Erster Schritt zum gemeinsamen Stromnetz 2045
Die Stromnetze müssen für die Energiewende ausgebaut werden. Diese riesige und teure Aufgabe wird in Rheinland-Pfalz jetzt gemeinsam angegangen. Ministerin Eder sieht einen Testlauf für andere Länder.
Die Stromnetze müssen für die Energiewende ausgebaut werden. Diese riesige und teure Aufgabe wird in Rheinland-Pfalz jetzt gemeinsam angegangen. Ministerin Eder sieht einen Testlauf für andere Länder.
Mehr Wärmepumpen, mehr Elektromobilität, kommunale Wärmeplanung und veränderte Industrieprozesse: Sowohl die Erzeugung als auch der Bedarf an Energie dürften sich in den kommenden Jahren gravierend verändern. Damit trotz aller Herausforderungen eine sichere Versorgung gewährleistet werden kann, braucht es reichlich Planung, Kalkulationen und voraussichtlich Optimierungen an der Infrastruktur. In Rheinland-Pfalz soll das möglichst abgestimmt gelingen. Dafür hat das Klimaschutz- und Energieministerium mit dem Strom-Übertragungsnetzbetreiber Amprion eine Reihe von Akteuren aus der Wirtschaft, der Industrie und den Kommunen an einen Tisch geholt. Die CDU-Opposition drängt aufs Tempo.
Unter dem Titel «Stromnetz 2045: Datenwerkstatt Rheinland-Pfalz» hat der «Beteiligungsprozess zum Abgleich von Planungsannahmen» am Montag in Mainz begonnen. Der Name spielt darauf an, dass der Bund bis zum Jahr 2045 ein klimaneutrales Stromsystem anstrebt. «Netzbetreiber, Stadtwerke, Kommunen, Industrie und Wirtschaftsverbände führen ihre Daten und Erkenntnisse aus den Sektoren Strom, Wärme, Verkehr und Industrie sektorübergreifenden Planungsdaten zusammen», sagte Energieministerin Katrin Eder (Grüne) bei der Auftaktveranstaltung. «Diese Informationen können die Beteiligten für ihre Planungsprozesse nutzen: die Kommunen für ihre Wärmeplanung, die Industrie für die Umstellung ihrer Produktionsprozesse und die Netzbetreiber für ihre Netzausbauplanung.»
Bis Herbst sollen die Daten zu Erzeugungslandschaft, zu kommunaler und industrieller Lastentwicklung gesammelt, von Fachleuten diskutiert und zu der gemeinsam nutzbaren Datengrundlage aufbereitet werden. Die Abschlussveranstaltung ist für den 8. Oktober geplant, auch ein Abschlussbericht für die Öffentlichkeit ist vorgesehen.
Der Technische Geschäftsführer der Amprion GmbH, Hendrik Neumann, sagte: «Für uns ist es enorm wichtig zu wissen, welche Pläne die Kommunen bei der Wärmeversorgung verfolgen, ob sie ein Fernwärmenetz planen oder davon ausgehen, dass der Bedarf vor allem mit Wärmepumpen gedeckt wird.» Dies gelte auch für Industrieunternehmen, die ihre Prozesse auf Strom oder Wasserstoff umstellen könnten.
Eder: «Das macht kein anderes Land so»
Das Ganze ist eine Art Testlauf, der in anderen Bundesländern Schule machen könnte. «Das ist bundesweit einmalig, das macht kein anderes Land so», sagte Eder. Auf der Wirtschaftsseite sind unter anderem der Chemieriese BASF und Vertreter der Beton- oder Papierbranche dabei. Es passiere derzeit auf vielen Ebenen sehr viel, sagte Eder. Das solle synchronisiert werden. An Planungen sitzen etwa Betreiber von Übertragungsnetzen - also die großen Stromautobahnen, wie Amprion einer ist, Betreiber kleinteiligerer Verteilnetze, die den Strom zu Haushalten bringen, Unternehmen, Kommunen und Stadtwerke.
