Kremlchef Wladimir Putin hat mit einer «asymmetrischen Antwort» gedroht für den Fall, dass russisches Staatsgebiet von der Ukraine mit aus dem Westen gelieferten Waffen angegriffen wird. Konkret sagte Putin in St. Petersburg, dass Moskau über eine Stationierung seiner Waffen in anderen Weltregionen nachdenke, von wo aus sie für Angriffe gegen die Länder genutzt werden könnten, aus denen die gegen Russland gerichteten Waffen kommen.
«Wir denken darüber nach, dass falls jemand es für möglich hält, Waffen in die Kampfzone zu liefern, um Angriffe auf unser Gebiet durchzuführen (...), warum wir dann nicht das Recht haben sollten, solche Waffen in Weltregionen aufzustellen, wo Angriffe auf sensible Objekte derjenigen Länder ausgeführt werden, die das in Bezug auf Russland tun?», sagte Putin bei einem Treffen mit Vertretern großer internationaler Nachrichtenagenturen, darunter dpa, in St. Petersburg. «Das heißt, dass die Antwort asymmetrisch sein kann. Wir denken darüber nach.»
Putin war zuvor von einem Journalisten auf die Lieferung weitreichender Waffen an die von Russland angegriffene Ukraine gefragt worden - unter anderem nach ATACMS-Raketen aus den USA. Die Ukraine wehrt sich seit mittlerweile mehr als zwei Jahren gegen den russischen Angriffskrieg. Zuletzt hatten mehrere Länder - darunter Deutschland und die USA - Kiew erlaubt, mit aus dem Westen gelieferten Waffen russische Ziele anzugreifen, um Angriffe auf die Metropole Charkiw im Grenzgebiet abzuwehren.
Kremlchef warnt vor Taurus-Lieferung an Ukraine
Putin warnte zudem vor einer möglichen Lieferung von deutschen Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. «Wenn nun gesagt wird, dass (in der Ukraine) auch noch irgendwelche Raketen auftauchen, die Angriffe auf Objekte auf russischem Gebiet durchführen können, dann zerstört das natürlich endgültig die russisch-deutschen Beziehungen», sagte der 71-Jährige. Putin war nach Moskaus Reaktion im Falle einer Lieferung der weitreichenden Taurus-Marschflugkörper durch Berlin an Kiew gefragt worden.
«Als auf ukrainischem Boden die ersten deutschen Panzer deutscher Produktion auftauchten, führte das schon zu einem moralischen und ethischen Schock in Russland, weil die Beziehungen zur BRD in der russischen Gesellschaft immer sehr gut waren», sagte Putin.
Die russisch-deutschen Beziehungen sind durch den von ihm angeordneten Angriffskrieg gegen die Ukraine allerdings ohnehin auf einem Tiefpunkt. Welche Bereiche im Fall von Taurus-Lieferungen aus seiner Sicht noch weiter «zerstört» würden, sagte Putin nicht.
Eine Taurus-Lieferung ist in der Vergangenheit immer wieder von verschiedenen Seiten gefordert worden, damit die Ukraine sich besser gegen den russischen Angriffskrieg verteidigen kann, der seit mehr als zwei Jahren anhält. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aber hat sich bislang immer dagegen ausgesprochen. Stattdessen erlaubte Deutschland - ebenso wie die USA - der Ukraine kürzlich, mit aus dem Westen gelieferten Waffen russische Ziele anzugreifen, um Angriffe auf die Metropole Charkiw im Grenzgebiet abzuwehren.
Putin erwartet keine Änderung der Russland-Politik
Bei dem Gespräch mit Journalisten aus mehr als einem Dutzend Staaten sagte Putin auch, er erwarte keine grundlegende Änderung von Washingtons Politik gegenüber Moskau nach der US-Präsidentenwahl. «Für uns hat das Ergebnis keine große Bedeutung.» Russland werde mit dem Präsidenten arbeiten, den die US-Bürger wählten.
