Weltsicherheitsrat: Mehr humanitäre Hilfe für Gazastreifen
Jeder vierte Palästinenser im Gazastreifen steht laut den UN vor dem Hungertod. Eine mit großer Mühe verabschiedete Resolution soll nun die Wende für die humanitäre Hilfe bringen.
Jeder vierte Palästinenser im Gazastreifen steht laut den UN vor dem Hungertod. Eine mit großer Mühe verabschiedete Resolution soll nun die Wende für die humanitäre Hilfe bringen.
Nach tagelangem Ringen hat der Weltsicherheitsrat in einer Resolution die Aufstockung der humanitären Hilfe für etwa zwei Millionen Notleidende im Gazastreifen gefordert. Das mächtigste UN-Gremium verabschiedete in New York einen deutlich aufgeweichten Kompromisstext. Die USA enthielten sich.
Seit Anfang der Woche hatte es danach ausgesehen, dass Washington seine Vetomacht einsetzen würde, um die Interessen des Verbündeten Israel zu schützen. Massive Zugeständnisse der Unterhändler verhinderten ein Scheitern des Beschlusses jedoch in letzter Sekunde. Insgesamt stimmten 13 der 15 Länder für den Text, neben den USA enthielt sich Russland.
Der völkerrechtlich bindende Beschluss fordert Israel dazu auf, «unverzüglich einen sicheren und ungehinderten humanitären Zugang» in den Gazastreifen zu ermöglichen. Auch müssten die Voraussetzungen für eine nachhaltige Einstellung der Gewalt geschaffen werden.
UN-Koordinator für die Kontrolle von Hilfsgütern
In der strittigen Frage nach der Art der Kontrolle der Hilfsgüter einigten sich die Ratsmitglieder darauf, einen zuständigen UN-Koordinator einzusetzen. Dieser solle in Zusammenarbeit mit allen Akteuren auch für die Beschleunigung der Lieferungen sorgen. Der Rat verlangt weiter, dass humanitäre Güter über alle verfügbaren Grenzübergänge in den Gazastreifen fließen sollen.
Die Vereinten Nationen wollen noch bis Jahresende den geforderten Koordinator für humanitäre Hilfe im Gazastreifen ernennen. Ein Kandidat oder eine Kandidatin sei bereits gefunden, durchlaufe momentan einen obligatorischen Überprüfungsprozess und soll in der kommenden Woche vorgestellt werden, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus UN-Kreisen.
Andere Passagen aber wurden auf Druck der USA gestrichen: Ein Paragraf, der «alle Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, einschließlich aller willkürlichen Angriffe auf Zivilisten und zivile Objekte» verurteilt, findet sich in der Resolution so nicht mehr. Auch eine zuvor geforderte unverzügliche Aussetzung der Gewalt, um Hilfslieferungen zu ermöglichen, fehlt.
Eine Reihe von Ratsmitgliedern war wegen der deutlichen Abschwächungen unzufrieden mit dem Text. Offen ist dabei, wie viel Einfluss die Resolution tatsächlich haben wird. Trotz ihrer Verbindlichkeit dürften die Konsequenzen für Israel bei Zuwiderhandlung überschaubar sein. Die Verhandlungsführerin der Vereinigten Arabischen Emirate, Botschafterin Lana Nusseibeh, nannte den Text «nicht perfekt» und betonte, es brauche eine Waffenruhe, um den Notleidenden zu helfen und eine Hungersnot zu verhindern.
Als Folge der israelischen Kriegsführung der vergangenen zehn Wochen ist die humanitäre Situation der mehr als zwei Millionen Menschen im Gazastreifen dramatisch. Eine aktuelle UN-Studie kommt zu dem Schluss, dass in dem abgeriegelten Küstenstreifen 577.000 Menschen in die schwerwiegendste Kategorie des Hungers fallen. Im gesamten Rest der Welt zusammen gibt es dagegen gegenwärtig 129.000 Menschen, die ähnlich bedroht seien. Fast alle Menschen im Gazastreifen leiden unter Hunger oder Vertreibung. Israel hatte den Gazastreifen nach der grausamen Terrorattacke der islamistischen Hamas vom 7. Oktober abgeriegelt und angegriffen.
