Putin (l) hat gesprochen: Schoigu soll nicht mehr länger Verteidigungsminister sein.
Alexander Zemlianichenko/AP/dpa
Putin (l) hat gesprochen: Schoigu soll nicht mehr länger Verteidigungsminister sein.
Regierung

Putin ändert Machtgefüge im Kreml

Nach zwölf Jahren im Amt muss Russlands Verteidigungsminister Schoigu gehen. Sein Nachfolger soll wohl die Waffenindustrie auf Vordermann bringen, weil der Kreml sich auf einen langen Krieg einstellt.

Sergej Schoigu geht, Andrej Beloussow kommt: Mit der Auswechslung seines Verteidigungsministers hat Kremlchef Wladimir Putin innerhalb und außerhalb von Russland für großes Aufsehen gesorgt. Auch einen Tag nach Bekanntgabe des überraschenden Personalwechsels spekulierten viele Beobachter über die Hintergründe - und vor allem darüber, was dies für den weiteren Verlauf von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine bedeuten wird. 

Interne Machtkämpfe und stärkere Ausrichtung auf Kriegswirtschaft

Spät am Sonntagabend hatte das Oberhaus des russischen Parlaments bekannt gegeben, dass Putins Vorschlag eingegangen sei, seinen engen Vertrauten Schoigu durch den bisherigen Vize-Regierungschef Beloussow zu ersetzen. Beloussow stellte sich schon am Montag im Verteidigungsausschuss des Föderationsrates vor. Laut Verfassung müssen die Personalvorschläge des Präsidenten für die sicherheitsrelevanten Ministerien mit dem Oberhaus des russischen Parlaments beraten werden. Schoigu soll dann Sekretär des nationalen Sicherheitsrats werden.

Anlass für die Personalwechsel ist die Neubildung der russischen Regierung, die nach der von Betrugsvorwürfen überschatteten Präsidentenwahl Mitte März nun verfassungsgemäß ansteht. Doch hinter Schoigus Entlassung, der seit 2012 im Amt war, steht offensichtlich mehr - immerhin dürfen andere hochrangige Regierungsvertreter wie Ministerpräsident Michail Mischustin ihre Posten behalten. 

Viele Beobachter hatten schon im Vorfeld auf die Machtkämpfe zwischen rivalisierenden Gruppen im russischen Militärapparat verwiesen. Nach dem Tod des aufständischen Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin im vergangenen Sommer schienen die zwar zwischenzeitlich etwas beiseite gewischt zu sein. Als aber vor wenigen Wochen Schoigus Stellvertreter Timur Iwanow wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet wurde, war sich manch einer sicher: Schoigus Stuhl wackelt.

Hinzu kommt, dass Putin angesichts der enormen Kriegskosten offenbar bestrebt ist, die eigene Rüstungsindustrie auf Vordermann zu bringen. Dafür scheint der 65-jährige Wirtschaftsfachmann Beloussow geeigneter als Schoigu. 

Beloussow soll Russlands Kriegsfinanzierung sichern

Beloussow soll die Gelder im Rüstungssektor besser verwalten. Zudem soll er Russlands Wirtschaft wohl auf einen langanhaltenden Konflikt ausrichten. «Beloussow weiß, woher er das Geld für den Krieg nehmen kann», meint der politische Analyst und frühere Redenschreiber Putins, Abbas Galljamow. Das Kalkül besteht offenbar darin, mit einem Übergewicht an Soldaten, Material und Waffen die ukrainische Armee doch noch zerschlagen zu können. 

An der grundlegenden Ausrichtung des Kriegs wird sich mit Beloussows Ernennung Experten zufolge aber wenig ändern. An der Front läuft es aus russischer Sicht derzeit ohnehin gar nicht so schlecht: Seit Monaten hat Russland im Osten der Ukraine schon die Initiative. Die ukrainische Sommeroffensive des vergangenen Jahres ist weitgehend fehlgeschlagen. Der lange Mangel an Munition und Waffen hat dazu geführt, dass Kiew seit Jahresbeginn wichtige Stellungen verloren hat - allen voran die zur Festung ausgebaute Kleinstadt Awdijiwka in unmittelbarer Nähe der schon seit 2014 von prorussischen Kräften gehaltenen Industriestadt Donezk. 

In der vergangenen Woche begann Russland zudem mit einer neuen Großoffensive im Gebiet Charkiw - in der Hoffnung, die Verteidigungslinien dort vor Ankunft amerikanischer Waffen und frischer ukrainischer Soldaten zu durchstoßen und näher an die Millionenstadt vorzurücken. Bislang sind Moskau aber lediglich Erfolge auf taktischer Ebene geglückt.

Schoigu wird Sekretär des nationalen Sicherheitsrats

Für Schoigu jedenfalls waren diese letzten Erfolge zu wenig, um das Image des Verlierers loszuwerden, das er bei vielen Russen durch den schleppend vorankommenden Krieg innehat. Dass Putin ihn nun zum Sekretär des Sicherheitsrats macht, gilt immerhin als gesichtswahrende Lösung für den langjährigen Weggefährten. Die beiden Männer verbindet eine enge Freundschaft, mehrmals verbrachten sie sogar ihre Urlaube zusammen.

Manch einer sieht in dem neuen Amt sogar einen vielversprechenden Karriereschritt: «Die Position des Sekretärs des Sicherheitsrats beinhaltet den direkten Kontakt zum Präsidenten», zitierte etwa die Tageszeitung «Kommersant» am Montag den Politologen Alexej Makarkin.

Nach 20 Jahren Amtszeit: Lawrow bleibt Außenminister

Seinen Platz in der Regierung behalten darf unterdessen Außenminister Sergej Lawrow - und das, obwohl er bereits seit 20 Jahren im Amt ist und einige mit seinem Abgang mehr gerechnet hätten als mit dem Schoigus. Auch Lawrow, der einer der dienstältesten Außenminister weltweit ist, ist ein enger Vertrauter Putins und durch seine Loyalität für den Kremlchef von großer Bedeutung.

Früher genoss der heute 74-Jährige international ein hohes Ansehen; Kollegen schätzten seine Erfahrung, sein rhetorisches Talent und - trotz seiner oft harten Haltung - seine diplomatische Professionalität. Doch der brutale russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, den Lawrow immer wieder rechtfertigt, lässt ihn in großen Teilen der Welt mittlerweile isoliert dastehen. Stattdessen soll er wohl auch in den kommenden Jahren die diplomatischen Beziehungen zu moskaufreundlichen Staaten wie China weiter ausbauen - ganz im Sinne einer vom Krieg geprägten russischen Außenpolitik.

Von Hannah Wagner und André Ballin, dpa
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