Die humanitäre Lage im Gazastreifen - wie hier in Rafah - spitzt sich weiter zu.
Mohammed talatene/dpa
Die humanitäre Lage im Gazastreifen - wie hier in Rafah - spitzt sich weiter zu.
Krieg in Nahost

UN: Gaza-Krieg ist «Gemetzel»

Die Verhandlungen um eine Feuerpause im Gaza-Krieg laufen weiter. Derweil bleibt die humanitäre Lage im Gazastreifen dramatisch. Die News im Überblick.

Trotz der äußerst zähen Verhandlungen über eine befristete Feuerpause im Gaza-Krieg und weitere Geisel-Freilassungen bleibt die Hoffnung auf baldige Fortschritte bestehen. Zuletzt gab es aus Verhandlungskreisen verhalten optimistische Signale zu den Gesprächen zwischen Israel und der islamistischen Hamas. Nun äußerte auch Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi die Hoffnung auf eine Feuerpause innerhalb von Tagen.

Unterdessen spitzt sich die humanitäre Notlage im Gazastreifen weiter zu, sodass die Vereinten Nationen inzwischen auch eine Versorgung der mehr als zwei Millionen Menschen aus der Luft nicht ausschließen. Bei der Verteilung von Hilfsgütern kommt es zu chaotischen Szenen und Rangeleien. Helfer der Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) sehen das Gesundheitswesen in dem dicht besiedelten Küstengebiet völlig zusammenbrechen.

Ägyptischer Präsident äußert Hoffnung auf Feuerpause

Ägyptens Präsident al-Sisi sagte bei einer vom Sender Al Qahera News TV übertragenen Veranstaltung, eine baldige Feuerpause wäre wichtig, um den notleidenden Menschen im Gazastreifen echte Hilfe zukommen zu lassen. Er äußerte sich auch zu Vorwürfen, sein Land lasse die Menschen in Gaza im Stich, indem es ihnen nicht die Ausreise über die Grenze nach Ägypten erlaube.

«Für uns war vom ersten Tag an sehr wichtig, dass der Grenzübergang Rafah eine Route für Hilfslieferungen sein wird», sagte Al-Sisi. Sein Land habe den Grenzübergang auch nie geschlossen, müsse in der gegenwärtigen Situation aber vorsichtig sein. Ägypten ist besorgt über einen möglichen Massenexodus von Flüchtlingen aus dem Gazastreifen in Richtung Ägypten.

Bericht: Heftige Rangeleien um Hilfslieferungen

Angesichts der desaströsen humanitären Situation im Gazastreifen schließen die Vereinten Nationen Versorgungsflüge nicht aus. «Im Idealfall wollen wir Dinge über die Straße bewegen, wir wollen, dass mehr Straßen offen sind, wir wollen mehr offene Grenzübergänge. Aber wie gesagt: Für das Welternährungsprogramm WFP bleiben alle Optionen auf dem Tisch», sagte UN-Sprecher Stephane Dujarric in New York. 

Zuletzt hatte sich die humanitäre Situation im Gazastreifen auch deshalb zugespitzt, weil viele Lastwagen mit Hilfsgütern nicht zu ihrem Bestimmungsort durchgelassen werden. Bei der Verteilung von aus der Luft abgeworfenen Hilfsgütern kam es einem CNN-Bericht zufolge zu chaotischen Szenen.

Bei Chaos und Schüssen rund um einen Hilfskonvoi im Gazastreifen sind am Morgen zudem Dutzende Menschen ums Leben gekommen. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde warf Israels Armee vor, eine Menge in der Stadt Gaza angegriffen zu haben, die auf die Hilfsgüter gewartet habe. Dabei sollen 104 Menschen getötet und 760 verletzt worden sein. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Kolumbien setzt nach dem Vorfall alle Waffenkäufe aus Israel aus. «Beim Betteln nach Lebensmitteln wurden mehr als 100 Palästinenser von Netanjahu getötet. Dies wird als Völkermord bezeichnet und erinnert an den Holocaust, auch wenn die Weltmächte dies nicht wahrhaben wollen», schrieb Staatspräsident Gustavo Petro auf der Plattform X, ehemals Twitter. Die Welt müsse den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu blockieren, sagte Petro und ordnete die Aussetzung aller Waffenkäufe aus dem Land an.

