Rheinland-Pfalz-Monitor bringt Unzufriedenheit zutage
Wie ticken die Rheinand-Pfälzer politisch? Zu dieser Forschungslücke liegen jetzt erste Ergebnisse vor. Dabei sorgen mittelgroße Städte für eine Überraschung.
Wie ticken die Rheinand-Pfälzer politisch? Zu dieser Forschungslücke liegen jetzt erste Ergebnisse vor. Dabei sorgen mittelgroße Städte für eine Überraschung.
Drei Viertel der Rheinland-Pfälzer rechnen nach einer repräsentativen Umfrage mit einer Verschlechterung der gesellschaftlichen Lage. Die Zufriedenheitswerte mit ihrer eigenen Situation sind jedoch genauso hoch. «Es wird schon alles den Bach runter gehen, aber ich werde es noch schaffen», fasste Projektleiter Uwe Jun am Mittwoch in Mainz dieses Ergebnis des ersten Rheinland-Pfalz-Monitors zusammen. Einen Grund für «den Zukunftspessimismus» sieht Jun in der Unübersichtlichkeit. «Die Menschen spüren, dass sie die Komplexität der Welt nicht mehr so richtig erfassen können.» Ein Überblick über die Ergebnisse der ersten wissenschaftlichen Vermessung der politischen Einstellung der Rheinland-Pfälzer:
Die aktuell wichtigsten politischen Probleme
Flüchtlinge, Einwanderung, Asylpolitik und Integration halten die meisten (15 Prozent) für das drängendste Problem. Gefolgt von Bildung und Schule (14 Prozent) sowie Mobilität und Infrastruktur (12 Prozent). Klimaschutz rangiert nur auf Platz acht. Und obwohl Mehrfachnennungen möglich waren, nannte keiner der Befragten Ausländerfeindlichkeit/Rassismus oder Mindestlohn/Löhne oder den Ukraine-Krieg.
Einstellung zur Demokratie
Fast 90 Prozent der Befragten sagen, die Demokratie ist die beste Staatsform. Meinungsfreiheit (29 Prozent) und Mitbestimmung/Wahlrecht (28 Prozent) werden als größte Vorteile der Demokratie genannt. Die Zustimmung zur Demokratie ist mit höherem Bildungsabschluss und höherem Einkommen stärker ausgeprägt. Um so jünger, desto häufiger wird die Demokratie nicht als beste Staatsform gesehen. Die zeitliche Distanz zu den Diktaturen in Deutschland und die hohe Präsenz von Parteien in den sozialen Netzwerken, die Distanz zur Demokratie ausdrücken, nennt Jun als mögliche Gründe.
Zu lange Entscheidungsprozesse werden als größter Nachteil (13 Prozent) der Demokratie genannt, aber auch an Platz vier (9 Prozent) Kompromisse und Koalitionen. Nach Einschätzung Juns «etwas bedenklich», weil diese ein zentrales Merkmal der Demokratie seien. Dies gelte auch für die Einstellung zur Meinungsfreiheit: Mehr als ein Drittel der Befragten (35 Prozent) äußerte Zweifel daran. Die Menschen wollten auch mehr direkte Demokratie und Mitbestimmung. «Eine Diskussion, die man noch mehr führen sollte», sagte Jun. Landtagspräsident Hendrik Hering sprach von «einem erschreckenden Befund».
Politische Selbstverortung
«Die Menschen verorten sich in der politischen Mitte», sagte Jun. Der Durchschnitt auf einer Skala von links (0) bis rechts (10) liege in Rheinland-Pfalz bei 4,8 und damit genau im Bundesschnitt.
Zufriedenheit mit der Landesregierung und dem Landtag
«Die Menschen machen keine große Unterscheidung zwischen der Landesregierung und dem Landtag», stellte Jun fest. Mit der Arbeit der Landesregierung sind 45 Prozent sehr zufrieden oder zufrieden, mit der des Landtags 43 Prozent. Beim Landtag gibt es aber mehr Unentschlossene, zehn Prozent hatten keine Meinung oder machten keine Angaben, bei der Bewertung der Landesregierung nur drei Prozent.
Von den drei Hauptzielen der Ampel-Koalition kommt das am wenigsten umstrittene - Innenstädte der Zukunft gestalten - am besten weg. 91 Prozent finden das wichtig. Dass Rheinland-Pfalz bis 2040 klimaneutral werden soll, halten zwei Drittel für wichtig. Den Ausbau zum führenden Biotechnologiestandort 59 Prozent.
Einstellung zur Gerechtigkeit
«Die Mehrheit der Rheinland-Pfälzer ist der Meinung, dass es nicht gerecht zugeht», berichtete Jun. 54 stimmten dieser Aussage zu. Je geringer der formale Bildungsgrad und je geringer das Einkommen der Befragten, desto stärker war dieser Eindruck; Frauen hatten ihn öfter als Männer. Menschen mit Migrationshintergrund seltener. Unterschiede zwischen den Altersgruppen gab es dagegen nicht.
