Die Justitia ist an einer Scheibe am Eingang zum Oberlandesgericht zu sehen.
Rolf Vennenbernd/dpa/Symbolbild
Die Justitia ist an einer Scheibe am Eingang zum Oberlandesgericht zu sehen.
Landgericht Stuttgart

Prozess um Auto-Attacke gibt Rätsel auf

Es sind blutige Szenen, wie aus einem Film. Eine Frau aus dem Kreis Esslingen fährt über die Landstraße, mit ihrem Partner auf der Motorhaube. Sie schleift ihn schließlich mit. Er stirbt. Was steckt hinter dem Fall?

Ende Mai werden Passanten in Reichenbach an der Fils Zeugen einer tödlichen Autofahrt. Eine Frau rast mit ihrem Wagen durch den Ort - mit ihrem Partner auf der Motorhaube. Knapp zwei Kilometer krallt sich der 32-jährige Mann auf dem Wagen fest. Schließlich gerät er auf einer Landstraße unter das Fahrzeug, wird noch meterweit mitgeschleift - und stirbt kurze Zeit darauf an seinen heftigen Kopfverletzungen. Eine Prozessbeobachterin fasst den ganzen Fall am Freitag im Landgericht Stuttgart in einem Satz zusammen: «Das passiert eigentlich nur im Krimi.»

Die 34 Jahre alte Frau aus dem Kreis Esslingen muss sich wegen Totschlags verantworten. Die beiden sollen zusammen Drogen genommen, eine On-Off-Beziehung geführt und immer wieder gestritten haben. Der mutmaßlichen Auto-Attacke soll ein Streit vorausgegangen sein, es ging wohl um Eifersucht. So genau lässt sich das im Prozess nicht klären. Die Angeklagte gibt an, dass ihr Partner an dem Tag plötzlich bei ihr auf dem Balkon gestanden sei. Sie habe in Panik das Haus verlassen, sei in das Auto in der Tiefgarage gestiegen und habe Gas gegeben. «Ich bin einfach rausgefahren. Da war er auf der Scheibe drauf. Und ich bin gefahren», hatte sie ausgesagt.

Unklar ist, wie der Mann überhaupt auf die Motorhaube gelangte. Wurde er von ihr angefahren oder sprang er selbst auf den Wagen? Hat der Mann die Frau durch die Scheibe bedroht, wie sie behauptet, oder hat er um Hilfe gerufen, wie Zeugen berichten?

Nach Einschätzung eines technischen Gutachters vom Freitag hält sich der Mann bei dem Vorfall über eine Strecke von rund 1,8 Kilometer an der Motorhaube fest. Die Frau fährt dabei aus Sicht des Experten deutlich schneller als 30 Kilometer pro Stunde, so genau lässt sich das nicht mehr feststellen. Dann sei er abgerutscht, auf den Kopf aufgeschlagen und unter das Fahrzeug geraten. Er wird noch einige Meter mitgeschleift, bleibt reglos liegen. Der Mann stirbt in der Klinik. Die Frau fährt weiter zu Bekannten, begibt sich mit denen aber kurz darauf wieder an die Unfallstelle und wird von der Polizei festgenommen.

Am Freitag wird unter anderem eine der besten Freundinnen der Angeklagten befragt. Sie beschreibt die 34-Jährige als psychisch belastet. Sie habe sich in den beiden Jahren vor der Tat sehr verändert, sei überhaupt nicht mehr glücklich gewesen. Sie habe auch immer wieder «wirre Momente» gehabt und teils unglaubliche Geschichten erzählt, etwa, dass ihr Ex-Lebensgefährte sie entführt habe oder dass ihr Handy abgehört werde. Sie habe bereits in der Vergangenheit immer wieder Erfahrungen machen müssen mit gewalttätigen Männern, berichtete die Zeugin.

Ein psychiatrischer Gutachter sagte am Freitag, dass er eine Psychose und eine akute Belastungsreaktion bei der Angeklagten nicht ausschließen könne, ebenso habe die Frau zum Zeitpunkt der Fahrt unter Einwirkung von Amphetaminen gestanden. Er könne eine sogenannte erhebliche verminderte Steuerungsfähigkeit weder ausschließen noch einwandfrei feststellen. Trotzdem sehe er die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht gegeben. Rund um die Tat habe die Frau «verdächtige Erinnerungslücken» gezeigt, sagte der Gutachter. So wirklich vermochte sich die Frau in dem Prozess nicht mehr an die entscheidenden Momente erinnern.

Eigentlich sollten am Freitag bereits die Plädoyers gehalten werden - diese wurden nun aufgeschoben auf den 6. Dezember. Das Urteil soll am 7. Dezember fallen.

Von Nico Pointner, dpa
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