Große Verteilnetzbetreiber mit mehr als 100.000 Kunden müssten bis Ende April ihre Planungen der Bundesnetzagentur vorlegen. Diese wiederum hatte Anfang März neue Pläne für den Ausbau des Strom-Übertragungsnetzes vorgelegt, den sogenannten Netzentwicklungsplan 2037/2045. Dass es bei dem Thema um sehr viel Geld geht, zeigt sich daran, dass die Bundesnetzagentur seinerzeit die Gesamtkosten aller geplanten Ausbaumaßnahmen bis 2045 auf rund 320 Milliarden Euro bezifferte. Sämtliche Kosten werden in der Regel über die Netzentgelte auf alle Stromverbraucher umgelegt.
Es geht um immense Summen
In Rheinland-Pfalz gibt es dem Ministerium zufolge rund 50 Verteilnetzbetreiber, darunter sechs große mit mehr als 100.000 Kunden. Das sind die Pfalzwerke, die Syna GmbH mit Sitz in Frankfurt, Westnetz aus Nordrhein-Westfalen, die Energienetze Mittelrhein in Koblenz, die Mainzer Netze und die EWR in Worms. Geschaut werden muss im bestehenden Netz, wo gegebenenfalls optimiert werden muss. Das heißt längst nicht immer Ausbau, wie das Ministerium erklärt. Es kann auch darum gehen, eine bestehende Trasse mit zusätzlichen Seilen zu versehen, weitere Erdkabel zu legen oder bestehende Leitungen noch effektiver zu nutzen. In jedem Fall sollten Fehlinvestitionen vermieden werden.
Im Übertragungsnetz wird in Rheinland-Pfalz laut dem Ministerium derzeit an zwei Projekten gearbeitet - an Teilen der Gleichstromtrasse Ultranet, die von Düsseldorf ins baden-württembergische Philippsburg führt, und an der Amprion-Wechselstromtrasse von Metternich bei Koblenz bis Niederstedem bei Bitburg. Allein Amprion rechnet nach einer Mitteilung von April bis zum Jahr 2028 mit Investitionen von rund 27,5 Milliarden Euro in den Aus- und Umbau des Übertragungsnetzes. Der Fortschrittsmonitor 2024 Energiewende der Beratungsgesellschaft EY beziffert die Investitionen aller Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland für den Netzausbau bis 2030 auf 131,1 Milliarden Euro, die aller Verteilnetzbetreiber bis 2030 auf rund 123,5 Milliarden.
Erwartungen von Teilnehmenden
BASF wolle ihre Erkenntnisse des schon durchlebten Prozessen des Infrastrukturaufbaus einbringen und möglicherweise als eine Art Blaupause dienen, sagte Markus Scheuren von dem Konzern. Nach Auffassung des Bereichsleiters Netzmanagement der Pfalzwerke Netz AG, Klaus Zimmer, muss in der Werkstatt auch ein Fokus auf die Prozesse gelegt werden, auf Regularien und Verbindlichkeiten. Die Vernetzung der Akteure sei ein richtiger Schritt. Der Leiter des Strategischen Assetmanangements der Westnetz GmbH, Thomas Wiesner, setzt vor allem auf eine Verbesserung der Daten durch einen Abgleich mit regionalem Expertenwissen.
Kritik der CDU-Opposition
Der energiepolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Gerd Schreiner, drängte unterdessen aufs Tempo. «Die notwendigen finanziellen Mittel werden nicht zur Verfügung gestellt und es hängt am Planungsrecht, das immer noch nicht auf die Bedarfe der nächsten Jahrzehnte angepasst wurde», kritisierte Schreiner. Er forderte «flexible Strompreise» für die Einspeiser und Stromverbraucher, die ihren Beitrag für eine optimale Netznutzung leisteten. «Nur durch eine aktive Vermeidung von Netzüberlastung kommen wir mit unserem aktuellen Stromnetz, das nur sehr langsam modernisiert wird, über die Runden.»
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