Ein Palästinenser inspiziert nach einem israelischen Luftangriff ein zerstörtes Haus in Rafah im Süden des Gazastreifens.
Abed Rahim Khatib/dpa
Ein Palästinenser inspiziert nach einem israelischen Luftangriff ein zerstörtes Haus in Rafah im Süden des Gazastreifens.
Nahostkonflikt

UN: Zahl der in Gaza getöteten Zivilisten «nimmt rapide zu»

Das israelische Militär hat seine Einsätze auf den Süden des Gazastreifens ausgeweitet. Die UN beklagen einen rapiden Anstieg der Todesopfer unter den Zivilisten. Auch Kinder sind stark betroffen.

Die Ausweitung der israelischen Angriffe im Süden des Gazastreifens führt nach Angaben der Vereinten Nationen zu immer mehr Todesopfern unter der Zivilbevölkerung. «Die Zahl der getöteten Zivilisten nimmt rapide zu», schrieb der Generalkommissar des Palästinenserhilfswerks UNRWA, Philippe Lazzarini, in einer Mitteilung. Zivilisten, darunter Frauen, Kinder, Ältere, Kranke und Menschen mit Behinderungen, seien die Hauptleidtragenden des Krieges. Mit der Wiederaufnahme der Militäroperation und ihrer Ausweitung im Süden «wiederholen sich die Schrecken der vergangenen Wochen», beklagte Lazzarini.

Das Bombardement der israelischen Streitkräfte dauere an, nachdem ein weiterer Evakuierungsbefehl zur Verlegung von Menschen aus der Stadt Chan Junis nach Rafah erlassen worden sei. «Dieser Befehl löste Panik, Angst und Unruhe aus», hieß es. Mindestens 60.000 weitere Menschen seien gezwungen worden, in bereits überfüllte UNRWA-Unterkünfte umzuziehen, weitere würden um Schutz bitten, schrieb Lazzarini weiter. Viele der Menschen seien bereits mehrmals vor dem Krieg in andere Teilen des abgeriegelten Gebiets geflohen.

Lazzarini: Kein Ort in Gaza sicher

Der Evakuierungsbefehl dränge die Menschen auf weniger als ein Drittel des Gazastreifens zusammen. «Sie brauchen alles: Nahrung, Wasser, Unterkunft und vor allem Sicherheit. Die Straßen in den Süden sind verstopft», hieß es. Behauptungen, die Vereinten Nationen verfügten über Tausende von Zelten und planten die Eröffnung neuer Flüchtlingslager in Rafah, seien falsch, erklärte der UN-Vertreter. Kein Ort in Gaza sei sicher, weder im Süden noch im Südwesten, weder in Rafah noch in irgendeiner ausgewiesenen «sicheren Zone».

Die israelische Armee hat eine Evakuierungskarte aktiviert, die den Gazastreifen in Hunderte kleine Zonen unterteilt, um die Zivilisten über Kampfzonen zu informieren. Kritiker beklagen jedoch, dass die Menschen vielfach weder Strom noch Internet hätten, um sich die Karte anzusehen. Viele wüssten auch nicht, wie sie mit ihr umgehen sollten. Im Süden Gazas drängen sich Hunderttausende Palästinenser, die auf Israels Anweisung aus dem Norden des Gebiets dorthin geflohen waren.

Auslöser des Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel nahe der Grenze zum Gazastreifen verübt haben. Auf israelischer Seite sind in der Folge mehr als 1200 Menschen getötet worden, darunter mindestens 850 Zivilisten.

Die Zahl der im Gazastreifen getöteten Palästinenser ist seit Beginn des Gaza-Kriegs nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums auf 16.248 gestiegen. Mehr als 42.000 Menschen seien verletzt worden, teilte das Ministerium mit. Tausende Menschen würden zudem weiter vermisst.

Die Opferzahlen lassen sich gegenwärtig nicht unabhängig überprüfen, die Vereinten Nationen und andere Beobachter weisen aber darauf hin, dass sich die Zahlen der Behörde in der Vergangenheit als insgesamt glaubwürdig herausgestellt hätten.

WHO: Alle zehn Minuten wird Kind oder Jugendlicher getötet

Wegen der permanenten israelischen Angriffe im Gazastreifen wird die Lage dort nach Angaben des Repräsentanten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in dem Küstengebiet, Richard Peeperkorn, immer unerträglicher. «Die Situation verschlechtert sich von Stunde zu Stunde», berichtete er aus Rafah an der Grenze des Gazastreifens zu Ägypten. Er sprach über eine Videoverbindung mit Reportern in Genf. «Alle zehn Minuten wird ein Kind oder Jugendlicher in Gaza getötet», sagte Peeperkorn.

Statt medizinisches Material auszuliefern, habe die WHO zudem noch Hals über Kopf zwei Lagerhäuser in der südlichen Stadt Chan Junis räumen müssen. Das sei ihr von der israelischen Armee nahegelegt worden, mit dem Hinweis, dass die Lager in einem Stadtteil lägen, in dem es Kämpfe geben dürfte. Die WHO habe ein kleineres Lager in der Nähe von Rafah gefunden und bereits 90 Prozent des Materials umgeräumt, sagte Peeperkorn. Die israelische Armee hatte am Montag bestritten, zur Räumung der Lager aufgefordert zu haben.

Peeperkorn sprach von «Horrorszenen» in den wenigen verbliebenen Krankenhäusern. Sie hätten oft mehr als doppelt so viele Patienten wie Betten. Patienten lägen am Boden mit teils schweren Verletzungen und könnten nicht behandelt werden. Von den 3500 Krankenhausbetten, die es bis vor Kriegsbeginn am 7. Oktober gegeben habe, seien nur noch weniger als 1500 in Betrieb.

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