Die Wehrbeauftragte Eva Högl bei einem Truppenbesuch in Schortens - hier zusammen mit Major Dirk Polter.
Sina Schuldt/dpa
Die Wehrbeauftragte Eva Högl bei einem Truppenbesuch in Schortens - hier zusammen mit Major Dirk Polter.
Bundeswehr

Wehrbeauftragte: Entkrampfung der Wehrpflicht-Debatte nötig

Die Debatte um eine Dienstpflicht in der Bundeswehr und Zivilbehörden kommt nicht vom Fleck. Es brauche neue Konzepte, um ausreichend Soldaten und zivile Helfer zu haben, meint die Wehrbeauftragte.

Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, hat gefordert, im neuen Jahr eine sachliche Debatte über die Modelle für einen allgemeinen Dienst in Bundeswehr und Zivilorganisationen zu führen. «Ich werbe für eine Entkrampfung der Debatte. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn jetzt eine Diskussion über konkrete Konzepte Fahrt aufnimmt», sagte die SPD-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Das heiße noch nicht, dass es umgehend eine Wehrpflicht oder ein verpflichtendes Jahr für die Gesellschaft geben werde. Klar sei: «Die alte Wehrpflicht möchte niemand zurück. Es geht um ein neues Konzept. Gibt es die Notwendigkeit, die Bundeswehr aufzustocken mit mehr Personal? Das würde ich angesichts der Lage bejahen.» Aktuell gebe es 181.000 Soldatinnen und Soldaten. Das Ziel von 203 000.Soldaten bis zum Jahr 2030 sei nicht zu erreichen, wenn bei der Personalgewinnung alles so bleibe.

Wehrpflicht 2011 nach 55 Jahren ausgesetzt

Die Wehrpflicht war im Juli 2011 nach 55 Jahren von dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ausgesetzt worden. Das kam in der Praxis einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich, da auch alle Strukturen für die Musterung und Ausbildung einer größeren Zahl von Soldaten abgeschafft wurden.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) lässt wegen der veränderten Sicherheitslage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Modelle einer Dienstpflicht prüfen und dabei auch das schwedische Wehrpflichtmodell in den Blick nehmen. Kritik kam vor allem aus der FDP, aber auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken ging auf Distanz zu dem Vorstoß.

Vorbild Schweden

Dagegen spricht sich die Wehrbeauftragte, die in diesem Jahr an 123 Tagen Ortstermine bei der Truppe im In- und Ausland hatte, dafür aus und verweist ebenfalls auf Schweden. «Alle bekommen erst mal Post, sie werden angesprochen und aufgefordert, sich zu melden. Dann werden sie gemustert und bekommen ein Angebot», sagte sie. «Schweden zieht keineswegs einen ganzen Jahrgang ein. Es handelt sich also nicht wirklich um eine Wehrpflicht, sondern es werden diejenigen genommen, die geeignet sind und die wollen.»

Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour hält nichts von einer Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland. «Ich glaube nicht, dass die Wehrpflicht gebraucht wird», sagte er der dpa in Berlin. «Ich würde jetzt nichts ausschließen, weil es nie was bringt. Die Zeiten sind dafür zu fluide», sagte er auf eine entsprechende Nachfrage. «Aber ich sehe das überhaupt nicht.» Die Grünen seien der Meinung, dass die Wehrpflicht zu mehr Kosten führe und die Wehrfähigkeit nicht zwingend steigere.

Pistorius will sich schwedisches Modell anschauen

Högl sagte, sie begrüße, dass Pistorius sich das schwedische Modell genauer anschaue. «Ich würde mich freuen, wenn wir 2024 nutzen würden, über diese verschiedenen Ideen und Modelle sachlich und konstruktiv zu diskutieren anstatt jegliche Debatte reflexhaft und kategorisch abzulehnen.»

Sie sei für mehr Verbindlichkeit als beim Bundesfreiwilligendienst und dafür, Männer und Frauen in den Blick zu nehmen. Ein Dienst müsse dann für die Bundeswehr ebenso wie für Kultur, Soziales und Umwelt geprüft werden. «Und wenn man möglichst viel Freiwilligkeit beibehalten will, dann muss das attraktiv sein», sagte sie. «Die Anreize müssen diskutiert werden. Ein Startkapital, Vorteile bei der Suche für einen Ausbildungs- oder Studienplatz oder Boni für die Altersversorgung.»

Große Löcher im Bundeswehr-Bestand

Die Abgabe von Material an die Ukraine habe große Löcher in den Bestand und in die Einsatzbereitschaft bei der Bundeswehr gerissen, sagte sie. Nötig sei eine schnelle Nachbeschaffung. «Ich nehme überhaupt keine Diskussion in der Bundeswehr wahr, die Zweifel an der Ukraine-Hilfe zeigt. Alle Soldatinnen und Soldaten sagen: Es ist absolut richtig und wichtig, die Ukraine mit allem zu unterstützen, was die Bundeswehr leisten kann», sagte sie. «Unsere Soldatinnen und Soldaten wissen, um was es in dem Krieg in der Ukraine geht.» Sie hoffe, dass die Unterstützungsbereitschaft des Westens für die Ukraine weitergehe. Das Land werde Russland nur standhalten können, geschweige denn Territorium zurückerobern, wenn der Westen massiv unterstütze.

Zur der von Pistorius geplanten Stationierung einer kriegstüchtigen Brigade aus bis zu 5000 Soldaten in Litauen sagte Högl, das Allerwichtigste sei dort die Vollausstattung. Das reiche von Material wie Nachtsichtgeräten und Funkgeräten bis hin zu den Waffensystemen wie Panzern. Högl: «Dann ist es attraktiv, dort Dienst zu leisten. Und es muss gewiss auch finanziell für unsere Soldatinnen und Soldaten attraktiv sein. Das betrifft Auslandsbezüge und Zulagen.»

Högl: Brauchen mehr Tempo als üblich

Sie forderte auch mehr Tempo: «Es ist wichtig, dass es nicht so langsam geht, wie es - leider - in Deutschland üblich ist, sondern das Tempo genutzt wird, das die Litauer vorlegen, damit da schnell gute und moderne Infrastruktur entsteht.» Sie verwies auch auf das «sehr gute Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Standards» in der EU. «Natürlich muss der Brandschutz passen, doch ist davon auszugehen, dass die Litauer auch Brandschutzregeln haben, die unsere Soldatinnen und Soldaten ausreichend schützen», sagte sie.

Das Thema des Jahres 2023 sei die Belastung der Truppe, sagte Högl. Die Männer und Frauen der Bundeswehr leisteten Herausragendes, «obwohl sie nicht ansatzweise die Rahmenbedingungen haben, die sie brauchen, um ihren Auftrag zu erfüllen.» Sie forderte deswegen eine «Aufgabenkritik». Högl sagte: «Man kann nicht immer mehr Aufträge erteilen. Es muss priorisiert werden und gesagt werden, was geht - und was nicht mehr geht.»

Von Carsten Hoffmann, dpa
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