Für Alexander Schweitzer läuft die Debatte über das Bürgergeld bisweilen in die falsche Richtung.
Arne Dedert/dpa
Für Alexander Schweitzer läuft die Debatte über das Bürgergeld bisweilen in die falsche Richtung.
Soziales

Schweitzer wünscht sich anderen Fokus in Bürgergeld-Debatte

Hitzig läuft die Debatte über das Bürgergeld. Der Ministerpräsident beobachtet bei manchem Politiker Erinnerungslücken. FDP-Fraktionschef Fernis sieht an einer Stelle großes Einsparpotenzial.

Der neue rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) wünscht sich einen anderen Fokus in der Debatte über das Bürgergeld. «Vor allem über Leistungskürzung zu sprechen, das ist etwas, damit kann man sonntags in der Talkshow den Puls hochtreiben», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. «Mit der Realität vieler Menschen, die vielleicht arbeiten wollen, aber aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht in den Arbeitsmarkt kommen, obwohl wir dort einen Arbeitskräftebedarf haben, hat das ganz wenig zu tun.» 

Es müsse genau hingeschaut werden, riet Schweitzer, der zuvor Arbeits- und Sozialminister unter der damaligen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) war. Wer sei tatsächlich in der Nähe des Arbeitsmarktes, wen müsse man dorthin bringen? 

«Das Bürgergeld kann nicht so etwas sein wie ein bedingungsloses Grundeinkommen.» Vielmehr solle es helfen, eine Lebensphase zu überbrücken, aus der heraus Menschen dann wieder in Arbeit kommen müssten. «Das ist die Aufgabe der Jobcenter, aber auch die Aufgabe der Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger», sagte Schweitzer. Auch sie müssten ihren Beitrag dazu leisten. 

Fokus auf Integration in den Arbeitsmarkt

Gleichzeitig müsse gesehen werden, dass auch viele Menschen arbeiteten und gleichzeitig Bürgergeld beziehen würden, die sogenannten Aufstocker. Diese Menschen betreuten etwa Kinder oder pflegten Angehörige. In Rheinland-Pfalz gibt es nach seinen Worten das Projekt «Jobcoach24+», das Bürgergeld-Bezieher eng begleitet, Weiterbildung fördert und auch bei der Kinderbetreuung hilft.

Zentrale Frage müsse sein, wie Menschen wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden könnten. «Da sehe ich einen Schwerpunkt, dann macht für mich die Diskussion über das Bürgergeld auch wieder mehr Sinn.» 

Eine Integration in den Arbeitsmarkt hält auch der Fraktionsvorsitzende der FDP im Landtag in Mainz, Philipp Fernis, für wichtig. Eine zentrale Frage sei, ob sich Arbeit lohne oder nicht, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Arbeit müsse sich aber immer für zwei lohnen: für den, der arbeite, und den, der Arbeit gebe. «Das muss man austarieren. Nur so können auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden», betonte Fernis. 

«Ich glaube, da ist manches beim Bürgergeld nicht richtig, was die Frage der Attraktivität von Beschäftigung angeht.» Deswegen sei er für ein Nachsteuern, sagte Fernis. «Nicht, weil ich möchte, dass es Menschen schlechter geht, sondern weil ich möchte, dass der Anreiz, morgens früh aufzustehen, ein bisschen größer ist.» 

Fernis verweist auf Chancen der Digitalisierung

Auf Bundesebene hatte zuletzt etwa CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann mit der Forderung für Aufsehen gesorgt, mehr als 100.000 Menschen das Bürgergeld komplett zu streichen. «Die Statistik legt nahe, dass eine sechsstellige Zahl von Personen grundsätzlich nicht bereit ist, eine Arbeit anzunehmen», hatte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe gesagt. Grüne, Linke und Sozialverbände warfen ihm daraufhin Populismus und Volksverhetzung vor und stellten die von Linnemann genannte Größenordnung infrage.

Für geboten hält der rheinland-pfälzische FDP-Fraktionschef Fernis eine Verschlankung der Verwaltung beim Bürgergeld. «Wenn Sie sich mal angucken, was ein Bürgergeldempfänger bekommt und was er kostet, dann bin ich überzeugt, dass in diesem System enorme Einsparpotenziale liegen, ohne einem Menschen einen Euro wegzunehmen.» Mit Hilfe der Digitalisierung, auch mit KI, könnten staatliche Aufgaben hochgradig effizienter erledigt können. «Dadurch können wir enorme Mittel einsparen.» Er sei mit dem Digitalausschuss des Landtages zu Besuch in Estland gewesen. Dort zeige sich, was in einem europäischen Land unter europäischem Datenschutzrecht an Verwaltung möglich sei, ohne dass es dafür einen Menschen brauche. 

Schweitzer: «Einige können sich offensichtlich nicht mehr erinnern»

Mit Blick auf die in den vergangenen Wochen deutschlandweit recht emotional geführte Debatte um das Bürgergeld ergänzte Ministerpräsident Schweitzer, es dürfe nicht übersehen werden, dass die Änderungen beim Bürgergeld auf einen parteiübergreifenden Bund-Länder-Kompromiss zurückgegangen seien. Auch CDU-geführte Länder hätten seinerzeit mit am Tisch gesessen. 

«Ich kann mich noch erinnern, wer da alles mit am Tisch saß», erzählte Schweitzer. «Einige können sich offensichtlich nicht mehr erinnern, dass sie mitdiskutiert und mitbeschlossen haben.» Auf Seiten der Ampel-Vertreter habe es die Hoffnung gegeben, dass die beteiligten Unionspolitiker öffentlich genauso vehement für den Kompromiss eintreten. «Das war, glaube ich, im Nachgang ein Fehlschluss.»

 

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