Die DFB-Elf ist im EM-Viertelfinale an Spanien gescheitert.
Tom Weller/dpa
Die DFB-Elf ist im EM-Viertelfinale an Spanien gescheitert.
Fußball-EM

«Nicht verdient»: EM-Endstation nach Spanien-Schock

Aus und vorbei. Der große Rivale Spanien ist für die leidenschaftlich aufspielende Nationalmannschaft nicht zu knacken. Das EM-Heimturnier endet nach tollem Kampf mit einer bitteren Enttäuschung.

Julian Nagelsmann sprach mit ruhiger Stimme, doch emotional wirkte der Bundestrainer schwer mitgenommen. Aus den Boxen dröhnte laute Partymusik, als Nagelsmann versuchte, das EM-Aus der Fußball-Nationalmannschaft im Viertelfinale gegen erneut unschlagbare Spanier irgendwie zu erklären. «Heute war es nicht verdient», sagte Nagelsmann bei MagentaTV. «Wir haben mehr investiert, aber am Ende sind sie die Glücklicheren.»

In der Kabine waren auch Toni Kroos zu seinem Abschied und Joshua Kimmich für die aufbauenden Worte verantwortlich, wie Nagelsmann berichtete. Der 34 Jahre alte Kroos erlebte beim 1:2 (1:1, 0:0) in Stuttgart sein letztes Spiel als Profifußballer, und es endete auf die schmerzhafteste Art und Weise. Nach einer mitreißenden Aufholjagd und aufopferungsvollem Kampf traf Spaniens Mikel Merino in der 119. Minute - wenigstens das Elfmeterschießen hätten Kroos und die DFB-Auswahl verdient gehabt. 

«Wir hätten ihm gerne einen schöneren Abschied beschert, weil er es verdient hätte», sagte Nagelsmann über Kroos. «Er ist einfach ein toller Typ mit einer außergewöhnlichen Karriere, Vorbild für viele.» Nur muss es jetzt ohne Kroos gehen. Für die WM 2026 rief Nagelsmann etwas später am Abend den Titel als Ziel aus. «Was soll ich sagen, dass wir in der Vorrunde ausscheiden, natürlich wollen wir Weltmeister werden, das will jede Mannschaft, die teilnimmt in der Quali», sagte der Bundestrainer. 

Bei den Tausenden Fans auf den Tribünen des Stuttgarter Stadions und in den Fanzonen im ganzen Land waren die Tränen geflossen. Der Traum vom vierten EM-Titel ist nach drei beschwingten Wochen mit Torfesten und Gute-Laune-Spielen zwei Schritte vor dem Finale zu früh vorüber. Der überragende Florian Wirtz (89.) hatte die Nationalmannschaft mit seinem Tor für eine Drangphase voller Mut und Siegeswille belohnt und in die Verlängerung gerettet. Spanien war durch den Leipziger Dani Olmo (51. Minute) in Führung gegangen.

«Die Enttäuschung ist riesig, so eine Heim-EM kommt nur einmal im Leben», sagte Kimmich. «Viel können wir uns nicht vorwerfen, außer, dass wir die Chancen nicht gemacht haben. Bitter, sehr bitter.» 

Kroos' bitter Abschied

Der am Ende von Krämpfen gepeinigte Kroos wurde nach seinem 114. Länderspiel auch von vielen spanischen Spielern in den Arm genommen. Wie es für die anderen Rio-Weltmeister Manuel Neuer und Thomas Müller in der Nationalmannschaft weitergeht, ist abzuwarten. 

«Wir haben alle alles reingelegt, um nicht zu verlieren. Da waren wir sehr nah dran, umso bitterer ist es», sagte Kroos. «Im Moment überwiegt das Turnier-Aus, das steht im Vordergrund, weil wir alle gemeinsam ein großes Ziel hatten. Dieser Traum ist ein Stück weit geplatzt, auch wenn wir in den nächsten Tagen realisieren, dass wir ein gutes Turnier gespielt haben.» Es gehöre dazu, «dass wir alle extrem traurig sind».

Das große Aufbäumen mit Fan-Liebling Niclas Füllkrug und die beste Turnierleistung nach dem Gegentor wurden nicht belohnt – diesmal konnte auch der deutsche Super-Joker das Glück nicht erzwingen. Während die Furia Roja, bei der Daniel Carvajal Gelb-Rot sah (120.+5), um ihren vierten EM-Stern spielt, geht es für Bundestrainer Nagelsmann zu früh in den Urlaub, seinen 37. Geburtstag in gut zwei Wochen wollte der jüngste deutsche Turniertrainer eigentlich mit dem EM-Pokal feiern.

Geschlagen, aber nicht gebeugt verlassen die DFB-Profis um Kapitän Ilkay Gündogan die EM-Bühne. Aus der deutschen Fußball-Depression aus dem Spätherbst 2023 ist tatsächlich eine Aufbruchstimmung entstanden. Völlig losgelöst - wie im recycelten Fan-Hit - geht es Richtung WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko weiter.

