Ein besserer Schutz des Bundesverfassungsgerichts vor Einflussnahme durch Extremisten ist nach Ansicht von Präsident Stephan Harbarth kein einfaches Unterfangen. Die Fragen zu dem Thema seien «alles andere als trivial», sagte Harbarth am Dienstagabend in Karlsruhe. Viele Modelle, die derzeit diskutiert würden, erwiesen sich «bei näherer Betrachtung als wesentlich vielschichtiger, als mancher öffentliche Debattenbeitrag erkennen lässt».
Aus Sorge vor dem Erstarken extremer Parteien will die Ampel-Koalition Einzelheiten zur Wahl und zur Amtszeit von Verfassungsrichtern nicht nur in einem einfachen Gesetz, sondern im Grundgesetz festschreiben. Dafür ist im Bundestag aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig, womit die Koalition auf die Unterstützung der Unionsfraktion angewiesen ist. Dazu soll es noch im Laufe dieser Woche Gespräche geben. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz ist mit einfacher Mehrheit änderbar.
Bislang werden die je acht Richter und Richterinnen in den beiden Senaten je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat jeweils mit Zweidrittelmehrheit gewählt. Unter anderem wird befürchtet, dass die AfD angesichts von Umfragewerten von 20 bis 30 Prozent dabei an Einfluss gewinnen könnte. Diskutiert wird auch, ob ein dritter Senat mit neuen Richtern und Richterinnen eingerichtet werden könnte, der dann über wichtige - gerade parteipolitisch geprägte - Streitfälle entscheidet.
Kein Kommentar zu den Vorschlägen
Dass die Diskussion in Ruhe, mit Sorgfalt und in Abgewogenheit geführt werde, wäre aus Harbarths Sicht gerade in den Wochen der großen Verfassungsjubiläen des Jahres 2024 ein starkes Signal, wie er sagte. Das Grundgesetz - die deutsche Verfassung - wurde am 23. Mai 1949 - also vor 75 Jahren - erlassen.
Inhaltlich bezog der Präsident des höchsten deutschen Gerichts keine Stellung. «Zunächst liegt der Ball in Berlin», sagte Harbarth. Es sei Sache des Gesetzgebers, darüber zu entscheiden, ob und wie das Bundesverfassungsgerichtsgesetz oder das Grundgesetz geändert werden sollen. Nach langjähriger Staatspraxis gebe der Gesetzgeber vor einer Änderung, die das Gericht betrifft, diesem Gelegenheit, sich dazu zu äußern. «Vorher werden wir zu einzelnen Modellen nicht Stellung beziehen»
4828 neue Verfahren im vergangenen Jahr
Im vergangenen Jahr hat das Bundesverfassungsgericht nach eigenen Angaben seinen Verfahrensbestand um etwa 18 Prozent reduziert. 5352 Verfahren wurden erledigt, 4828 kamen neu hinzu. Das sei weiterhin ein hohes Niveau, heißt es im Jahresbericht 2023.
89 Prozent der Neueingänge seien Verfassungsbeschwerden gewesen. Erfolgreich sind diese selten: Die Erfolgsquote der vergangenen zehn Jahre habe bei 1,66 Prozent gelegen. Im Schnitt dauerten rund acht von zehn Verfahren aller Art seit 2014 den Angaben nach bis zu einem Jahr. Drei Prozent der Verfahren hätten sich über mehr als drei Jahre gezogen.
Von Wahlgesetz bis Schweinehaltung
Seit seiner Gründung 1951 hat das Gericht bis Ende vergangenen Jahres 264.137 Eingänge verzeichnet. Von denen wurden 261.698 erledigt. Zu den größeren Entscheidungen 2023 zählten Urteile zum Haushalt, zur Parteienfinanzierung, zur Wiederholungswahl in Berlin und zur Wiederaufnahme von Strafverfahren zuungunsten Freigesprochener. Im laufenden Jahr soll es laut Harbarth unter anderem um das Bundeswahlgesetz gehen, die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gebühren für Polizeieinsätze bei Hochrisikospielen im Profifußball, Schweinehaltung, die Tübinger Verpackungssteuer und das Bafög.
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