgang Krauth, Referatsleiter «Informationstechnologie, digitale Dienste» am Landesarchiv, auch dreidimensionale Kopien im 3D-Drucker hergestellt werden zum Beispiel für Ausstellungen und für die haptische Erfahrung. Auch eigene Scanner im Bestand des Landesarchivs seien keine ferne Zukunftsmusik. «Das wird sich in den nächsten Jahren etablieren, wenn die Technik günstiger wird», sagte Krauth.

Von Martin Oversohl, dpa
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