Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wird heute 80 Jahre alt.
Michael Kappeler/dpa
Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wird heute 80 Jahre alt.
Geburtstag

Schröder wird 80: Kein Verstecken mehr

Vom Berliner Politbetrieb ausgegrenzt, vom Kreml hofiert. Seine Freundschaft zu Putin hat Gerhard Schröder weit ins Abseits manövriert. Mit der Rolle des Geächteten will er sich aber nicht abfinden.

Als Gerhard Schröder vor zehn Jahren seinen 70. Geburtstag feierte, war die Welt des Ex-Kanzlers noch einigermaßen in Ordnung. Die SPD organisierte für ihn einen großen Empfang im Berliner Kunstmuseum Hamburger Bahnhof. Der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte ihn in seiner Festrede einen «der ungewöhnlichsten sozialdemokratischen Politiker». Auch im Rathaus von Hannover wurde der Ehrenbürger Schröder von 180 Gästen gefeiert, allen voran der damalige und heutige Ministerpräsident Stephan Weil. 

Wenn Schröder am 7. April 80 wird, wird es all das nicht mehr geben. Die Ehrenbürgerschaft seiner Heimatstadt Hannover hat er selbst hingeworfen, nachdem ein Verfahren zum Entzug gegen ihn eingeleitet worden war. Die SPD-Spitze hat mit ihrem Ex-Kanzler gebrochen und lädt ihn nicht einmal mehr zu Parteitagen ein, wie es für frühere Vorsitzende eigentlich üblich ist. Selbst die Schröder-Kaffeetassen wurden aus dem Sortiment des SPD-Online-Shops verbannt. 

Der langjährige SPD-Chef (1999 bis 2004) und Kanzler (1998 bis 2005) hat sich selbst weit ins politische Abseits manövriert, weil er den russischen Einmarsch in die Ukraine zwar als Fehler verurteilt hat, an seiner Freundschaft zum russischen Präsidenten Wladimir Putin aber trotz russischer Kriegsverbrechen und Zehntausender Toter bis heute festhält. Seinen 80. Geburtstag feiert er trotzdem Ende April. Ausgerechnet mitten in Berlin, der Stadt, in der er vom politischen Establishment geächtet wird. Als wenn er sagen wollte: Hallo, ich bin noch da, und ich werde mich nicht in Hannover verstecken. 

Steiler Aufstieg und tiefer Fall

Kein Kanzler der Bundesrepublik ist nach seiner Amtszeit im öffentlichen Ansehen so tief gesunken wie Schröder. Aber auch kaum ein anderer Politiker hat vorher so eine steile politische Karriere hingelegt. Schröder wuchs in sehr armen Verhältnissen im Kreis Lippe im Nordosten Nordrhein-Westfalens als Halbwaise auf, trat mit 19 Jahren in die SPD ein, studierte Jura und setzte sich früh große Ziele. Schon in den 80er-Jahren soll er in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn am Zaun des Kanzleramts gerüttelt und gerufen haben: «Ich will hier rein.» 

Ende 1998 wurde er nach acht Jahren als niedersächsischer Ministerpräsident Kanzler der ersten rot-grünen Regierung auf Bundesebene. Ähnlich wie jetzt bei Scholz war seine erste Legislaturperiode von Kriegen geprägt. Nur fünf Monate nach seiner Vereidigung schickte Schröder erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten in einen Kampfeinsatz. Tornados der Bundeswehr beteiligten sich im Kosovo-Krieg an den Luftangriffen auf Belgrad. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 auf die USA zögerte Schröder nicht, einer deutschen Beteiligung am Militäreinsatz in Afghanistan zuzustimmen. Seine «uneingeschränkte Solidarität» mit den USA hatte erst bei der Irak-Invasion ein Ende. Schröder sagte Nein zu diesem Krieg und wurde nicht zuletzt deshalb 2002 wiedergewählt.

Auf diese Entscheidung ist die SPD bis heute stolz. Große Probleme hatte sie dagegen mit den Sozialreformen der Agenda 2010, die Schröder bereits ein Stück weit von seiner Partei entfremdete. Von den politischen Entscheidungen bereue er aber bis heute nichts, sagt er Mitte März in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in seinem Büro in Hannover. Und auch nichts von dem, was danach kam. 

