Trauer und viele offene Fragen nach Nawalnys Tod
Weltweit herrschen Trauer und Bestürzung nach dem Tod des inhaftierten Kremlkritikers Alexej Nawalny. Derweil halten die russischen Behörden den Leichnam des 47-Jährigen weiter unter Verschluss.
Weltweit herrschen Trauer und Bestürzung nach dem Tod des inhaftierten Kremlkritikers Alexej Nawalny. Derweil halten die russischen Behörden den Leichnam des 47-Jährigen weiter unter Verschluss.
Auch zwei Tage nach dem Tod des Kremlkritikers Alexej Nawalny haben die Angehörigen noch keinen Zugang zur Leiche erhalten. Mehr als 12.000 Menschen in Russland forderten laut Bürgerrechtlern in einem Aufruf, den Leichnam des in einem sibirischen Straflager ums Leben gekommenen Politikers an die Hinterbliebenen zu übergeben.
Die Bürgerrechtsplattform OWD-Info hatte die Petition erst am späten Samstagnachmittag gestartet. Die Herausgabe müsse schnell erfolgen, heißt es in der Erklärung: «Wenigstens nach seinem Tod sollte Alexej Nawalny bei seinen Angehörigen sein.»
Der nach vielen Tagen in immer wieder angesetzter Einzelhaft körperlich geschwächte Nawalny war nach russischen Behördenangaben am Freitag bei einem Hofgang in seinem sibirischen Straflager bei eisigen Temperaturen zusammengebrochen. Wiederbelebungsversuche waren nach Angaben des Strafvollzugs erfolglos. Nawalny war zum Zeitpunkt des Todes erst 47 Jahre alt.
Menschenrechtler werfen dem russischen Machtapparat Mord vor. Auch die Mitarbeiter des prominenten Anti-Korruptionskämpfers gingen davon aus, dass Nawalny gezielt getötet wurde.
Nowaja Gaseta: Nawalnys Leiche liegt in Salechard
Die in Russland von den Behörden geschlossene und dann im Ausland wieder eröffnete «Nowaja Gaseta» berichtete derweil unter Berufung auf eigene Quellen, dass Nawalnys Leiche im Bezirkskrankenhaus der Stadt Salechard im hohen Norden Sibiriens aufbewahrt werde. Eine Obduktion habe zumindest bis Samstag noch nicht stattgefunden. Zudem soll der Körper des Toten blaue Flecken aufweisen.
Salechard ist die Hauptstadt des autonomen Kreises der Jamal-Nenzen. Das Straflager «Polarwolf», in dem Nawalny starb, liegt etwa 50 Kilometer Luftlinie nordwestlich davon - bereits jenseits des Polarkreises.
Die «Nowaja Gaseta» zitiert einen anonymen Mitarbeiter des Notfalldienstes. Die blauen Flecken zeugen seinen Angaben nach davon, dass Nawalny vor dem Tod Krämpfe gehabt habe und von Justizangestellten festgehalten wurde. Ein Bluterguss auf der Brust sei zudem Indiz für tatsächlich vorgenommene Wiederbelebungsversuche. Allerdings geht aus dem Zeitungsbericht hervor, dass der Informant selbst Nawalny nach dessen Tod nicht gesehen hat, sondern über seinen Zustand nur von Kollegen informiert wurde.
Bestätigen ließen sich die Angaben zunächst nicht. Von offizieller Seite gab es am Wochenende keine Informationen über den Verbleib des Toten.
Seine Mutter Ljudmila Nawalnaja hatte im Straflager «Polarwolf» nur die Todesnachricht erhalten. Obwohl ihr mitgeteilt wurde, dass sich sein Leichnam in der Stadt Salechard zur Untersuchung befinde, konnten die Anwälte den Toten dort zunächst nicht ausfindig machen.
Wird der Leichnam vor der Öffentlichkeit versteckt?
Es ist auch unklar, wann eine Obduktion stattfinden soll. Die Ermittler hätten die Möglichkeit, den Toten über lange Zeit vor der Öffentlichkeit zu verstecken, befürchtet der Anwalt Jewgeni Smirnow. So könne nach der ersten Überprüfung ein Strafverfahren eingeleitet werden, um weitere Manipulationen vorzunehmen. «Einen juristischen Grund zu finden, um den Leichnam Monate oder sogar länger einzubehalten, ist sehr einfach», sagte er. Sollte Nawalny nicht binnen fünf Tagen an seine Angehörigen übergeben werden, bestehe dringender Verdacht, dass etwas vertuscht werden solle, mutmaßte er.
