Propalästinensische Aktivisten haben am Dienstag einen Hof der Freien Universität in Berlin besetzt.
Sebastian Christoph Gollnow/dpa
Propalästinensische Aktivisten haben am Dienstag einen Hof der Freien Universität in Berlin besetzt.
Nahostkonflikt

Palästina-Proteste stürzen Unis ins Dilemma

Protestcamps wie in den USA und vielen anderen Ländern finden sich nun auch an deutschen Hochschulen. Das Beispiel der Freien Universität Berlin zeigt, wie schwierig der Umgang damit ist.

Es begann vor Wochen in den USA. An mehr als 100 amerikanischen Universitäten haben propalästinensische Gruppen Protestcamps gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen errichtet. Seither scheint eine Welle um die Welt zu gehen. Zeltstädte und aufgebrachte Demonstranten an Hochschulen in Bangladesch und Australien, in Spanien und Großbritannien, in Frankreich und Finnland, in den Niederlanden und Dänemark. Und nun auch in Deutschland.

In den vergangenen Tagen kam es nicht nur zu aufgewühlten Szenen an Unis in Berlin und Leipzig. Auch die Universität Bremen ließ ein Camp räumen. In Köln stehen Zelte auf einer Wiese an der Universität, in Hamburg eine Mahnwache. An anderen Hochschulen blieb es vorerst ruhig, aber auch Jena oder Weimar hat man ein waches Auge auf mögliche Aktionen. Und überall ist das Dilemma: Geht es hier um legitime Meinungsäußerungen oder antisemitische Propaganda? Um Mitgefühl mit den Menschen in Gaza oder puren Hass auf Israel? Und wie können jüdische und nichtjüdische junge Leute gemeinsam studieren in einer oft so aufgeheizten Stimmung? Denn die dürfte so bald nicht enden.

Kritik von allen Seiten an der FU

Die Debatte nach der Räumung eines Protestcamps an der Freien Universität Berlin am Dienstag zeigt, dass die Verantwortlichen wohl fast nichts richtig machen können in einer solchen Situation. Die Leitung der FU reagierte rasch, als vormittags einige Dutzend Menschen mit Palästina-Tüchern und Transparenten in einen Hof der Uni strömten und begannen, Zelte aufzubauen. Um 10.00 Uhr rief eine Verantwortliche die Polizei, um 12.20 Uhr beantragte die Uni die Räumung.

Für das schnelle Einschreiten bekam sie Lob vom Berliner Senat und vom Zentralrat der Juden. Zentralratspräsident Josef Schuster kritisierte aber, dass die Uni sich nicht inhaltlich zu dem Protest geäußert habe, der eindeutig «fanatischen Charakter» trage. Noch bitterer war die Kritik der anderen Seite. Etwa 100 Dozenten von mehreren Berliner Hochschulen stellten sich gegen die Räumung: «Wir fordern die Berliner Universitätsleitungen auf, von Polizeieinsätzen gegen ihre eigenen Studierenden ebenso wie von weiterer strafrechtlicher Verfolgung abzusehen.» Dafür wiederum kassierten die Dozenten Empörung, unter anderem von Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).

Studierende starteten ihrerseits eine Petition für den Rücktritt von FU-Präsident Günter Ziegler. Soziale Netzwerken verbreiteten Bilder von einem sehr robusten Vorgehen einiger Polizisten. Die Polizei selbst bilanzierte am Mittwoch, es seien 79 Personen vorübergehend festgenommen worden, davon 49 Frauen und 30 Männer, es gebe 80 Strafermittlungsverfahren und 79 Ordnungswidrigkeitenverfahren.

«Extrem aufgeladene Stimmung»

Studierende, die mit dem Protest nichts zu tun hatten und nur wie üblich in die Bibliothek oder in die Mensa wollten, beschreiben die Stunden der Besetzung, der Räumung, der propalästinensischen Demo und einer proisraelischen Gegendemo als einschneidendes Erlebnis. Es sei eine «extrem aufgeladene Stimmung gewesen», sagt eine Studentin in einer Sprachnachricht. «Wenn die Lage eskalieren sollte, dann könnte das auch echt gefährlich werden.» Sie äußert sich verwundert, dass auch ein Mann mit Kippa abgeführt worden sei, der sich auf die propalästinensische Seite gestellt habe.