Lobbyist für russische Unternehmen: «Das ist meine Sache»

Schon kurz nach seiner Kanzlerschaft stieg er als Lobbyist bei russischen Energieunternehmen ein. «Ich war, als ich aufhören musste, knapp über 60. Da musste ich ja was tun und habe das auch gemacht - als Anwalt und in anderen Bereichen», sagt er. Dass man auch als Bundeskanzler außer Dienst als Repräsentant seines Landes Verantwortung trägt, hielt Schröder nicht von seinem Russland-Engagement ab. «Das ist meine Sache», sagt er auf Fragen danach auch heute noch trotzig. Hauptsache, es sei rechtlich nicht angreifbar. 

Immer noch ist Schröder für die mehrheitlich russischen Gesellschaften der beiden Nord-Stream-Pipelines durch die Ostsee tätig. Die SPD hat sich lange Zeit nur bedingt daran gestört. Noch 2017 - drei Jahre nach der russischen Annexion der Krim und dem Beginn des Kriegs in der Ostukraine - sprach Schröder auf einem SPD-Parteitag, um den damaligen Spitzenkandidaten Martin Schulz zu unterstützen. Auch als Scholz im Dezember 2021 im Bundestag als Kanzler vereidigt wurde, war er noch auf der Besuchertribüne dabei.

Die Freundschaft mit Putin rechtfertigt er mit Pragmatismus

Der Bruch kam erst mit der russischen Invasion in der Ukraine. Schröder distanzierte sich vom Krieg, nicht aber von Putin. Im März 2022 - wenige Wochen nach Kriegsbeginn - versuchte er seine guten Beziehungen in den Kreml für eine Vermittlungsmission zu nutzen, die ihn nach Istanbul zu Gesprächen mit einem ukrainischen Parlamentarier und dann nach Moskau führte. Die Mission scheiterte. 

Aber Schröder gibt sich weiterhin überzeugt, dass seine Freundschaft helfen kann, den Konflikt zu lösen. «Und deswegen hielte ich es für völlig falsch, alles vergessen zu machen, was es auch an positiven Ereignissen zwischen uns in der Politik in der Vergangenheit gegeben hat. Das ist nicht meine Art und das tue ich auch nicht», bekräftigt er Mitte März. Freundschaft aus Pragmatismus, so versucht er seine Beziehung zu Putin zu rechtfertigen. 

Lauterbach: «Heute muss man sich leider für ihn schämen»

Vom Kreml erntet er dafür Applaus. Aus der SPD kommt wie so oft reflexartig Empörung. «Heute muss man sich leider für ihn schämen», schrieb Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf X (früher Twitter). «Mit der SPD hat das nichts mehr zu tun. Als “Freund" Putins sollte er bei uns einfach austreten.»

Wenn die Sprache auf Putin kommt, reagiert Schröder sehr schnell genervt oder sogar ungehalten. Viel lieber redet er über Olaf Scholz und Boris Pistorius, die Ampel und die SPD - und über sich selbst. Sein Büro in einer Villa in Hannover wirkt wie ein Gerhard-Schröder-Museum. Überall hängen und stehen Gemälde und Skulpturen von ihm und von seiner Frau Soyeon Schröder-Kim, mit der er seit 2018 in fünfter Ehe verheiratet ist. Beim Interview sitzt sie mit am Tisch und filmt das einstündige Gespräch mit ihrem Handy. 

Adenauer und Merkel im Rücken - Lafontaine auf dem Schreibtisch 

Hinter seinem Schreibtisch hängt eine Galerie von Schwarz-Weiß-Fotografien aller ehemaligen Kanzler von Konrad Adenauer bis Angela Merkel. Auf dem Tisch liegt ein Buch von Oskar Lafontaine mit dem Titel «Ami, it's time to go». Lafontaine ist der andere Ex-SPD-Vorsitzende, der nicht mehr zu Parteitagen eingeladen wird. In diesem Fall ist die Sache aber klarer: Der 80-jährige Saarländer ist selbst aus der SPD ausgetreten und hat mit der WASG eine neue Partei mitbegründet, die später in der Linken aufging. 

Die beiden Ex-SPD-Granden, zwischen denen über Jahrzehnte Funkstille herrschte, haben sich im vergangenen Jahr bei einem Treffen im saarländischen Merzig versöhnt. Ein PR-Coup, mit dem sich Schröder nach langer Abstinenz in der deutschen Öffentlichkeit zurückmeldete. Seitdem sieht man ihn ab und zu auch wieder mit seiner Frau bei offiziellen Anlässen. Am Tag der Deutschen Einheit fuhr er im vergangenen Jahr zum Festakt in die Hamburger Elbphilharmonie. Auch bei der Trauerfeier für Fußball-Legende Franz Beckenbauer war er im Januar in München dabei. 