In der Vergangenheit hatte Putin gesagt, dass ihm ein Wahlsieg von Amtsinhaber Joe Biden lieber sei, weil der Präsident berechenbarer sei. Zugleich sagte er, dass bei einem Ende der US-Waffenlieferungen an die Ukraine der Krieg innerhalb von zwei, drei Monaten beendet werden könne. Das habe er auch schon Biden gesagt.
Putin kritisierte zugleich die Gerichtsverfahren gegen Ex-Präsident Donald Trump, der gegen Biden bei der Wahl am 5. November antreten will. Die Justiz in den USA werde für den politischen Kampf genutzt, behauptete der Kremlchef. Trump werde mit lange zurückliegenden Dingen konfrontiert, was auf politische Verfolgung schließen lasse. Viele Menschen verstünden das und unterstützten ihn deshalb.
Putin steht selbst international in der Kritik, politische Gegner bei Präsidentenwahlen in Russland gezielt ausschalten zu lassen. Russlands Justizapparat gilt Willkürinstrument zur Durchsetzung des Machterhalts des Kremlchefs.
Putin: Tausende Ukrainer in russischer Gefangenschaft
Auf eine Frage zur Zahl der russischen Verluste antwortete Putin ausweichend. Die Zahl der Toten liege auf russischer Seite deutlich unter der bei den ukrainischen Streitkräften. Im Verhältnis 1:5, behauptete Putin.
Die Ukraine zeige auch mit ihrer laufenden Mobilmachung, dass sie hohe Verluste ausgleichen wolle. Auch die Zahl der Kriegsgefangenen auf beiden Seiten zeige, dass Russland besser dastehe. Die Ukraine habe 1348 Russen in Gefangenschaft, Russland hingegen habe mehr als 6000 Gefangene des Nachbarlandes. Unabhängig ließ sich das nicht überprüfen.
Die ukrainische Seite dagegen betont, dass deutlich mehr russische als eigene Soldaten fielen in dem Krieg. Die Ukraine beziffert die Zahl der getöteten und verletzten russischen Soldaten auf mehr als eine halbe Million. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte im Februar die Zahl der getöteten Soldaten in den eigenen Reihen mit 31.000 angegeben.
Russland präsentiert ökonomisch starke Rohstoffmacht
Putin ist Gastgeber des 27. St. Petersburger Internationalen Wirtschaftsforums. Bei dem jährlichen Treffen von Unternehmern aus aller Welt will sich Russland trotz der Sanktionen des Westens im Zuge des Moskauer Angriffskrieges gegen die Ukraine als ökonomisch starke Rohstoffmacht präsentieren.
Das Medien-Treffen im markanten Wolkenkratzer Lachta-Zentrum des Gasriesen Gazprom ist die erste internationale Begegnung dieser Art seit Beginn von Putins Krieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022. Putin, der sich erstmals durch den Glasturm von Gazprom-Chef Alexej Miller führen ließ, erklärte auch, dass Russland weiter Gas nach Europa liefere - durch die Ukraine und über die Türkei.
Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte im Staatsfernsehen, dass die Repräsentanten der Agenturen aus unfreundlichen Staaten eingeladen worden sein, «weil sie den Weltnachrichtenfluss bestimmen» und für eine Qualität der Berichterstattung stünden. Peskow sagte, dass in den Russland nicht freundlich gesonnenen Staaten bisweilen Druck auf freie Medien ausgeübt werde.
Der Machtapparat in Moskau, der selbst viele westliche und unabhängige russische Medien blockiert, beklagt immer wieder, dass durch die EU-Sanktionen auch die Sendung kremlnaher Medieninhalte einiger Staatsmedien verboten werde. Das Treffen, das vor dem Krieg Tradition hatte, sei als Versuch gedacht, Putins Sicht direkt zu vermitteln.
Von Martin Romanczyk, Ulf Mauder und Hannah Wagner, dpa
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