Eine andere Studierende sagt: «Es war wirklich erschreckend.» Eine dritte Augenzeugin meint, es sei krass gewesen, als Unbeteiligte von der eigenen Uni einfach ausgeschlossen zu werden. Die Polizei sei massiv eingeschritten, die Reaktionen auf dem Campus seien sehr emotional, frustriert, traurig, sauer. Sie erwarte weitere Proteste. «Ich glaube, dass da noch etwas kommen wird», sagt die 23-Jährige.

Alle drei jungen Frauen haben nach eigenen Worten keine antisemitischen Slogans während der Demos gehört. Die Uni verteidigte ihr Vorgehen aber genau damit: «Klar ist, dass es während der gestrigen Protesten zu antisemitischen, diskriminierenden Äußerungen kam, aber auch zu Aufrufen zu Gewalt», erklärte ein Sprecher.

Was legitime Kritik an Israel ist und was nicht, ist für viele eine sehr wackelige rote Linie. Auch Zentralratspräsident Schuster sagt: «Ich kann durchaus verstehen, wenn jemand gegen das Leid der Zivilisten in Gaza protestiert. Auch ich denke an diese Menschen, die von der Hamas als Schutzschilde benutzt werden. Klar muss aber sein, dass der Grund ihres Leids der Terror der Hamas ist. Ein solcher Protest kann nicht durch Vernichtungsfantasien gegen Israel getragen werden.»

Spannungsfeld überall ähnlich

Das Spannungsfeld ist in anderen Ländern ähnlich. Die Anti-Defamation League, eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in New York, beobachtet die propalästinensischen Proteste rund um den Globus, vor allem aber in den USA. «Es gibt legitime Protestformen, wenn sie friedlich und legal sind», sagt Vizepräsidentin Marina Rosenberg der Deutschen Presse-Agentur. Aber in vielen Fällen sei das nicht so. «Viele der Aktivisten sind gar keine Studenten», sagt Rosenberg. Diese «professionellen antiisraelischen und antizionistischen Aktivisten» brächten Slogans auf den Campus, die teils Terrorismus und Gewalt verherrlichten. Das wiederum schaffe eine Atmosphäre der Angst. «Wir machen uns extrem große Sorgen um jüdische Studierende weltweit», sagt Rosenberg.

In Australien toleriert die Universität in Sydney schon seit fast drei Wochen ein Zeltlager von Studenten vor dem Hochschulgebäude. Ein Sprecher sagte zuletzt, es seien keine Verstöße im Zusammenhang mit Antisemitismus festgestellt worden. Der Vizepräsident der «Australasian Union of Jewish Students», Zac Morris, betonte hingegen, jüdische Uni-Mitarbeiter und Studenten fühlten sich zunehmend bedroht. Viele hätten Angst und verpassten deshalb Vorlesungen. «Sie werden gefilmt, verfolgt, eingeschüchtert», sagte er.

Ähnliche Ängste haben jüdische Studierende auch in Deutschland, gerade an der FU Berlin, nachdem einer von ihnen im Februar von einem propalästinensischen Kommilitonen krankenhausreif geschlagen wurde. Danach gab es Solidaritätsbekundungen unter dem Motto «Fridays for Israel». Die politische Anspannung blieb jedoch, der Konflikt ungelöst. Mit dem Impuls aus den USA nimmt der Protest eine neue Form.

Ort der Kontroverse

Protestforscher Jannis Grimm, selbst Dozent an der FU, glaubt, dass Universitäten Meinungsstreit aushalten müssen. «Die Polizei auf den Campus zu holen, ist keine Kleinigkeit», sagt Grimm. «Es muss nicht eine Mehrheit den Protest gut finden. Was wir von den Inhalten halten, spielt keine Rolle. Es ist wichtig, dass diese Proteste stattfinden können. Das gilt auch für die Gegenproteste. Universität muss ein Ort der Kontroverse bleiben, wo die Kontroverse nicht durch die Polizei beendet wird.»

So hält es derzeit die Universität Wien, wo ebenfalls junge Menschen Zelte aufgeschlagen haben. Daneben stehen Transparente wie «Israel mordet, EU macht mit». Die Uni Wien hat sich von den Anliegen der Protestierenden distanziert, ebenso wie die HochschülerInnenschaft der Uni. Die Polizei sieht aber vorerst keinen Grund zur Auflösung. Es habe weder strafrechtliches Verhalten gegeben, noch sei die öffentliche Sicherheit gefährdet, hieß es.

Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa
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