Ärzte ohne Grenzen: Gesundheitswesen bricht zusammen

Angesichts der dramatischen Lage im Gazastreifen schafft es das medizinische Personal dort nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen kaum noch, die Menschen hinreichend zu versorgen. «Das Gesundheitswesen ist angegriffen worden - es bricht zusammen. Das ganze System bricht zusammen», sagte die Generaldirektorin der Organisation, Meinie Nicolai, in einer Videobotschaft auf der Plattform X (vormals Twitter).

Unterdessen stellte das Krankenhaus Kamal Adwan in Dschabalia im Norden des Küstenstreifens wegen Treibstoffmangels seine medizinischen Aktivitäten ein. Dies verschärfe die Lage noch mehr und führe dazu, dass Tausende Patienten nicht mehr versorgt werden könnten, sagte der Direktor des Krankenhauses, Ahmed Kahalot.

Insgesamt mehr als 30.000 Tote

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, hat die anhaltenden Angriffe im Gazastreifen als «Gemetzel» bezeichnet. Wie die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde bekanntgab, wurden allein in den vergangenen 24 Stunden 81 Menschen getötet und 132 weitere verletzt. Seit Beginn der israelischen Militäroffensive im Oktober seien nun 30.035 Menschen getötet und 70.457 verwundet worden.

Türk zitierte die Opferzahlen vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf und sagte, Zehntausende würden zudem vermisst und seien vermutlich unter den Trümmern ihrer Häuser begraben. «Das ist ein Gemetzel.»

Die Hamas-Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Vereinten Nationen und andere Beobachter weisen aber darauf hin, dass sich die Zahlen der Behörde in der Vergangenheit als insgesamt glaubwürdig herausgestellt hätten.

Tausende Tonnen Munition eingesetzt

Israel habe im Gazastreifen Tausende Tonnen Munition in dicht besiedelten Wohnvierteln eingesetzt. Darunter seien Waffen, die großräumig Schaden anrichteten, sagte Türk. Solche Waffen produzierten eine massive Druckwelle, die menschliche Organe zerreißen und tiefe Verbrennungen verursachen könnten.

«In den vergangenen fünf Kriegsmonaten hat das Büro zahlreiche Vorfälle registriert, die auf Kriegsverbrechen der israelischen Streitkräfte hindeuten, sowie Hinweise darauf, dass die israelischen Streitkräfte wahllos oder unverhältnismäßig gezielt haben und damit gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen», sagte Türk. Das Blockieren von Hilfslieferungen und damit der Einsatz von Hunger als Kriegsmethode könnten, wenn sie bewusst durchgeführt werden, womöglich Kriegsverbrechen sein.

«Schlachtfeld in Gaza hat die Hamas kreiert»

Die israelische Botschafterin verteidigte das Vorgehen Israels. Ihr Land sei im Krieg gegen eine Terrororganisation. Das Schlachtfeld in Gaza habe die Hamas kreiert. Weil die Kämpfer sich hinter Zivilisten versteckten, habe Israel keine andere Wahl, als dort anzugreifen. Israel setze alles daran, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten, etwa durch Warnungen vor Luftschlägen an die Bevölkerung.

Der palästinensische Botschafter sagte, Kinder und Frauen, die verzweifelt anstünden, um etwas zu Essen zu bekommen, würden bombardiert. Er warf Israel Genozid vor. Er verurteilte die Anschläge vom 7. Oktober. Die Zeitrechnung habe aber nicht am 7. Oktober begonnen. Israel unterdrücke die Palästinenser seit Jahrzehnten.

Die Diplomaten aus Dutzenden Ländern im Saal zeigten keine Reaktion auf den Redebeitrag der israelischen Botschafterin, die mit zwei freigelassenen Geiseln im Saal des UN-Menschenrechtsrats war. Nach der Rede des palästinensischen Vertreters gab es dagegen lang anhaltenden Applaus.

Bundesregierung stockt humanitäre Hilfe für Gaza auf

Angesichts des Leids der Menschen im Gazastreifen stockt die Bundesregierung die humanitäre Hilfe für den abgeriegelten Küstenstreifen um weitere 20 Millionen Euro auf. Das kündigte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Berlin an. Sie fügte hinzu, dass das aber bei Weitem nicht reiche.