Haferflocken-Diät für ein neues Image

Der Ex-Kanzler arbeitet an seinem Image. Seine Frau hat ihn auf Diät gesetzt. Statt Currywurst und Bier wie früher mal gibt es zu Hause jetzt Obst, Haferflocken und alkoholfreien Rosé-Wein zum Abendessen. Seit vergangenem Herbst gibt Schröder wieder Interviews. Den NDR ließ er sogar einen Dokumentarfilm über sich drehen, nahm das Kamerateam mit auf den Golf-Platz und auf eine China-Reise, wo er wie in Russland noch hofiert wird.   

Was soll das alles nun werden? Ein Comeback als Elder Statesman, der Ratschläge von der Seitenlinie gibt? Schröder verneint das zwar zunächst. Er sei «eine Zeit lang aus guten Gründen» abgetaucht, das wolle er im Prinzip auch nicht ändern. «Aber wenn man mal in einer Weise wie ich in der Öffentlichkeit gearbeitet hat, kann man sich dem nicht völlig entziehen.» Also will er doch wieder irgendwie mitmischen. Das solle aber in einer Weise geschehen, «durch die meine Partei, die es schwer genug hat zurzeit, das kann man ja gar nicht bestreiten, nicht zusätzlich in Schwierigkeiten kommt», betont Schröder 

Ein Lob für Scholz, das nur seinen Gegnern hilft

Dass das so nicht funktioniert, dürfte ihm sehr bewusst sein. Sein Lob für das Nein von Kanzler Scholz zur Lieferung der Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine ist von den Gegnern des Kanzlers in dieser Frage instrumentalisiert worden. Und das in einer Situation, in der nicht nur die Ampel-Koalition, sondern auch die SPD mit sich ringt, was den weiteren Ukraine-Kurs angeht. 

Schröder weiß, dass er mit seinem Ruf nach Verhandlungen einen Nerv in seiner Partei trifft. Auch deswegen sieht er sich selbst «in der Mitte der Sozialdemokratie». Der Parteispitze gegenüber sind solche Aussagen eine bewusste Provokation. «Dass ich zu der Parteiführung, zu der gegenwärtigen, kein besonders enges Verhältnis habe, das weiß man doch. Muss man aber auch nicht haben, um Sozialdemokrat bleiben zu können.»

In der «Süddeutschen Zeitung» wird er kurz vor seinem Geburtstag noch einmal deutlicher. «Was mich wirklich traurig macht, ist die Provinzialität der gegenwärtigen Führungsfiguren», sagt er und fügt mit Blick auf die aktuellen Umfragewerte hinzu: «Das ist doch nicht die SPD. Wenn ich bei 15 Prozent gewesen wäre, wäre ich sofort zurückgetreten.»

Der Kanzler will dem Altkanzler gratulieren

Ein Parteiausschlussverfahren hat Schröder überstanden. Und für 60 Jahre Parteimitgliedschaft ist er nach einigen Diskussionen im vergangenen Jahr wie jedes andere Mitglied auch geehrt worden. Zu der Feier in Hannover kamen alte Weggefährten wie der frühere Innenminister Otto Schily, Ex-Parteichef Gabriel und als einziger aktiver SPD-Bundespolitiker Matthias Miersch, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion aus Hannover. Die Gästeliste für die Geburtstagsfeier zum 80. wird noch unter Verschluss gehalten.  «Meine Frau hat Freunde und Freundinnen eingeladen», sagt Schröder. «Ich weiß weder welche, und ich weiß nichts über ein denkbares Programm. Ich weiß nur, dass es in Berlin stattfindet.»

Auch von wem dann sonst noch so Glückwünsche kommen, wird interessant sein. Kanzler Scholz sagte Ende Februar vor Journalisten auf der dpa-Chefredaktionskonferenz auf die Frage, ob er Schröder gratulieren werde, nur ganz knapp: «Sicher.» Und was steht dann in seinem Glückwunschschreiben? «So früh vorher schreibe ich sie nicht.»

Von Michael Fischer und Sven Gösmann, dpa
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