Scharfe Kritik der Opposition, etwas andere Töne von der Ampel - der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe im Ahrtal ist auf ein vielstimmiges Echo gestoßen. Während Vertreter der Opposition mit der Rolle der Landesregierung und nachgeordneter Behörden in der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli und danach hart ins Gericht gehen, wird an anderer Stelle die Außergewöhnlichkeit der Flut betont. Die regierungstragenden Fraktionen verweisen auf Versäumnisse eines Ex-Landrats.
Was ist in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 an der Ahr passiert?
Extremer Starkregen löste in verschiedenen Teilen von Rheinland-Pfalz Flutwellen aus. Besonders hart traf es das idyllische Ahrtal. 135 Menschen kamen dort bei einer der schwersten Katastrophen in der Bundesrepublik Deutschland ums Leben. Einer gilt weiterhin als vermisst. Mindestens 766 Menschen wurden verletzt. Viele sind traumatisiert.
Das Hochwasser setzte auch Teile der Eifel unter Wasser - ein Mensch kam dabei ums Leben. In Trier wurde der Stadtteil Ehrang geflutet, im Kreis Trier-Saarburg stand Kordel unter Wasser. Auch das benachbarte Nordrhein-Westfalen war betroffen. Zehntausende Häuser im Ahrtal und die Eisenbahnstrecke wurden zerstört oder schwer beschädigt, Straßen und Brücken weggespült. Noch immer stehen Gebäude leer, werden abgerissen oder wieder aufgebaut.
Um was genau drehte sich die Ausschussarbeit?
Der Ausschuss sollte herausfinden, welche Informationen und Prognosen vom 10. Juli 2021 bis 13. Juli 2021 - also unmittelbar vor der Flut - vorlagen und welche Entscheidungen vom 14. bis 15. Juli von der Landesregierung, nachgeordneten Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen getroffen wurden.
Außerdem ging es darum, wie die Bewältigung der Katastrophe in der Zeit vom 16. Juli bis zur Einsetzung eines Beauftragten der Landesregierung vor Ort am 6. August 2021 organisiert und umgesetzt wurde. Es ging also um einen recht engen Zeitraum. Im Blick waren die Arbeit im Kreis Ahrweiler, die der für Katastrophenschutz zuständigen Behörde ADD, des Umweltministeriums sowie des untergeordneten Landesamtes für Umwelt.
Wie oft ist der Untersuchungsausschuss zusammengekommen?
Er wurde auf Initiative der CDU einberufen und tagte seit Oktober vor drei Jahren 47 Mal oder 294 Stunden. Davon waren etwa 40 Stunden nicht-öffentlich. 226 Zeugen wurden vernommen, einige mehrfach. Dazu kamen 23 Sachverständige, von denen drei jeweils dreimal gehört wurden.
In elektronischer Form lagen dem Ausschuss mehr als eine Million Dateien mit einem Umfang von insgesamt rund 560 Gigabyte vor. Es entstanden mehr als 7.000 Protokollseiten.
Warum fordert die Opposition den Rücktritt von Linnertz und Manz?
Grob gesagt sieht die Opposition bei Umweltstaatssekretär Erwin Manz (Grüne) und ADD-Präsident Thomas Linnertz große Versäumnisse. Der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, spricht von einem «Versagen von staatlichen Strukturen im weiteren Sinne» in den Tagen vor, während und nach der Flut. Menschliches Versagen habe für unterbliebene Warnungen und nicht erfolgte Evakuierungen eine wesentliche Rolle gespielt. Die damalige Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) und der damalige Ahr-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) seien nicht mehr im Amt, Linnertz sowie Manz aber sehr wohl, sie hätten ergo bislang noch nicht die Verantwortung für ihre Fehler, Versäumnisse und Pflichtverletzungen übernommen.
Die drei CDU-Vertreter im Ausschuss, Dirk Herber, Marcus Klein und Anette Moesta, sprechen in den Fällen von Manz und Linnertz von «mehrfach und detailliert nachgewiesener Unfähigkeit». «Dass beide Herren weiter im Amt sind, ist eine schwer zu ertragende Ignoranz gegenüber den Menschen unseres Landes und insbesondere gegenüber der vielen Opfern im Ahrtal.» AfD-Obmann Jan Bollinger macht die beiden neben den zurückgetretenen Ministern als diejenigen aus, die in besonderem Maße durch ihr Fehlverhalten die Katastrophe verschlimmert hätten. «Sie sollten daher entlassen werden», sagte Bollinger.
Was sagen die Ampel-Fraktionen?
Nach ihrer Einschätzung zog sich das Versagen von Ex-Landrat Pföhler wie ein roter Faden durch den Ausschuss, so schreiben es die Obleute Nico Steinbach (SPD), Carl-Bernhard von Heusinger (Grüne) und Philipp Fernis (FDP) in einer gemeinsamen Mitteilung. Sie werfen ihm mangelnde Vorsorge, das unterbliebene Einrichten eines Verwaltungsstabes, das Nicht-Greifbar-Sein als oberster zuständiger Katastrophenschützer in der akuten Lage, ein Weg-Delegieren von Verantwortung und die verspätete Warnung der Bevölkerung vor.
Außerdem unterstreichen die Ampel-Vertreter, die Flutkatastrophe sei ein «in seinen Ausmaßen und Abläufen singuläres und so nicht vorhersehbares Ereignis» gewesen. Die schrecklichen Folgen seien durch eine Konstellation verschiedener spezifischer unter anderem meteorologischer und geologischer Faktoren im Ahrtal verstärkt worden.
Was ist aus den Ermittlungen gegen den Landrat geworden?
Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den damaligen Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und einen seiner engen Mitarbeiter aus dem Krisenstab nach rund zweieinhalb Jahren Mitte April 2024 eingestellt. Dabei ging es auch um fahrlässige Tötung durch Unterlassen. Die Anklagebehörde kam unter anderem zu dem Schluss, dass es sich um eine außergewöhnliche Naturkatastrophe gehandelt habe, deren extremes Ausmaß für die Verantwortlichen des Landkreises Ahrweiler nicht konkret vorhersehbar gewesen sei. Hinterbliebene von Opfern wollen mithilfe von Gutachten die Wiederaufnahme der Ermittlungen erreichen. Darüber entscheidet die Generalstaatsanwaltschaft.
Explizite Kritik an der Staatsanwaltschaft äußert der Obmann der Freien Wähler im U-Ausschuss, Wefelscheid. Er hätte sich die Zusammenarbeit mit der Behörde anders vorgestellt. Der Ausschuss habe die Behörde immer und umfassend mit Erkenntnissen versorgt, «umgekehrt war dies leider meines Erachtens nicht immer der Fall».
Die Einstellung der Ermittlungen hatte in der Vergangenheit der Anwalt einiger Hinterbliebener, Christian Hecken, mehrfach scharf kritisiert. Der Abschlussbericht sei nun Ausdruck des «fehlenden politischen und gesellschaftlichen Willens», die Entscheidung der Staatsanwaltschaft und die Tätigkeit des Justizministers Herbert Mertin (FDP) kritisch zu hinterfragen.
Welche Konsequenzen hat die Landesregierung gezogen?
Die damalige Umweltministerin Anne Spiegel und Innenminister Lewentz (SPD) traten im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Katastrophe aus unterschiedlichen Gründen zurück. Bei Spiegel - damals schon Bundesfamilienministerin - ging es im April 2022 um den Umgang mit einem Frankreich-Familienurlaub zehn Tage nach der Katastrophe.
Lewentz war während der Aufarbeitung der Katastrophe im U-Ausschuss zunehmend unter Druck geraten, auch weil Polizeidokumente und Videos zur Flutnacht erst spät auftauchten. Er trat im Oktober 2022 mit der Begründung zurück: «Heute übernehme ich für in meinem Verantwortungsbereich gemachte Fehler die politische Verantwortung.»
Die ehemalige Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), die sich im Juni 2024 aus anderen Gründen aus ihrem Amt zurückgezogen hat («Kraft geht aus»), hatte die Flutkatastrophe und das damit verbundene Leid immer wieder zutiefst bedauert und den Menschen ihr tiefes Mitgefühl ausgesprochen. Sie sprach von einer «Zäsur» - und von einer Naturkatastrophe, entschuldigte sich auch deshalb nicht förmlich für die Ereignisse, was ihr viele vorwerfen.
Ihr Nachfolger Alexander Schweitzer (SPD) hat den Wiederaufbau des Ahrtals zu einem seiner Regierungsschwerpunkte gemacht. Am dritten Jahrestag der Katastrophe - kurz nach seiner Vereidigung - war er in der Region unterwegs.
Eine organisatorische Konsequenz ist, dass der Katastrophenschutz neu strukturiert wird, ein Lagezentrum für Bevölkerungsschutz in Koblenz kommt. Das soll das Herzstück des neuen Landesamtes für Brand- und Katastrophenschutz werden.
Von Christian Schultz und Ira Schaible, dpa
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