Die Zahl der Lastwagen, die lebensrettende Nahrungsmittel, Medikamente und andere Hilfsgüter nach Gaza bringen, sei in den vergangenen Wochen stark zurückgegangen. «Das ist nicht akzeptabel. Die israelische Regierung muss umgehend sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe ermöglichen», forderte die Ministerin.

Demonstranten durchbrechen Kontrollpunkt an Grenzübergang

Bei einem Protest am Erez-Grenzübergang zum Gazastreifen haben indes israelische Demonstranten gewaltsam einen Militärkontrollpunkt durchbrochen und sind in das Gebiet des abgeriegelten Küstengebiets eingedrungen. An dem Übergang nördlich des Gazastreifens hätten sich zuvor etwa 100 Demonstranten versammelt, bestätigte Israels Militär auf Anfrage. Zuvor berichteten mehrere israelische Medien über den Vorfall. 

Bei den Demonstranten handelt es sich Medienberichten zufolge um radikale Siedleraktivisten. Sie schafften es demnach rund 500 Meter in den Gazastreifen hinein, bevor sie von israelischen Soldaten gestoppt wurden. Nach Angaben der Armee überwachten Soldaten die Menschen während des Vorfalls im Gazastreifens. Sie wurden schließlich zurück auf israelisches Gebiet gebracht und an die Polizei übergeben.

Auf Videos in den sozialen Medien war zu sehen, wie die Demonstranten mit Brettern bestückt eine provisorische Siedlung auf der anderen Seite des Grenzübergangs - aber noch immer auf israelischem Territorium - aufstellen wollten. Es kam zu harschen Wortgefechten zwischen den Aktivisten und Soldaten, die sie vom Durchqueren abhielten.

Vermutlich Angriffe Israels in Syrien und Libanon

Bei mutmaßlich israelischen Angriffen auf Ziele in Syrien und dem Libanon wurde Menschenrechtsaktivisten zufolge ein Mensch getötet. Mehr als ein Dutzend soll verletzt worden sein. Von israelischer Seite gab es zunächst keine Bestätigung.

Wie die in Großbritannien ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, wurde ein Lastwagen nahe der syrischen Stadt Homs unweit der Grenze zum Libanon durch einen mutmaßlich israelischen Drohnenangriff getroffen. Dabei sei ein Mensch ums Leben gekommen. Syrischen Regierungskreisen zufolge soll es sich wohl um ein Fahrzeug der Schiitenorganisation Hisbollah gehandelt haben. 

Auch im Südwesten der syrischen Hauptstadt Damaskus wurden Explosionen gemeldet. Dabei wurde der Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge eine Luftabwehr- und Radarstellung ins Visier genommen. Es handle sich bereits um den 17. israelischen Angriff auf syrisches Gebiet seit Beginn des Gazakriegs im vergangenen Oktober, so die Aktivisten.

Auch im Libanon waren Berichten zufolge Hisbollah-Stellungen das Ziel israelischer Angriffe. Demnach gab es bereits in der Nacht eine ganze Reihe von Luftschlägen und Artilleriebeschuss auf verschiedene Orte im Grenzgebiet. Laut libanesischen Sicherheitskreisen wurden 14 Menschen verletzt. Die Hisbollah gab an, sie habe israelische Soldaten im israelisch-libanesischen Grenzgebiet beschossen. Israel soll mit weiteren Luftangriffen reagiert haben.

Zwei Menschen bei Anschlag im Westjordanland getötet

Bei einem Anschlag nahe einer israelischen Siedlung im Westjordanland sind zudem zwei Menschen getötet worden. Am Nachmittag habe ein Terrorist an einer Tankstelle unweit von Eli das Feuer eröffnet, teilte das israelische Militär mit. Der Angreifer konnte demnach vor Ort «neutralisiert» werden. Israelische Soldaten sperrten die umliegenden Straßen und suchen nach möglichen weiteren Verdächtigen in der Gegend.

Die beiden Opfer wurden noch am Tatort von den Rettungskräften für tot erklärt, wie der Rettungsdienst Magen David Adom mitteilte. Demnach handelt es sich um zwei Männer, die den Angaben zufolge zwischen 20 und 40 Jahre alt sind.

© dpa-infocom, dpa:240229-99-163397/10
Copyright 2024, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten