Joachim Streit (Freie Wähler) spricht im Landtag von Rheinland-Pfalz.
Sebastian Christoph Gollnow/dpa
Joachim Streit (Freie Wähler) spricht im Landtag von Rheinland-Pfalz.
Mainz

Bedauern und schwere Vorwürfe: Landtagsdebatte zum Fall Raab

Harte Vorwürfe, markige Worte und Emotionen - das alles bringt die Sondersitzung des Landtags zum Fall Raab. Die Opposition ist sich einig wie selten, Dreyer stärkt ihrer Staatssekretärin den Rücken.

Dreyer sieht keinen Grund, von ihr abzurücken

Die Opposition im rheinland-pfälzischen Landtag hat die Sondersitzung des Plenums für harte Vorwürfe gegen die Medienpolitikerin Heike Raab aber auch gegen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (beide SPD) genutzt. Die wegen ihres kritischen Briefes an den SWR stark in die Kritik geratene Raab räumte in einer Sondersitzung des Parlaments zu dem Thema am Mittwoch in Mainz Fehler ein und entschuldigte sich. Dreyer sieht keinen Grund, von ihr abzurücken.

Die etwa zweistündige Sondersitzung war von den oppositionellen Fraktionen von CDU und Freien Wählern beantragt worden. Es ging um ein Schreiben Raabs an die SWR-Landessenderdirektorin Ulla Fiebig vom Frühjahr zu einer Schalte im SWR-Fernsehen. Die drehte sich um die politische Zukunft von SPD-Politiker Roger Lewentz, der als Landesinnenminister im Zusammenhang mit der Ahrtal-Flutkatastrophe zurückgetreten war.

Ein SWR-Korrespondent gab in der Schalte vom 11. April unter anderem folgende Einschätzung ab: «Das dürfte bundesweit wahrscheinlich einmalig sein, dass ein Landesinnenminister, der die politische Verantwortung für die vielen Toten dieser schrecklichen Ahr-Katastrophe übernehmen muss, weiterhin Landesvorsitzender seiner Partei bleibt.» Diese Äußerung kritisierte Raab in ihrem Schreiben als «objektiv falsch». Fiebig antwortete ihr in einem Schreiben, der Satz des Korrespondenten werde als Meinungsäußerung und nicht als Tatsachenbehauptung eingestuft.

Die Opposition wertet das Raab-Schreiben mit einem Briefkopf der Landesregierung als unzulässigen Versuch der Einflussnahme auf Berichterstattung zugunsten eines Parteifreundes sowie als eine Drohung gegen den Sender. Raab hatte in der vergangenen Woche bereits Fehler eingeräumt und ihre Mandate in SWR-Gremien niedergelegt. Ihr Nachfolger ist dort Staatssekretär Denis Alt (SPD).

CDU-Fraktionschef Gordon Schnieder forderte in der Sondersitzung am Mittwoch als erster Redner Dreyer auf, Raab als Bevollmächtigte des Landes beim Bund und für Europa und Medien abzuberufen. Die CDU-Abgeordnete Ellen Demuth sagte, Raab könne das Land Rheinland-Pfalz nicht mehr vertreten. Raab habe den Landtag, die Presse und Rundfunkgremien getäuscht, kritisierte Schnieder, auch mit Blick auf Aussagen der Staatssekretärin in einer Sitzung des Medienausschusses des Landtags Mitte November.

Das Wortprotokoll zu der Ausschusssitzung war nachträglich auf Initiative von Raab geändert worden. Schnieder sagte, die Staatssekretärin habe Aussagen auf massiven öffentlichen Druck hin im Nachhinein korrigiert, dennoch blieben Unwahrheiten bestehen.

Raab selbst betonte im Plenum, sie habe alle offenen Fragen beantwortet. «Die Unabhängigkeit der Medien sind für mich ein hohes Gut», betonte die 58-Jährige, die zu den wichtigsten Medienpolitikern in Deutschland zählt und auch Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder ist. Sie habe zu keiner Sekunde die Absicht gehabt, mit dem Brief Druck auf den Sender aufzubauen. «Es ging mir vielmehr um eine presserechtliche Einschätzung des SWR.» Sie habe weder eine Löschung noch eine Richtigstellung des SWR-Beitrags gefordert.