Unterschiede in den Einstellungen zwischen Stadt und Land
«Die zufriedensten Menschen leben in den Großstädten», sagte Jun. «Trier, Koblenz, Mainz und Ludwigshafen sind die Leuchttürme der Zufriedenheit.» Am höchsten seien die politische Unzufriedenheit und die Zukunftsängste in den Mittelstädten mit 20.000 bis 100.000 Einwohnern wie beispielsweise Pirmasens, Worms, Speyer, Kaiserslautern, Landau oder Bingen.
Die überraschend kritische Einstellung der Menschen in den Mittelstädten mache sich beispielsweise in einer höheren Unzufriedenheit gegenüber allen politischen Institutionen bemerkbar - von der Landesregierung über den Landtag bis zur öffentlichen Verwaltung, erläuterte der Politikwissenschaftler. Die Sorge vor der Kriminalität im Alltag sei bei ihnen auch höher (56 Prozent gegenüber 42 bei den übrigen Befragten). Die Menschen in den Mittelstädten seien auch weniger mit ihrer sozialen Absicherung zufrieden als die übrige Bevölkerung (etwa zwei Drittel gegenüber 75 Prozent).
Migration und Geflüchtete - das wichtigste politische Problem für alle Rheinland-Pfälzer - werde in den mittelgroßen Städten auch noch einmal stärker wahrgenommen (21 Prozent gegenüber 13 Prozent). Der Verkehr wird dagegen deutlich weniger stark als Problem wahrgenommen (7 Prozent zu 13)
Populismus und Verschwörungsdenken
Recht viele Menschen neigten zu Verschwörungsdenken im Sinne eines klassischen «Anti-Establishment-Narrativs», sagte Jun. So hätten 59 Prozent der Befragten der Aussage zugestimmt, «Mächtige in der Gesellschaft handeln gegen die Interessen der einfachen Bevölkerung». Mehr als ein Drittel stimmte auch der Aussage zu, geheime Organisationen kontrollierten oder beeinflussten die Ereignisse und politische Entwicklungen stark.
Dieser «Verschwörungsglaube» speise sich aus Verunsicherung, Zukunftsangst und Orientierungslosigkeit, sagte Jun. «Die Politik muss mehr Orientierung bieten, Zukunftsängste nehmen und die Komplexität runterbrechen. Das sogenannte Heizungsgesetz sei ein Kipppunkt gewesen, der genau diese drei Sorgen unterstützt habe.
Einstellungen zu Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit
Gefragt wurde auch nach «nationalistischem Gedankengut». Etwa ein Drittel stimmte der folgenden Aussage «voll und ganz» oder «eher» zu: «An deutsche Leistungen reichen die Leistungen anderer Völker nicht heran», wie Jun berichtete. «Ein Drittel hat ein starkes nationales Gedankengut», so seine Schlussfolgerung. Auch Antiislamismus habe die Befragung zutage gefördert: So stimmten dem Satz «Muslime sind eine Bedrohung für die Stabilität und Sicherheit in Deutschland» gut 30 Prozent ganz oder eher zu. Fast die Hälfte (48 Prozent) hätten auch dem Satz «Ausländer wollen den Sozialstaat ausnutzen» ganz oder eher zugestimmt. Und der Behauptung «Es findet eine Überfremdung durch fremde Kulturen statt» hätten sogar 23 Prozent voll und ganz sowie 28 Prozent eher zugestimmt.
Identität in der Region
Die Rheinland-Pfälzer sehen sich nicht als Rheinland-Pfälzer, sondern identifizieren sich sehr stark mit ihrer Region, sagte Jun. «Die regionale Identität übertrifft auch die nationale Identität.»
Großes Interesse an Politik
Das Interesse an Politik und politischer Bildung sei überraschend hoch. Fast zwei Drittel wollten mehr über Demokratie in Rheinland-Pfalz wissen. 60 Prozent hätten zudem ein starkes oder sehr starkes Interesse an Politik bekundet. Fernsehen, Radio, Zeitungen und Zeitschriften seien zudem nach wie vor zentral, wenn Menschen politische Informationen suchten.
Zuschnitt des Rheinland-Pfalz Monitors
Auftraggeber des ersten Rheinland-Pfalz-Monitors ist der Landtag. An der repräsentativen Befragung von Infratest-Dimap im vergangenen Sommer (Juni und Juli) haben Jun zufolge 1216 Menschen teilgenommen. Er ist Politikwissenschaftler an der Universität Trier und ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Demokratie und Parteienforschung. Die endgültigen Ergebnisse sollen im Herbst vorgestellt werden und der nächste Monitor in zwei Jahren kommen. Die Kosten für die erste Studie belaufen sich auf rund 180.000 Euro.
Fazit des Auftraggebers
Die Mittel für politische Bildung müssten aufgestockt werden, sagte Landtagspräsident Hendrik Hering. Gegen die Verbreitung von Populismus und Rassismus könne ein Bildungsprogramm helfen. Die parlamentarische Demokratie sei von vielen nicht verstanden worden und dies eine große Vermittlungsaufgabe, sagte er weiter. Es müsse viel mehr für Medienkompetenz getan werden. Das gelte für junge und ältere Menschen.
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