In fast allen ihrer zumeist sehr erfolgreichen Romane morden Frauen raffiniert und gern mit Gift. Vorzugsweise die eigenen Männer – um sich zu rächen. Aber auch Widersacherinnen und Erb-Opas werden von weiblichen Wesen mit Inbrunst aus dem Weg geräumt. Wie etwa in «Die Apothekerin», ihrem frühen, 1997 mit Katja Riemann verfilmten und bis heute vielgelesenen Bestseller. Am Montag (29. September) wird Noll 90 Jahre alt und kann das Morden noch immer nicht lassen: Ihr neustes Buch - «Nachteule» - ist gerade einmal einen Monat alt.
Als Beitrag zu feministischer Selbstermächtigung will die verwitwete Schriftstellerin ihre Bücher aber nicht verstanden wissen. «Weil ich mich besser in eine weibliche Figur eindenken kann, erzähle ich meine Geschichten aus der Sicht einer Frau. Meine Protagonistinnen haben in der Regel kein Glück in der Liebe und sind auch sonst keine Lichtgestalten, schließlich schreibe ich keine Liebesromane», sagt Noll der Deutschen Presse-Agentur. Fügt aber hintersinnig hinzu: «Und da die Heldin meistens an den falschen Kerl gerät, kommt es zur Katastrophe.»
Literaturpreise und Bundesverdienstkreuz fürs Morden
In Kurzgeschichten hat die mit dem renommierten Glauser-Ehrenpreis und dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnete Autorin den Spieß aber auch schon umgedreht und einen genervten Ehemann die Gattin loswerden lassen. «Zwar gelingt es mir wohl besser aus weiblicher Perspektive - doch vielleicht sollte ich das trotzdem noch mal riskieren», sinniert unternehmungslustig die in Weinheim (Baden-Württemberg) lebende Autorin, die nach wie vor jeden Tag viele Stunden am Schreibtisch verbringt.
Gerade hat Noll ihren jüngsten, in Ich-Form erzählten Roman «Nachteule» bei ihrem Stamm-Verlag Diogenes (Zürich) vorgelegt. Auch da gerät eine diesmal sehr junge und etwas exotische Frau, der Teenager Luisa, in eine prekäre Lage. Heimlich versteckt sie im Elternhaus einen Obdachlosen – der zwar ein kriminelles Gebaren an den Tag legt, zu dem sie sich aber erotisch stark hingezogen fühlt. Wie die Affäre ausgeht, wird hier natürlich nicht verraten.
Mit 55 gestartet und auf Anhieb ins Schwarze getroffen
Rund 20 Romane und zahlreiche Erzählungen hat Noll bereits verfasst, in 27 Sprachen wurden ihre Werke übersetzt. Somit ist sie eine der meistgelesenen deutschen Krimiautorinnen. Sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Schriftstellerin gewürdigt. Anlässlich ihres 85. Geburtstags sagte er, Noll habe das kulturelle Leben in Deutschland und das Krimi-Genre bereichert. «Greift man zu Ihren Büchern, so begegnen einem darin die großen Themen des Lebens: Liebe und Tod, Schuld und Sühne, Jugend und Alter», formulierte der Bundespräsident damals und sprach von Noll als der «Grande Dame des deutschen Krimis».
Dabei hat die in Shanghai (China) geborene und in Nanking aufgewachsene Arzttochter, die selbst mit einem Arzt verheiratet war, erst mit dem Schreiben begonnen, als ihre drei Kinder aus dem Haus waren – mit 55. Zuvor hatte sie ihren Haushalt versorgt, ihre Mutter, die 106 Jahre alt wurde, betreut und in der Praxis ihres Mannes mitarbeitet. Auf Anhieb traf sie mit ihrem Erstling «Der Hahn ist tot» (1991) bei einem vorrangig weiblichen Lesepublikum ins Schwarze.
Noll versteht sich nicht als Krimiautorin
Seither schließt Noll, die sich gar nicht als Krimiautorin, sondern als psychologische Schilderin menschlicher Zustände versteht, alle ein bis zwei Jahre ein Werk ab. «Ich habe schon wieder eine Idee für ein neues Projekt und werde so lange weiterschreiben, wie es mir und meinen Leserinnen Spaß macht», sagt sie.
Oft zehrt Noll dabei sehr direkt von eigenen Erlebniswelten. Wie auch in «Nachteule» – dazu bekennt die Autorin: «Meine Romanheldin Luisa lebt zwar in einer anderen Zeit und völlig anderen Umständen, aber sie hat doch etwas mit mir gemeinsam: Sie fühlt sich als Außenseiterin. Ich kam 1949 als Teenager wie ein Alien aus China nach Deutschland und hatte vor allem den sehnlichen Wunsch, Freundinnen zu finden und keine Exotin sein. Nach etwa einem Jahr hatte ich mich zum Glück akklimatisiert.»
Asiatische Gelassenheit ist eine Stärke von Ingrid Noll
Welche Rolle haben eventuelle Prägungen im fernen Riesenreich im Laufe ihres Lebens gespielt? «Ich bin zwar in China aufgewachsen, aber damals lebten die meisten Ausländer bedauerlicherweise in einem eher kolonialen Stil. Man sagt mir allerdings nach, dass ich auf prekäre Situationen mit fast asiatischer Gelassenheit reagiere», antwortet Noll.
Und erinnert sich: «Als ich in den 90er Jahren meinen Bruder in China besuchte, musste bei einem inländischen Flug die Maschine notlanden. Die wenigen europäischen Geschäftsleute regten sich wahnsinnig auf. Die Chinesen hielten dagegen ein Nickerchen, ich ebenso – irgendwann hatte sich der Orkan gelegt und es ging weiter.»
Chinesische Farbholzstiche und Teppiche schmücken noch heute ihr Haus. Außerdem sammelt Noll, die Kunstgeschichte und Germanistik an der Uni Bonn studierte, alte chinesische Cloisonné-Döschen. «Mentale und ästhetische Traditionen sind mir vertraut. Politische, militärische und wirtschaftliche Tendenzen im heutigen China dagegen sehr fremd», sagt die Schriftstellerin.
Mord ist nicht die beste Lösung
Und was rät sie aufgrund ihrer langen Lebenserfahrung Frauen – und Männern -, die den Partner am liebsten von hinten sehen möchten? «Womöglich gibt man in der heutigen Zeit allzu schnell auf, wenn es kriselt», erklärt die bald 90-Jährige, «abgesehen davon halte ich Mord nicht für die eleganteste Lösung».
Von Ulrike Cordes, dpa
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