Widerstand von den USA
Insbesondere die US-Regierung hatte bei der Verhandlung der Resolution, die von den Vereinigten Arabischen Emiraten eingebracht worden war, intern lange mit sich gerungen. Dem Vernehmen nach waren führende Diplomatinnen und Diplomaten schon Anfang der Woche zu einer Enthaltung bereit gewesen. Doch Präsident Joe Biden hatte trotz eines Gesprächs am Dienstag mit UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield zunächst die Entscheidung getroffen, ein Veto einzulegen. Dann aber bekam US-Außenminister Antony Blinken in direkten Gesprächen mit seinen Amtskollegen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten Diplomaten zufolge weitere Zugeständnisse.
Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja warf den USA wegen ihrer Verhandlungen außerhalb des Rates «beschämendes, zynisches und unverantwortliches Verhalten» vor. Der chinesische Vertreter äußerte seine Enttäuschung über den aus Sicht Pekings zu schwachen Text - unter anderem wegen der fehlenden Waffenruhe-Forderung. Die amerikanische Botschafterin Linda Thomas-Greenfield dagegen sagte, die verabschiedete Resolution nutze die volle Macht des Weltsicherheitsrates, um den Menschen im Gazastreifen zu helfen.
In den vergangenen Wochen waren zwei ähnliche Resolutionsentwürfe am Widerstand der USA gescheitert. Washington hatte sich stets hinter Israel gestellt und angegeben, dass Vorstöße per Resolution die laufenden diplomatischen Bemühungen vor Ort gefährden könnten. Bislang hat der Weltsicherheitsrat nur vor einigen Wochen eine völkerrechtlich bindende Resolution mit humanitärem Fokus zu dem Konflikt verabschiedet. Die UN-Vollversammlung hat dagegen schon zweimal per Resolution ein Ende der Gewalt gefordert. Die Resolutionen dieses Gremiums sind allerdings nicht bindend, sondern gelten eher als symbolisch.
Guterres: «Viel mehr nötig» als verabschiedete Resolution
UN-Generalsekretär António Guterres hat sich skeptisch über die vom Weltsicherheitsrat angenommene Gaza-Resolution geäußert. Er hoffe, dass der Beschluss des mächtigsten UN-Gremiums dazu beitragen kann, dass Leiden der Menschen im Gazastreifen zu lindern - aber es sei «unverzüglich noch viel mehr nötig», sagte Guterres mit Blick auf die in dem Papier fehlende Forderung nach einem Ende der Gewalt.
«Ein humanitärer Waffenstillstand ist die einzige Möglichkeit, den dringenden Bedürfnissen der Menschen in Gaza gerecht zu werden und ihren anhaltenden Alpträumen ein Ende zu setzen», so der 74-jährige Portugiese weiter. Humanitäre Hilfe könne nur dann wirksam geleistet werden, wenn nicht gekämpft werde.
UN-Generalsekretär António Guterres hatte den Weltsicherheitsrat schon mit ungewöhnlich scharfen Maßnahmen gedrängt, sich für einen humanitären Waffenstillstand einzusetzen. In einem entsprechenden Brief an den Rat bezog er sich vor kurzem auf Artikel 99 der UN-Charta. Dieser erlaubt dem Generalsekretär, den Sicherheitsrat auf «jede Angelegenheit hinzuweisen, die seiner Meinung nach die Gewährleistung von internationalem Frieden und Sicherheit gefährden kann» - und ist den UN zufolge seit Jahrzehnten nicht angewandt worden.
Israel: Gaza-Transporte werden weiter inspiziert
Israel hat die Resolution des Weltsicherheitsrates, die eine Aufstockung der humanitären Hilfe für den Gazastreifen verlangt, zur Kenntnis genommen. «Israel wird den Krieg in Gaza fortsetzen, bis alle Geiseln freigelassen sind und die Hamas im Gazastreifen eliminiert ist», schrieb Außenminister Eli Cohen auf der Plattform X, vormals Twitter.
Auch an der Kontrolle der Lieferungen soll sich aus israelischer Sicht nichts ändern. «Israel wird die gesamte humanitäre Hilfe für Gaza weiterhin aus Sicherheitsgründen inspizieren», schrieb Cohen.
Israel befürchtet, dass in den Lastwagen, die humanitäre Hilfe nach Gaza bringen, auch Waffen geschmuggelt werden könnten. Es inspiziert deshalb alle Transportfahrzeuge, bevor sie in den Gazastreifen einfahren dürfen. Zugleich betont die Regierung in Jerusalem, dass die Inspektionen die Lieferungen nach Gaza nicht behinderten. Vielmehr würden die UN-Organisationen bei der Verteilung der Hilfsgüter im Gazastreifen versagen.
Von Benno Schwinghammer, dpa
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