Andere Beobachter vermuten, dass die Behörden deswegen mit der Herausgabe des Leichnams zögern, um vor der Präsidentenwahl Mitte März keinen Anlass für Proteste zu schaffen, die sich an der Beerdigung des schärfsten Kritikers von Kremlchef Wladimir Putin entzünden könnten. Putin, der vor vier Jahren dafür extra die Verfassung geändert hat, will sich zum fünften Mal als Präsident wählen lassen.
Bundesjustizminister Marco Buschmann fordert eine Freigabe und unabhängige Untersuchung des Leichnams. «Die russischen Behörden müssen umgehend Alexander Nawalnys Leiche freigeben», sagte der FDP-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. «Dieses letzte Mindestmaß an Respekt sollten die russischen Herrscher dem toten Nawalny und seiner Familie entgegenbringen - nachdem sie dem lebenden Nawalny dies bereits versagt hatten.»
Serbien besorgt um Beziehungen zu Russland
Serbiens russlandfreundlicher Staatspräsident Aleksandar Vucic befürchtet indes, dass die Position seines Landes zum Kreml nach dem Tod «schwieriger» werde. Das sagte Vucic dem serbischen Fernsehsender Prva.
Zugleich bekundete er, er sei «entsetzt» von der Nachricht, dass der 47-Jährige tot sei. Damit reagierte er zum ersten Mal darauf. Vorher war er von den Medien kritisiert worden, weil er bei der Münchner Sicherheitskonferenz der Witwe Nawalnys, Julija Nawalnaja, nach deren Rede nicht applaudiert hatte.
Die Haltung Serbiens zu Russland müsse nun im Kontext der Fortschritte Russlands in der Ukraine und des Ausgangs der US-Präsidentschaftswahlen gesehen werden, sagte Vucic weiter. Sanktionen gegen Russland lehnte er weiter ab.
Witwe zu EU-Außenministertreffen eingeladen
Die Witwe des ums Leben gekommenen Kremlkritikers ist indes zu den Beratungen der europäischen Außenminister in Brüssel eingeladen worden. Wie der Außenbeauftragte Josep Borrell auf der Plattform X (früher Twitter) weiter berichtete, wollten die EU-Außenminister bei ihrem Treffen «ein starkes Signal der Unterstützung für die Freiheitskämpfer in Russland senden» und die Erinnerung an den 47-jährigen Nawalny ehren. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel will Julia Nawalnaja nach Angaben seiner Sprecherin empfangen.
Kurz nach der Nachricht vom Tod ihres Mannes war Nawalnaja am Freitag bereits bei der Münchner Sicherheitskonferenz aufgetreten und hatte in einer viel beachteten Rede zum Kampf gegen den russischen Machtapparat von Präsident Wladimir Putin aufgerufen.
Proteste und Gedenkveranstaltungen
In vielen russischen Städten legen derweil nach wie vor Menschen Blumen an Denkmälern für Opfer politischer Repression nieder, um an Nawalny zu gedenken. Polizei und Stadtreinigung räumen vielerorts die Blumen aber schnell wieder weg, um Bilder zu verhindern, die auf die Popularität des Putin-Kritikers hindeuten könnten. Während die Blumenniederlegung zumindest weitgehend toleriert werden, nahm die russische Polizei bei verschiedenen Trauerveranstaltungen innerhalb von zwei Tagen mehr als 400 Menschen fest.
Gedenkveranstaltungen für Nawalny gibt es allerdings weltweit. Und auch der internationale Druck auf Russland steigt nach dem Tod des Oppositionspolitikers. So forderte Schanna Nemzowa, die nach Deutschland ausgereiste Tochter des 2015 ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzow, eine scharfe Reaktion des Westens. US-Präsident Joe Biden habe «ernsthafte Folgen» für den Fall des Todes von Nawalny angekündigt. «Mir scheint, diese Folgen sollten in einer militärischen, wirtschaftlichen und humanitären Hilfe für die Ukraine bestehen», sagte sie auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
In Berlin demonstrierten mehrere Hundert Menschen gegen die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Vor der russischen Botschaft Unter den Linden versammelten sich Demonstranten und zogen mit Sprüchen wie «Putin ist ein Killer» und «Stoppt Putin» über die angrenzenden Straßen um das Botschaftsgebäude. In der Spitze nahmen laut Polizei 450 Menschen teil.
Von André Ballin, dpa
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