Viele Fouls und Unterbrechungen

«Nicht verstecken!», hatte Nagelsmann für das Viertelfinale vorgegeben - und dafür überraschend Emre Can statt Robert Andrich für die Startelf nominiert. Die Anspannung war den Nationalspielern in der Anfangsphase aber deutlich anzusehen. Nach Pedris Schuss schon nach 52 Sekunden, einem Aufreger, mit dem Neuer keine Probleme hatte, hatte die DFB-Auswahl große Mühe, in die Partie zu finden. 

Wegen vieler Fouls und Nickeligkeiten kam kaum Spielfluss zustande, Kroos hatte großes Glück, dass eines seiner beiden Fouls in den ersten fünf Minuten nicht direkt mit der Gelben Karte bestraft wurde. Der Weltmeister erwischte Pedri so, dass dieser früh angeschlagen ausgewechselt wurde (8.). Für den 21 Jahre alten Lenker und Denker der Spanier kam Olmo in die Partie.

Zeichen setzen, die Spanier einschüchtern - der Gedanke hinter dem deutschen Auftakt in das Alles-oder-Nichts-Spiel war zu erkennen. Nur verhalf das harte Gegenhalten der DFB-Auswahl nicht zu ihrer spielerischen Sicherheit. Symptomatisch: Nach einem Fehler von Gündogan stürmte Olmo auf Neuers Tor zu, Antonio Rüdiger ging mit einem Foul dazwischen und sah seine zweite Gelbe Karte im Turnier.

Kaum Raum für Musiala 

Wenn was in der Offensive ging, dann über die rechte Seite. Joshua Kimmich bediente in der Mitte Kai Havertz, dessen Kopfball aber zu zentral auf den spanischen Torwart Unai Simón kam (21.). Die beiden offensiven Flügel, Jamal Musiala und Leroy Sané, fanden zunächst nicht den Raum für ihre Technik und ihre Schnelligkeit. Wie die Dänen im Achtelfinale (2:0) schienen die Spanier Musiala als den Deutschen ausgemacht zuhaben, den es aus dem Spiel zu nehmen gilt. Der linke Schienenspieler David Raum konnte sich hinter Musiala in der Rückwärtsbewegung zu oft nur mit Fouls behelfen.

Spanien spielte nicht immer auf Weltklasseniveau. Auch das punktbeste Team der Vorrunde brachte nicht alle Pässe an den Mann und hatte Mühe mit dem frühen Pressing der Nationalmannschaft. Der englische Schiedsrichter Anthony Taylor hätte in den ersten 45 Minuten mehr als die drei Gelben Karten zeigen können. Ein Spiel «auf hohem taktischem Niveau», sagte Ex-Nationalspieler Michael Ballack mit viel Spanien-Erfahrung bei MagentaTV über die erste Halbzeit. Früh war klar: Wer in Rückstand gerät, wird große Probleme haben.

Neuer musste auch bei den Abschlüssen von Aymeric Laporte (23.) und Olmo (39.) eingreifen. Der Chance des eingewechselten Spielmachers ging ein schneller Ballgewinn der Spanier gegen den zu passiven Havertz voraus. Mit dem 0:0 zur Pause konnten die deutschen Nationalspieler zufriedener sein als die Spanier.

Nagelsmann korrigiert - Olmo trifft

Auch deshalb korrigierte Nagelsmann zur zweiten Halbzeit seine Personalentscheidungen: Für Can kam Robert Andrich, statt Sané spielte Florian Wirtz mit. Die nächste richtig gute Chance hatten aber die Spanier: Álvaro Morata setzte sich im Strafraum gegen Jonathan Tah durch und kam zum Abschluss, der noch über das Tor von Neuer ging (47.). Doch der nächste Schuss der Spanier saß.

Raum war gegen Spaniens Supertalent Lamine Yamal viel zu passiv, in der Mitte ließ Kroos Olmo zu viel Raum. Der 26-Jährige schloss flach und platziert ab - und die Spanier feierten. Jetzt wurde es ganz schwer für die DFB-Auswahl.

Die Fans auf den Rängen feuerten «Super Deutschland!» an, doch der Rückstand hemmte die Nationalspieler. Andrich sah nach einem Foul an Nico Williams die Gelbe Karte (56.) Dann brachte Nagelsmann für Gündogan Publikumsliebling Füllkrug in die Partie, der Stürmer lief unter lauten Jubelrufen der Fans auf den Rasen (57.).

Der DFB-Auswahl lief die Zeit davon. Immer wieder rannte sich Deutschland am spanischen Strafraum fest oder hatte Pech wie beim Pfostentreffer von Füllkrug. Für die Schlussphase kam Müller für Tah in die Partie (80.), es zählte nur noch, irgendwie den Ausgleich zu machen. Dann kam Wirtz und verwandelte nach Vorlage von Kimmich. Die Entscheidung musste in der Verlängerung fallen, in der wieder Wirtz nur ganz knapp vorbei schoss (105.+1). Dann kam der bittere Nackenschlag kurz vor dem Elfmeterschießen.

Arne Richter, Klaus Bergmann, Ulrike John, Christoph Lother und Jan Mies, dpa
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