Palästinenser inspizieren die Schäden nach einem israelischen Luftangriff in der Stadt Rafah. Nach dem Kriegsrecht müssen zivile Einrichtungen bei Angriffen möglichst verschont werden.
Abed Rahim Khatib/dpa
Palästinenser inspizieren die Schäden nach einem israelischen Luftangriff in der Stadt Rafah. Nach dem Kriegsrecht müssen zivile Einrichtungen bei Angriffen möglichst verschont werden.
Krieg

UN: Israel schützt Zivilisten in Gaza nicht genug

Der Einsatz von Bomben, die ganze Häuserblocks zerstören, verstößt laut UN-Menschenrechtsbüro gegen das Kriegsrecht. Dieses wurde im Gazastreifen nicht nur einmal verletzt. Israel ist empört.

Israel hat im Gaza-Krieg nach Einschätzung des UN-Menschenrechtsbüros Zivilisten beim Einsatz von präzisionsgelenkten Bomben nicht genügend geschützt. «Das Gebot, Mittel und Methoden der Kriegsführung so zu wählen, dass zivile Schäden vermieden oder zumindest so gering wie möglich gehalten werden, wurde bei der israelischen Bombenkampagne offenbar konsequent verletzt», teilte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, in Genf mit. Er legte einen Bericht mit dem Titel «Wahllose und unverhältnismäßige Angriffe während des Konflikts in Gaza» vor. Israel wies den Bericht zurück. 

Juristin wirft Israel Kriegsverbrechen vor

Menschenrechtsexpertin und Juristin Navi Pillay warf Israel Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Folter vor. Sie ist die Vorsitzende der vom Menschenrechtsrat eingesetzten unabhängigen Untersuchungskommission zur Lage in den von Israel besetzten Gebieten. Sie stellte dort formell den Bericht der Kommission über die Lage in den Gebieten vor. Er war vergangene Woche veröffentlicht worden. Israel erlaube der Kommission keinen Zugang, sagte sie. Damit verletzte Israel das Recht von Opfern, auch in Israel, gehört zu werden, sagte sie. 

Vorwurf: Israel ignoriert Zivilisten

In dem neuen Bericht über die Angriffe heißt es, Aussagen belegten, dass Israel den gebotenen Schutz von Zivilisten ignoriert habe. Das UN-Büro zitiert etwa aus der israelischen Zeitung «Haaretz», die im Oktober 2023 Aussagen eines Militärsprechers zitierte. Der sagte demnach, es würden zwar Genauigkeit der Ziele und das Ausmaß des Schadens abgewogen, aber «im Moment konzentrieren wir uns auf das, was den maximalen Schaden verursacht». 

Ein anderer Vertreter der Streitkräfte, der sich an die islamistische Terrororganisation Hamas und die Bewohner des Gazastreifens wandte, sagte demnach: «Menschliche Bestien werden entsprechend behandelt. Israel hat eine totale Blockade über Gaza verhängt. Kein Strom und kein Wasser, nur Schäden. Ihr wolltet die Hölle, ihr werdet die Hölle bekommen.»

Das Büro hat sechs israelische Angriffe zwischen dem 9. Oktober und dem 2. Dezember 2023 im Gazastreifen untersucht. Es geht davon aus, dass dabei Bomben der Typen GBU-31, GBU-32 und GBU-39 zum Einsatz kamen, die durch Beton dringen und mehrere Etagen eines Gebäudes zerstören können. Damit seien Wohnhäuser, eine Schule, ein Flüchtlingslager und ein Markt angegriffen worden. Dabei seien mindestens 218 Menschen getötet worden, vermutlich mehr. Bei einem Angriff mit vermutlich neun GBU-31-Bomben am 2. Dezember habe die Zerstörung einen Kreis mit 130 Metern Durchmesser betroffen. Darin seien 15 Wohnhäuser zerstört und 14 weitere beschädigt worden. 