«Aus heutiger Sicht und in Betrachtung der Diskussion der letzten Wochen räume ich selbstkritisch ein, dass ich diesen Brief vom 2. Mai nicht mehr schreiben würde», unterstrich Raab. Sie hätte ihre Anmerkungen zu dem SWR-Beitrag besser in den dafür zuständigen Rundfunkgremien ansprechen sollen. Sie habe schon «mit leichterem Herzen» am Pult im Plenarsaal gestanden, räumte Raab ein. Sie stehe hier selbstkritisch, mit einem «tiefen Bedauern» und einer klaren Haltung: «Die Unabhängigkeit der Medien ist für mich ein hohes Gut.» Raab schloss ihre Rede mit den Worten: «Ich hoffe sehr, Sie können meine Entschuldigung annehmen.»

Der AfD-Fraktionschef Jan Bollinger sieht indes Verfehlungen der Landesregierung weit über das Raab-Schreiben hinaus. «Der Versuch der Einflussnahme auf die Berichterstattung unabhängiger Medien durch die Landesregierung ist mitnichten ein Ausreißer, sondern der Auswuchs einer grundsätzlichen Haltung, die sich hier besonders deutlich manifestiert hat», mahnte er und forderte erneut einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Vorgänge.

Joachim Streit, Fraktionschef der Freien Wähler, sprach von Machtmissbrauch der Multifunktionärin Raab und einem verfassungswidrigen Handeln. Staatsvertreter müssten Staatsferne zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk verteidigen, sich inhaltlich einzumischen sei «ein absolutes Tabu». Raab fehle es an Unrechtsbewusstsein, sie habe eine völlige Ignoranz gegenüber der Tragweite ihres Schreibens an den Tag gelegt und Regierungschefin Dreyer schaue nur stillschweigend zu.

SPD-Fraktionschefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler warf der Opposition übertriebene Kritik vor. Von einer systematischen Beeinflussung der Medien zu sprechen sei «abstrus» und «deplatziert». Den Fraktionen von CDU und Freien Wählern gehe es darum, den Fall Raab für Attacken gegen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) zu nutzen und sie als «geheime Strippenzieherin» zu brandmarken, sagte die Fraktionschefin. Das werde nicht verfangen. Sie räumte jedoch auch ein: «Das Verfassen dieses Briefes - man muss es so klar sagen - war ein Fehler.»

Dreyer machte deutlich, keinen Grund für eine Abberufung Raabs zu sehen. «Ich komme zu dem Ergebnis, dass Frau Raab das Parlament nicht getäuscht hat», sagte die Regierungschefin. Raab habe die richtigen Konsequenzen gezogen, habe öffentlich Fehler eingeräumt und ihr Mandat in den Gremien des Senders niedergelegt. Auch sie als Ministerpräsidentin bedauere, dass der Briefwechsel als unzulässige Einflussnahme empfunden werden konnte, sagte Dreyer und ergänzte: «Ich sage in aller Deutlichkeit: Ich würde zu keiner Zeit dulden, dass durch die Staatskanzlei Druck auf Medien ausgeübt wird.»

Für sie und die Landesregierung seien freie und unabhängige Medien das Fundament jeder freiheitlichen Demokratie, betonte Dreyer. Der Opposition warf sie vor, aus parteipolitischen Motiven ein völlig falsches Bild zu zeichnen. «Sie wollen die SPD beschädigen», sagte sie. Tatsächlich werde dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk geschadet.

FDP-Fraktionschef Philipp Fernis sagte, es sei legitim, dass die Opposition von einer Landesregierung eingeräumte Fehler zum Thema einer Debatte mache. Wenn aber so getan werde, als sei der SWR ein Verkündungsorgan der Landesregierung, trage das nicht der Tatsache Rechnung, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk dazu beigetragen habe, dass in Deutschland eine stabile und gefestigte Demokratie entstanden sei und bestehe. Demokratie sei fehlbar, in einer Demokratie würden Fehler gemacht. «Und über einen solchen Fehler reden wir hier», sagte Fernis.

«Die Causa Raab ist nichts anderes als ein Synonym für Machterhalt um jeden Preis, für roten Filz und parteipolitische Vetternwirtschaft», befand derweil CDU-Fraktionschef Schnieder. Das Verhalten entspreche einer Regierungspartei, die sich inzwischen für unfehlbar halte. Dreyer habe auch die Sondersitzung nicht dafür genutzt, für Transparenz zu sorgen. Streit von den Freien Wähler kündigte an, seine Fraktion werde nun beraten, was der nächste Schritt sei. Dann sagte er: «Der heutige Tag war jedenfalls nicht der letzte.»

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