Das israelische Militär bereitet weiter einen Offensive auf Rafah im Gazastreifen vor.
Ariel Schalit/AP/dpa
Das israelische Militär bereitet weiter einen Offensive auf Rafah im Gazastreifen vor.
Krieg in Nahost

Netanjahu: Rafah-Offensive wird «noch etwas Zeit brauchen»

Die USA schlägt Alternativen zu einer Bodenoffensive in Rafah vor. Doch Netanjahu lässt sich seinem Plan nicht abbringen. Wann die Offensive startet bleibt aber weiter unklar. Die News im Überblick.

Die Vorbereitungen auf eine Offensive in der Stadt Rafah im Gazastreifen werden nach Worten des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu «noch etwas Zeit brauchen». In einer Video-Ansprache sagte der Regierungschef, er habe dem US-Präsidenten Joe Biden bei ihrem letzten Telefonat gesagt: «Es ist unmöglich, den Sieg zu vollenden, ohne dass die israelische Armee nach Rafah eindringt, um die Überreste der Bataillone der Hamas auszuschalten.» Netanjahu wiederholte, er habe den Einsatzplan der Armee für Rafah bereits genehmigt, «und bald werden wir auch den Plan zur Evakuierung der Zivilbevölkerung aus den Kampfgebieten genehmigen», sagte er.

Zu seinem Verhältnis mit Biden sagte Netanjahu: «Am Anfang waren wir uns einig, dass die Hamas zerstört werden muss. Aber während des Krieges - das ist kein Geheimnis - gab es Meinungsverschiedenheiten zwischen uns über den besten Weg, dieses Ziel zu erreichen.»

Er hatte in dem Gespräch mit Biden dessen Aufforderung zugestimmt, eine Delegation in den kommenden Tagen nach Washington zu schicken. Dort beabsichtigen die USA Medienberichten zufolge Alternativen zu einer Bodenoffensive aufzuzeigen. Der Präsident habe darum gebeten, «uns Vorschläge seiner Seite im humanitären Bereich und auch zu anderen Themen vorzustellen», sagte Netanjahu. Die USA sind gegen einen Einsatz Israels in Rafah.

Manchmal sei Israel sich mit seinen Verbündeten einig und manchmal nicht, sagte der Regierungschef. «Am Ende haben wir immer das getan, was für unsere Sicherheit essenziell wichtig ist, und das werden wir auch diesmal tun.»

In Rafah suchen Schätzungen zufolge derzeit 1,5 Millionen der 2,2 Millionen Bewohner Gazas auf engstem Raum Schutz vor den Kämpfen in den anderen Teilen des Küstengebiets. In Rafah befindet sich auch der Grenzübergang zu Ägypten, über den Hilfslieferungen in den Gazastreifen gelangen. Hilfsorganisationen warnten vor schwerwiegenden Folgen.

Israel: Haben hochrangige Hamas-Mitglieder getötet

Israels Armee hat nach eigener Darstellung in der Stadt Rafah im Gazastreifen drei hochrangige Mitglieder der islamistischen Hamas getötet. Sie seien Vertreter der Hamas-Führung in der Stadt im Süden des Küstengebiets gewesen, teilte das Militär mit. Die Männer wurden demnach am Montag bei Luftangriffen getötet. Sie seien Leiter des sogenannten Notfallbüros der Hamas gewesen, das israelischen Medien zufolge unter anderem für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Gazastreifen zuständig ist. Laut der Armee waren die Männer außerdem für die Koordinierung der Aktivitäten der Islamistenorganisation vor Ort zuständig. Die Angaben waren zunächst nicht unabhängig zu überprüfen. Die Hamas bestätigte den Tod der drei Männer vorerst nicht.

Israels Armee zufolge soll in der vergangenen Woche zudem ein weiteres hochrangiges Hamas-Mitglied getötet worden sein. Der Mann soll demnach Einsätze der Islamisten in der Gegend geleitet hatte. Auch diese Angaben waren zunächst nicht unabhängig zu überprüfen. Die Hamas äußert sich in der Regel nicht zu Mitgliedern, die getötet werden.

Kanada kündigt Waffenstopp an

Kanada will nach Angaben von Außenministerin Mélanie Joly vorerst keine neuen Waffenexporte nach Israel genehmigen. Es handle sich um mehr als eine symbolische Entscheidung, sagte die Außenministerin des nordamerikanischen Landes, Mélanie Joly, der Zeitung «Toronto Star». «Es ist etwas Handfestes.» Zuvor hatte das kanadische Unterhaus demnach einen entsprechenden Antrag verabschiedet. Obwohl dieser nicht bindend sei, spiegle er die Absicht der Regierung wider, sagte Joly.

«Kanada hat eines der strengsten Exportgenehmigungsverfahren der Welt», hieß es in einer Mitteilung des Außenministeriums an die Deutsche Presse-Agentur. Es gebe derzeit keine offenen Genehmigungen für Waffenlieferungen nach Israel. Alle Genehmigungen, die zwischen dem 7. Oktober und dem 8. Januar ausgestellt worden seien, seien mit dem Parlament geteilt worden.

«Seit dem 8. Januar hat die Regierung keine neuen Waffenexportgenehmigungen nach Israel ausgestellt und das wird andauern, bis wir die komplette Einhaltung unseres Exportverfahrens sicherstellen können», hieß es weiter. Vor dem 8. Januar ausgestellte Genehmigungen blieben aber weiter gültig. «Angesichts der Beschaffenheit von Lieferketten, hätte es bedeutende Konsequenzen sowohl für Kanada als auch für seine Verbündeten, alle offenen Genehmigungen zu suspendieren.» Es müssten noch Details geklärt werden, schrieb der «Toronto Star». Davon hänge ab, wie weitreichend die Pläne seien. Die Außenministerin habe die Entscheidungsgewalt über den Export von Militärgütern.