Keine Angriffe mit zerstörerischen Bomben in besiedelten Gebieten

Nach dem Kriegsrecht, einem Teil des humanitären Völkerrechts, müssen zivile Einrichtungen bei Angriffen möglichst verschont werden. Wenn dort Kämpfer vermutet werden, muss abgewogen werden, ob die Schäden der eingesetzten Mittel nicht größer sein könnten als die erhofften Ziele. Es geht unter anderem um die Prinzipien der Unterscheidung, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit. 

Selbst, wenn sich einer oder mehrere Terroristen oder Beteiligte an den Massakern in Israel am 7. und 8. Oktober in einem Gebäude aufhielten, mache dies nicht eine ganze Nachbarschaft zum legitimen Ziel eines Angriffs, heißt es in dem Bericht. In Bezug auf die Bomben sagte der Leiter des UN-Menschenrechtsbüros für die von Israel besetzten Gebiete, Ajith Sunghay, in Genf: «Solche Waffen in einem dicht besiedelten Gebiet wie Gaza einzusetzen macht es äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich, die Prinzipien einzuhalten. Es ist ratsam, diese Waffen nicht einzusetzen.»

«Israels Methoden und Mittel, die es seit dem 7. Oktober im Gazastreifen einsetzt, einschließlich des umfangreichen Einsatzes von Explosivwaffen mit großflächiger Wirkung in dicht besiedelten Gebieten, haben nicht gewährleistet, dass sie wirksam zwischen Zivilisten und Kämpfern unterscheiden», heißt es in dem Bericht. Es könne sich auch um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln.

Der Bericht kritisiert auch bewaffnete palästinensische Gruppen, die Projektile auf Israel abfeuern, die Zivilisten treffen können. Das UN-Büro für Menschenrechte erinnert daran, dass militärisches Material oder Personen nicht in dicht bevölkerten Gebieten stationiert werden sollen. 

Israel wirf UN-Menschenrechtsbüro Einseitigkeit vor

Israel warf dem UN-Menschenrechtsbüro wie schon oft eine antiisraelische Haltung vor. «Es besteht daher kein Zweifel daran, dass das einzige Ziel dieses thematischen Berichts darin besteht, Israel an den Pranger zu stellen und zu verurteilen, während die Hamas-Terroristen im Gazastreifen weiter geschützt werden», hieß es in einer Stellungnahme der Botschaft in Genf. Israel bekämpfe Hamas und andere bewaffnete Gruppen, nicht die Zivilbevölkerung. Hamas verstecke sich aber absichtlich unter Zivilisten, um möglichst großen Schaden zu verursachen.

Mutter von Geisel: will meine Tochter wieder umarmen

In der Aussprache über den Bericht der Untersuchungskommission zu den Vorgängen in den besetzten Gebieten überließ die israelische Botschafterin in Genf das Wort der Mutter einer Geisel. Meirav Leshem Gonens Tochter Romi (23) wurde am 7. Oktober von Terroristen in den Gazastreifen entführt. Sie warf der Kommission vor, sexuelle Gewalt gegen Entführte nicht genügend berücksichtigt zu haben. Alle sollten zusammen gegen Terroristen kämpfen, es müsse mehr für die Geiseln getan werden, sagte sie, und an die Adresse des Präsidenten des Rates: «Bitte helfen Sie mir, dass ich meine Tochter wieder in den Arm nehmen kann.»

Israel hatte der Hamas zuvor schon wiederholt vorgeworfen, sie operiere in Schulen, Moscheen und Krankenhäusern und missbrauche dabei Zivilisten als menschliche Schutzschilde. Sie nehme außerdem den Tod von Zivilisten bewusst in Kauf, um die öffentliche Meinung weltweit zu beeinflussen. Israel hat auch wiederholt darauf verwiesen, dass die Hamas und andere Terrorgruppen im Gazastreifen Tausende Raketen in Richtung Israel abgefeuert haben - ohne jede Rücksicht auf die israelische Zivilbevölkerung.

Von Christiane Oelrich, dpa
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