Zwei Frauen mit Kopftuch und langer Oberbekleidung.
Marijan Murat/dpa
Zwei Frauen mit Kopftuch und langer Oberbekleidung.
20 Jahre nach Kopftuchverbot

Weiter Streit an Frankreichs Schulen um Kleidungsfragen

Im März 2004 verbot Frankreich Kopftücher in Schulen. Nun sorgen muslimisch anmutende Gewänder für Streit - und das Erproben von Schuluniformen. Dabei sind junge Leute bei dem Thema längst toleranter.

Wenn an Dutzenden Schulen in Frankreich demnächst Tests mit Uniformen anlaufen, dann spielt der Wille zur Verbannung von muslimisch anmutender Kleidung und Kopftüchern aus öffentlichen Schulen dabei eine wichtige Rolle. Denn die probeweise Einführung von Schuluniformen hatte der heutige Premier und damalige Bildungsminister Gabriel Attal im September parallel zum Verbot des Tragens von Abayas verkündet. Dabei handelt es sich um traditionell von Frauen in islamischen Ländern getragene knöchellange Gewänder, mit denen Schülerinnen aus Sicht der Behörden das vor 20 Jahren verhängte Verbot von Kopftüchern und anderen religiösen Symbolen an Frankreichs Schulen verstärkt auf die Probe stellen.

Dabei war schon der Verkündung des Verbots von sichtbaren religiösen Symbolen an Schulen am 15. März 2004 ein jahrelanges Tauziehen um das Kopftuch in Schulen im auf Laizität, also die strikte Trennung von Staat und Religion, bedachten Frankreich vorangegangen. Ausgangspunkt war 1989 die sogenannte Kopftuch-Affäre um die drei Schülerinnen Fatima, Leila und Samira, die in der Pariser Umlandgemeinde Creil darauf pochten, im Unterricht Kopftuch zu tragen. Ihrem Beispiel folgten weitere Schülerinnen. Die Frage, ob islamistische Fundamentalisten aus Algerien oder dem Iran die Schülerinnen für eine mögliche Kampagne zur Destabilisierung Frankreichs instrumentalisierten oder vielmehr Religion und Tradition zu respektieren seien, spaltete damals Frankreich.

Kritiker: Nicht zwingend ein religiöses Symbol

Mit Argusaugen wacht das Land über Verstöße gegen die Laizität an Schulen, schließlich gilt das nationale Bildungswesen als tragende Säule der französischen Republik. Von über 4700 Verstößen war im vergangenen Schuljahr die Rede, häufig ging es dabei um das Tragen von Abayas. «Die Abaya hat in unseren Schulen keinen Platz», befand der Bildungsminister und verbot das Kleidungsstück per Erlass, während sein Amtsvorgänger Monate vorher noch vor einer Liste verbotener Kleidungsstücke an Schulen, wie er sagte, zurückgeschreckt war. Kritiker sagen indes, dass die Abaya nicht zwingend ein religiöses Symbol sei, sondern schlicht ein Kleidungsstück.

Präsident Emmanuel Macron unterstützte das Verbot, es gehe darum, Ruhe an Schulen zu schaffen. Niemand solle stigmatisiert oder ausgegrenzt werden, weil er Kleidung mit einem religiösen Bezug oder auch allzu exzentrische Kleidung trage. 100 Schulen von der Grundschule über Mittelschulen bis zum Gymnasium sollen Schuluniformen nach Angaben des Bildungsministeriums nun von diesem Jahr an erproben. Allzu formell müsse das Ganze gar nicht sein, meinte Macron, der von Einheitskleidung mit T-Shirt, Jeans und Jacke sprach.

Entsetzen über Mord an Samuel Paty

Dass das Schulwesen mit seinem Eintreten für die Werte der Republik zur Zielscheibe von Islamisten wird, musste Frankreich mehrfach schmerzhaft erfahren. Für internationales Entsetzen sorgte der Mord an Geschichtslehrer Samuel Paty, der 2020 von einem 18-jährigen Islamisten bei Paris getötet und danach enthauptet wurde. Vor der Tat war im Internet gegen Paty gehetzt worden, weil er im Unterricht zum Thema Meinungsfreiheit Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt hatte. Im vergangenen Oktober dann wurde im nordfranzösischen Arras ein Lehrer von einem radikalisierten ehemaligen Schüler erstochen, der in einer Audiobotschaft seinen Hass auf Frankreich, die Franzosen und die Demokratie zum Ausdruck brachte.

Nach Jahren erbitterter Auseinandersetzungen um Kopftücher und religiöse Symbole in Schulen und öffentlichen Einrichtungen sind junge Menschen in Frankreich bei dem Thema inzwischen toleranter, wie eine Umfrage des Instituts Kantar Ende vergangenen Jahres ergab. Das Tragen religiöser Symbole einschließlich Kopftüchern auf der Arbeit befürworten 43 Prozent der befragten 18- bis 30-Jährigen, 24 Prozent lehnen es ab. An öffentlichen Gymnasien befürworten 43 Prozent das Tragen religiöser Symbole, 31 Prozent sind dagegen.

Soziologe Portier: Mehr Weltoffenheit

Die größere Toleranz der jüngeren Generation erklärte der an der Studie beteiligte Soziologe Philippe Portier auch mit mehr Weltoffenheit: «Die Erfahrungen in ihrem täglichen Leben, wie etwa der Umgang mit Jugendlichen, die kein Schweinefleisch essen oder ein Kopftuch tragen, verändern doktrinäre Muster, die zuvor möglicherweise erworben wurden. Für die Jugendlichen sind diese religiösen Zeichen nicht gleichbedeutend mit einer Vorstufe von Radikalisierung und einer potenziellen Bedrohung, wie sie von einem großen Teil der Gesellschaft wahrgenommen wird», sagte der Soziologe der Zeitung «Libération».

Von Michael Evers, dpa
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