Als erste Bundesratspräsidentin ist Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig in die Ukraine gereist und hat dem von Russland angegriffenen Land die Solidarität aller 16 Bundesländer zugesichert. «Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen und es darf überhaupt nicht sein, dass Russland mit dieser Aggression durchkommt», sagte die SPD-Politikerin schon auf der Zugfahrt in die ukrainische Hauptstadt.
Ihre Reise solle auch dem zunehmenden Widerstand gegen die Ukraine-Hilfe gerade in Ostdeutschland etwas entgegensetzen. Ihre Aufgabe als Ministerpräsidentin sei es, den Kurs der Bundesregierung auch gegen solche Stimmungen zu verteidigen.
Persönliche Zeitenwende nach dem Angriff auf die Ukraine
Schwesig ist seit dem 1. November 2023 für ein Jahr Präsidentin des Bundesrats und hat damit das vierthöchste Staatsamt nach dem Bundespräsidenten, der Bundestagspräsidentin und dem Bundeskanzler inne.
Die russische Invasion in der Ukraine, die für Deutschland insgesamt eine Zäsur in den Beziehungen mit Russland bedeutete, führte für Schwesig zu einer persönlichen Zeitenwende: Auch nach der russischen Annexion der Krim 2014 galt die SPD-Politikerin noch als treue Russland-Freundin, setzte sich vehement für die Vollendung der Gaspipeline Nord Stream 2 ein, stemmte sich gegen Russland-Sanktionen und veranstaltete deutsch-russische Wirtschaftskonferenzen. Der frühere ukrainische Botschafter Andrij Melnyk sagte einmal über sie, er würde ihr nie die Hand geben.
Partnerschaft mit Tschernihiw statt St. Petersburg
Erst nach dem russischen Angriff vor gut zwei Jahren vollzog Schwesig eine Kehrtwende und nannte ihr damaliges Engagement für Nord Stream 2 einen Fehler. Statt der früheren Partnerschaft mit dem russischen St. Petersburg hat Mecklenburg-Vorpommern heute eine mit Tschernihiw nördlich von Kiew. 100.000 Euro werden jährlich in den Landeshaushalt eingestellt, um Hilfsprojekte dort mitzufinanzieren. Mecklenburg-Vorpommern ist das erste ostdeutsche Flächenland, das eine solche Partnerschaft eingegangen ist. Bundesweit sind es insgesamt acht.
Klitschko umarmt Schwesig: «Wichtige symbolische Visite»
Die Russland-Vergangenheit Schwesigs scheint für die Ukraine inzwischen abgehakt zu sein. In Kiew wurde die SPD-Politikerin von Ministerpräsident Denys Schmyhal, Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk und Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko freundschaftlich empfangen. Klitschko umarmte sie sogar zur Begrüßung. «Das ist eine wichtige symbolische Visite und ein Zeichen: Deutschland unterstützt die Ukraine, Deutschland sieht die Ukraine als Teil der europäischen Familie», sagte der frühere Box-Weltmeister nach dem Gespräch.
Schmyhal sprach von einem «wichtigen Besuch». Er dankte Deutschland für die Solidarität, würdigte die Wiederaufbaukonferenz in Berlin vor knapp zwei Wochen und die Lieferung deutscher Patriot-Flugabwehrsysteme. Schwesigs Russland-Vergangenheit spielte nach Teilnehmerangaben keinerlei Rolle in den Gesprächen.
«Die Ukraine muss sich verteidigen können»
Mit ihrem Bekenntnis, dass die Ukraine den Krieg gewinnen muss, ging Schwesig weiter als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Der sagt lediglich, Russland dürfe den Krieg nicht gewinnen und die Ukraine dürfe ihn nicht verlieren.
Die Ministerpräsidentin warb in Kiew für weitere humanitäre und finanzielle Hilfe, aber auch für weitere Waffenlieferungen, damit das Land sich besser gegen die russischen Angreifer schützen kann. «Die Ukraine muss sich verteidigen können und vor allem muss die Ukraine ihre Bevölkerung, ihre Familien schützen können.» Schwesig hob die Patriot-Flugabwehrsysteme hervor, von denen Deutschland bereits zwei geliefert und ein drittes versprochen hat, das noch im Juni im Kriegsgebiet eintreffen soll.
Schwesig erinnert Ostdeutsche an deutsche Teilung
«Die Ukraine ist von Russland brutal angegriffen worden, wir stehen an der Seite der Menschen», sagte sie. Dass das zu Hause in Mecklenburg-Vorpommern bei vielen nicht gut ankommt, ist ihr bewusst. Nach einer YouGov-Umfrage vom März finden 57 Prozent der Ostdeutschen, dass Deutschland zu viele Waffen in die Ukraine liefert. In Westdeutschland sind es nur 40 Prozent.
Wenn Schwesig danach gefragt wird, verweist sie auf die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Bundestag Mitte Juni. Der hatte die Deutschen daran erinnert, dass ihr Land auch einmal geteilt war - wie jetzt die Ukraine. «Gerade wir Ostdeutschen wollten die Wiedervereinigung», sagte Schwesig in Kiew. Nichts anderes wolle die Ukraine jetzt. «Sie will vereint in Frieden, Freiheit und Demokratie leben, genau wie wir in Deutschland – nicht mehr, aber auch nicht weniger.»
Von Michael Fischer und Andreas Stein, dpa
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