In der letzten Phase vor seinem neuen Weltrekordprojekt lässt es Jonas Deichmann für seine Verhältnisse ruhig angehen - notgedrungen. «Also eigentlich fehlt mir Sport», sagt er. Sein Pensum in den finalen Tagen vor dem Start der Challenge120: Zwei bis drei Stunden pro Tag. Für einen wie Deichmann praktisch nichts. Ab Donnerstag stehen dem Extremsportler 12-Stunden-Intensiv-Triathlon-Tage bevor. Und das 120 Mal nacheinander. Ruhetage: Null.
Deichmann will in und um Roth 120 Mal den Triathlon-Langstreckenklassiker schlechthin absolvieren: 120 Mal 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,2 Kilometer laufen. Macht in Summe 27.120 Kilometer im Wasser, auf dem Rad und zu Fuß. «Ich bin in absoluter Top-Form und habe einfach Bock. Ich bin heiß drauf», sagt der 37-Jährige in einem Gespräch der Deutschen Presse-Agentur.
Größte Herausforderung steht bevor
Aber wie schafft man das? Wie motiviert man sich? «Ich habe natürlich meinen großen Meilenstein im Kopf, meine Visionen», erklärt Deichmann, der schon viele nahezu unvorstellbare Ausdauerleistungen vollbracht hat. Seien es 23.000 Kilometer mit dem Rad von Alaska nach Ushuaia in weniger als 100 Tagen. Sei es mit dem Rad von New York nach Los Angeles und zurückzulaufen. «Das nächste Projekt wird aber die bislang größte Herausforderung», betont Deichmann selbst auf seiner Homepage.
Geboren 1987 in Stuttgart, legte Deichmann 2012 an der Universität von Jönköping in Schweden seinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften ab, zwei Jahre später folgte ein Master in Wirtschaft und Entwicklung an der Wirtschaftsuniversität von Kopenhagen in Dänemark. Nachdem er von 2015 bis 2017 als Sales Manager bei einer schwedischen IT-Firma gearbeitet hatte, wurde aus Deichmann ein «selbstständiger Abenteurer, Extrem-Athlet, Autor und Redner».
Extrem-Ausdauersport trifft Fußball
Jüngst erst war er bei der SpVgg Unterhaching. Aber auch bei den Münchner Bayern erzählte Deichmann schon von seinen Unternehmungen, als Julian Nagelsmann dort noch Trainer war. Profifußballern werde ja vieles abgenommen. «Und da ist es so ein bisschen unvorstellbar für viele Fußballer, dass man solche Projekte wie bei mir alleine macht», erzählte Deichmann.
Er wird die zusammengerechnet 456 Kilometer ohne Hilfe Schwimmen müssen, er wird die 21.600 Kilometer auf seinem Triathlonrad ohne Hilfe fahren müssen, und er wird auch die 120 Marathons ohne Hilfe laufen müssen. Gleichwohl dürfte er nebst unter anderem medizinischer Betreuung selten alleine sein. Aber auch das ist Deichmann von seinen Touren gewohnt. Er reißt Menschen mit, er begeistert mit seiner Begeisterung.
«Ich habe mittlerweile so viel Feedback bekommen von Leuten, die sich angekündigt haben, die da sein oder mitmachen wollen. Das wird ein richtiger Volkslauf am Ende», meinte Deichmann. Bis zum letzten Kilometer der Challenge120 am frühen Abend des 5. September ist es für Deichmann aber noch ein weiter Weg.
Aber so denkt der Extremsportler nicht, der auch schon den Spitznamen «Deutscher Forrest Gump» bekam. «Ich sage immer, ich renne von Schokoriegel zu Schokoriegel», beschrieb er einmal seine Herangehensweise. Er denke sich nicht: «Oh, es sind noch 5000 Kilometer und ich habe Gegenwind, sondern: Hey, in 20 Kilometern kommt eine Tankstelle und da gibt es einen Schokoriegel. Geil, darauf freue ich mich.»
Der Meilenstein im Kopf
Mit Schokoriegeln wird es auch bei der Challenge120 nicht getan sein. Gegen Mittag plant er Tag für Tag eine kleine Pause zum Essen: Pasta oder Ähnliches wird es dann geben. Kohlenhydrate einerseits, leicht bekömmlich andererseits. Danach geht es weiter. Nach dem Start um 7.00 Uhr im Rothsee - wird er gegen 18.40 Uhr im Ziel erwartet, das in 119 Fällen am Büro des Challenge-Teams ist.
Am 7. Juli wird Deichmann in der Triathlon-Arena einlaufen, die einmal im Jahr auch zur Traumerfüllung tausender Athletinnen und Athleten aus der ganzen Welt wird. Der Extremsportler wird bei den Profis am Start sein bei der Challenge Roth, dem größten Langdistanz-Event. Bis auf die Schwimmstrecke wird es für ihn die gleiche Route sein, beim Rennen geht es aber statt in den Rothsee in den Main-Donau-Kanal.
Für Deichmann wird es die Halbzeit, Nummer 60 sein. «Das habe ich natürlich im Kopf als Meilenstein», sagt er. Dann wird er auch den Gänsehaut-Faktor Solarer Berg so richtig kennenlernen, wenn Zehntausende die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einem engen Spalier wie bei einer Alpenetappe der Tour de France nach oben schreien. Am Tag danach wird Deichmann Zeuge der restlichen Aufräumarbeiten.
Wenn körperliche Erschöpfung wunderschön ist
Eine «wahnsinnige mentale Herausforderung» sei das Vorhaben, betonte die ehemalige Hawaii- und zweimalige Roth-Siegerin Anne Haug. Als «beispiellos» stufte Challenge-Roth-Renndirektor Felix Walchshöfer Deichmanns Projekt ein.
Der bisherige Rekord liegt bei 105 Langdistanzen nacheinander. Auf die 120 kam Deichmann, weil er die Distanz zusammengerechnet bei seinem Triathlon um die Welt absolviert hatte. Er finde körperliche Erschöpfung wunderschön, erklärt Deichmann einmal: «Der Zustand, sich zu erholen, nachdem man wirklich Gas gegeben und viel geleistet hat, ist ein tolles Gefühl.» Es mal ruhig angehen lassen, ist einfach nicht sein Ding.
Von Jens Marx, dpa
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