Der neue Wertebeauftragte der Innenverwaltung, Jörg Krauss, hat eindringlich strukturelle Probleme im Beförderungssystem der Polizei kritisiert. Seiner Einschätzung nach spielt die Kompetenz zu häufig keine Rolle bei Besetzungen. Vielmehr würden Auswahlverfahren vorweggenommen, sagte der Leiter der neuen Stabsstelle moderne Führungs- und Wertekultur der baden-württembergischen Innenverwaltung am Montag vor dem Untersuchungsausschuss zur Polizei-Affäre im Landtag in Stuttgart.
Gerade bei der Polizei habe sich eine gefährliche Kultur der gegenseitigen Unterstützung und Beförderung entwickelt, so seine erste Bilanz. Ein Knackpunkt in der gesamten Verwaltung sei, dass nur die Beurteilungsnote zähle, um auf einen bestimmten Dienstposten zu kommen. «Die Fachkompetenz für eine gewisse Stelle spielt verwaltungsgerichtlich keine Rolle.»
Er halte das Beförderungssystem in der Innenverwaltung für bearbeitungsbedürftig, antwortete Krauss auf die Frage eines Abgeordneten. Gerade bei der Polizei habe sich eine Kultur entwickelt, sich gegenseitig füreinander einzusetzen. Er bezeichnete es als Gefahr, wenn Vorgesetzte ihresgleichen beförderten. Wenn Kollegen von ganz unten nach ganz oben aufstiegen, verlören sie oft die Reflexion, die Distanz zu sich selbst.
Krauss, ehemaliger Amtschef des Finanzministeriums, ist erst seit kurzem Wertebeauftragter der Innenverwaltung. Den Posten gab es vorher nicht. Innenminister Thomas Strobl hatte die Stabstelle als Konsequenz aus der Polizei-Affäre eingerichtet. Die Affäre hatte auch den Untersuchungssausschuss zur Folge. Dabei geht es um die Beförderungspraxis bei der Polizei und um die Frage, wie der mittlerweile vom Dienst freigestellte Inspekteur der Polizei auf seinen hohen Posten kommen konnte. Er musste sich wegen Vorwürfen sexueller Nötigung vor dem Landgericht verantworten und wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hat Revision eingelegt.
Die Aussagen wichtiger Zeugen im Ausschuss hatten den Eindruck vermittelt, dass wichtige Positionen bei der Polizei mehr mit Postengeschacher, Machtmissbrauch und Klüngelei besetzt werden anstatt über das formale Beurteilungsverfahren.
Krauss berichtete am Montag vor dem Ausschuss, dass er bislang 600 Interviews auf seinem neuen Posten geführt habe. Er besuche Polizeipräsidien, Feuerwehren, Regierungspräsidien - und rechne am Ende seiner Tätigkeit mit 1800 Gesprächspartnern. Ein paar Punkte hätten sich bereits herauskristallisiert, so Krauss. Er hoffe, im Sommer Maßnahmen verkünden zu können - mit dem Ziel, «alle möglichen denkbaren Abhängigkeitsverhältnisse» zu verringern. Es gehe um die Länge der Besetzungsverfahren und die Transparenz von Beförderungen und Beurteilungen. Man werde sich «ganz tief reinknien», sicherte Krauss zu, um die Teamverantwortung bei der Polizei und die gegenseitige Achtsamkeit in den Dienstgruppen zu stärken.
Die Belastungssituation bei der Polizei sei zum Teil enorm, so Krauss. Es sei nun wichtig, «Selbstreinigung» zu ermöglichen. Die Führungskompetenz müsse gestärkt werden, zudem müsse ein einheitliches Führungsbild vermittelt werden. Angesichts der Kündigung von Ausbildungsverhältnissen werde zudem überlegt, wie man die Bindung an und die Identifikation mit der Polizei stärken könnte. Eine weitere Baustelle seien die mangelnden Ressourcen, so Krauss. Besonders Streifendienste seien sehr belastet, Meldedienste und Berichtspflichten hätten zuletzt deutlich zugenommen.
Krauss habe die richtigen Ansätze und sei reflektiert, sagte der SPD-Abgeordnete Boris Weirauch. Er stellte aber in Frage, ob Krauss die Rückendeckung aus dem Ministerium habe und auf die Worte nun Taten folgten. FDP-Innenpolitikerin Julia Goll sprach davon, dass das Beurteilungssystem der Polizei bewusst missbraucht worden sei. «Der Missbrauch wurde aktiv betrieben im Innenministerium.»
Die CDU-Abgeordnete Christiane Staab sagte, es brauche ein System, das die Polizistinnen und Polizisten ermuntere, zu Vorgesetzten zu gehen, wenn sie unzufrieden mit ihren Beurteilungen seien. Da dies in der Vergangenheit kaum passiert sei, sei man lange nicht von einem strukturellem Problem ausgegangen.
Es verdiene Anerkennung und nicht Häme, wenn eine Organisation wie die Polizei sich nun selbstkritisch mit sich selbst auseinandersetze, betonte der Grünen-Abgeordnete Oliver Hildenbrand. Er sprach von einem «kulturellen Wandel», der nun bei der Polizei stattfinde.
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