Verhärtete Fronten bei Verhandlungen über Feuerpause

Bei den über die Vermittler Katar, Ägypten und den USA geführten Verhandlungen erscheinen die Ziele Israels und der Hamas jedoch derzeit unmöglich miteinander vereinbar, berichtete das «Wall Street Journal». Während Israel darauf poche, den Krieg nach einer Feuerpause mit dem Ziel einer Zerschlagung der Hamas fortzusetzen, verhandele die Hamas im Wesentlichen um ihr Überleben und dränge auf einen dauerhaften Waffenstillstand und Möglichkeiten, im Nachkriegs-Gaza einflussreich zu bleiben, wenn auch nicht mehr als Herrscher.

Die Vermittler sähen die laufenden Gespräche als letzte Chance, eine Waffenruhe zu erreichen, bevor es zu Israels Rafah-Offensive kommt, hieß es. Jeder Angriff auf Rafah würde alle Bemühungen um eine Einigung über eine Feuerpause und die Freilassung weiterer Geiseln behindern, warnte der Sprecher des katarischen Außenministeriums.

USA wollen massive Opfer unter Zivilisten in Rafah vermeiden

«Wir sagen nicht einfach: 'Nein, das könnt ihr nicht tun. Wir sagen, dass wir bereit sind, mit Ihnen an praktikablen Alternativen zu arbeiten, die Ihnen trotzdem helfen, Ihre Ziele zu erreichen», zitierte die «Times of Israel» einen ranghohen US-Beamten. Der Widerstand der USA gegen eine größere Bodenoffensive in Rafah bedeute nicht, dass Washington gezieltere Einsätze gegen die Hamas-Führung in Rafah oder anderswo ablehne, hieß es. Die alternativen Pläne der USA seien ebenfalls auf dieses Ziel ausgerichtet.

Ein Ansatz könne demnach sein, dass Israel sich statt einer Bodenoffensive darauf konzentriert, den Waffenschmuggel von Ägypten nach Gaza durch den sogenannten Philadelphi-Korridor zu verhindern. Der Aufbau einer Infrastruktur zur Unterbrechung der Schmuggelroute sei für die Zerschlagung der Hamas wichtiger als eine große Bodenoffensive in Rafah. «Wenn Israel in Rafah einmarschiert, mit all den zivilen Opfern, die dies mit sich bringen würde, wird die Zusammenarbeit mit Ägypten bei der Sperrung des Korridors sehr viel schwieriger», hieß es.

Auch das Nachrichtenportal «Axios» hatte zuvor unter Berufung auf US-Beamte über diese von Washington in Erwägung gezogene Option berichtet. Eine weitere Idee sei, eine Militäroperation in Rafah zu verschieben und sich auf die Stabilisierung der humanitären Lage im Norden des abgeriegelten Küstengebiets zu konzentrieren, berichtete das Nachrichtenportal am Dienstag weiter. Dort droht nach Angaben der Vereinten Nationen eine Hungerkatastrophe.

Diese Option würde auch den Bau von Unterkünften für die aus Rafah zu evakuierende Zivilbevölkerung beinhalten, berichtete «Axios». Ziel sei es, das Potenzial zu verringern, dass es bei einer Invasion in Rafah zu massiven zivilen Opfern kommt. Rafah gilt als die letzte nicht stark zerstörte größere Stadt im abgeriegelten Gazastreifen. Jede Art von Einsatz in Rafah setze eine weitaus stabilere humanitäre Situation in dem Küstengebiet voraus, berichtete auch die Zeitung «Times of Israel» unter Berufung auf einen US-Beamten.

Einsatz in Schifa-Klinik dauert an - 90 Terroristen tot

Israels Armee setzt indes eigenen Angaben zufolge ihren Einsatz im Schifa-Krankenhaus in der Stadt Gaza fort. «Bisher haben die Truppen in der Gegend etwa 90 Terroristen getötet», teilte das Militär mit. Zudem hätten Einsatzkräfte 160 Verdächtige festgenommen und zur weiteren Befragung nach Israel gebracht, hieß es in einer Erklärung der Armee weiter. 300 Menschen seien zudem vor Ort befragt worden.

Israelische Truppen waren in der Nacht zum Montag erneut in die größte Klinik des Gazastreifens eingerückt, um dort eigenen Angaben nach gegen die Hamas und ihre Infrastruktur vorzugehen. Bei dem Einsatz wurden Armeeangaben zufolge bislang auch zwei israelische Soldaten getötet.

Scholz fordert Waffenruhe

Bundeskanzler Olaf Scholz dringt weiter auf eine längerfristige Waffenruhe im Gaza-Krieg und auf mehr humanitäre Hilfe. «Was jetzt möglichst schnell gelingen muss, ist ein zeitlich etwas länger währender Waffenstillstand, in dem die Geiseln freikommen und die Gestorbenen herausgegeben werden, damit eine würdige Trauer möglich ist für die Angehörigen», sagte der SPD-Politiker in einer Regierungserklärung im Bundestag. In dieser Zeit müsse mehr humanitäre Hilfe Gaza erreichen.

«Ich will hier an dieser Stelle keine falsche Hoffnung erwecken», sagte Scholz. «Aber ein bisschen habe ich den Eindruck, es ist im Augenblick realistischer, als es schon lange war, womit es noch lange nicht gelungen ist.»

Ziel des Deutschen Bundestags, der Europäischen Union, der USA und vieler anderer sei die Perspektive einer Zweistaatenlösung, betonte der Bundeskanzler. «Es muss jetzt erkennbar werden, wie es eine Zukunft für ein friedliches Nebeneinander von Israel und einem palästinensischen Staat geben kann.»

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