Es könnte die Woche der Wahrheit bei den Haushaltsverhandlungen der Ampel-Regierung werden: Wenn der Bundestag den Etatentwurf rechtzeitig bekommen soll, müssen sich die Koalitionsspitzen in den nächsten Tagen einigen. Zwar sollen, so hört man in Regierungskreisen, viele Probleme schon abgeräumt sein. Doch das Milliardenloch ist noch nicht gestopft. Deutlicher als jemals zuvor prallen deshalb Grundüberzeugungen aufeinander - und nach wie vor haben manche Angst um die Zukunft der Koalition.
Die Milliardenlücke
Die Bundesregierung will im kommenden Jahr um die 450 Milliarden Euro ausgeben. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte schon vor den Verhandlungen allerdings eine Lücke in einer Größenordnung von 15 bis 30 Milliarden in seiner Planung. Er machte seinen Ministerkollegen deshalb enge Budgetvorgaben - doch lange nicht alle hielten diese ein. Besonders Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Verteidigungsminister Boris Pistorius, Arbeitsminister Hubertus Heil, Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Innenministerin Nancy Faeser (alle SPD) forderten deutlich mehr Geld.
Deshalb ist der Haushalt jetzt Chefsache: In Dutzenden Dreiergesprächen haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Lindner dem Vernehmen nach inzwischen einigermaßen zusammengerauft. Sie treffen sich nahezu täglich, auch am Wochenende. «Auch in den nächsten Tagen» wollten die Verhandler noch weiter beraten, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. «Die Woche ist noch lang.»
Die üblichen Spielräume ausgereizt
Die Verhandler sind den Haushalt Posten für Posten durchgegangen. Es ging um kleine Einsparungen und Umschichtungen, hier ein paar Millionen, da Milliarden. Einige Minister machten Zugeständnisse - im Sinne der Sache.
Auch die üblichen Spielräume in einem Bundeshaushalt dürften inzwischen ausgereizt sein - eine Neuberechnung der erwarteten Zinszahlungen nach der Zinssenkung der Europäischen Zentralbank etwa. Auch ein Nachtragshaushalt für das laufende Haushaltsjahr könnte etwas entlasten. Denn wegen der schlechten Konjunktur darf der Bund einige Milliarden Euro mehr Schulden machen, als noch zu Jahresbeginn gedacht. Nutzt man das aus, könnten andere Rücklagen etwas geschont werden - und für das nächste Jahr zur Verfügung stehen.
Doch zugleich hört man: Das alles wird voraussichtlich nicht reichen.
Die Schuldenbremse und die FDP als Außenseiter
Vor allem die Sozialdemokraten werfen deshalb immer wieder in den Raum, zusätzliche Schulden aufzunehmen. Bei den Grünen rennen sie damit offene Türen ein, bei der FDP gegen eine Wand. Doch um Finanzminister Lindner und seine Partei ist es einsam geworden in dieser Frage. Auch viele Ökonomen und Wirtschaftsvertreter fordern, mehr Schulden zu machen als vorgesehen.
Im Raum stehen neue Sondertöpfe, die außerhalb der Schuldenbremse laufen könnten - zum Beispiel, um Milliarden in die Infrastruktur zu stecken. Andere wollen, dass der Bundestag wegen der hohen Ausgaben im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg eine Notlage feststellt. Dann könnte laut Grundgesetz die Schuldenbremse außer Kraft gesetzt werden.
Bei beidem zieht die FDP eine rote Linie. Auf die Aussage von SPD-Chefin Saskia Esken, «Für mich ist es zweitrangig, ob die Schuldenbremse eingehalten wird oder ob sie erneut wegen der Notlage durch den Ukraine-Krieg ausgesetzt wird», reagierte Lindner süffisant: «Rechtsstaat ist… wenn Du auch die Artikel des Grundgesetzes respektierst, die Du nicht liebst», schrieb er auf X.
Die FDP warnt, wenn der Bund jetzt mehr Schulden mache, würden die Zinsen später erdrückend. Das sei nicht fair für künftige Generationen. Gerade bei jüngeren Liberalen hat sich Frust angestaut, nachdem Lindner kürzlich einem Rentenpaket zustimmte, dessen Hauptlast die junge Generation tragen muss. Vielleicht fordert Parteichef Lindner auch deshalb so vehement einen steuerlichen Ausgleich der Inflation. Zuletzt ließ er den Eindruck zu, daran auch den Fortbestand der Koalition zu knüpfen.
Der Kanzler unter Druck seiner Partei
Kanzler Scholz zeigte sich in Sachen Einhaltung der Schuldenbremse zumindest öffentlich zuletzt ziemlich auf Lindner-Linie. «Wir müssen mit dem Geld auskommen, das wir haben. Daran führt nun mal kein Weg vorbei», sagte er im Sommerinterview der ARD-Sendung «Bericht aus Berlin». Auch er blickt kritisch auf möglichen Sozialmissbrauch beim Bürgergeld - und provozierte damit den linken Flügel seiner Partei.
Und die setzt Scholz nun erstmals seit seiner Kanzlerkandidatur sichtlich unter Druck. Alle drei Strömungen der Fraktion, die sonst selten mit einer Stimme sprechen, wettern gemeinsam gegen das «Dogma der schwarzen Null» und fordern eine Ausnahme von der Schuldenregel. Eine linke Parteigruppierung wollte sogar ein Mitgliederbegehren gegen von der FDP geforderte Einschnitte im Sozialbereich starten. Sie wollten den SPD-Abgeordneten vorschreiben, unter welchen Bedingungen sie dem Haushalt im Bundestag zustimmen dürften.
Die Parteiführung stoppte das am Montag, weil sie es für unzulässig hält. «Die Haushaltsgesetzgebung liegt beim Deutschen Bundestag und den freigewählten Abgeordneten und kann folglich nicht in einem Mitgliederbegehren verhandelt werden», hieß es nach einer Sitzung des SPD-Präsidiums. Doch die Botschaft an die FDP - und auch an den eigenen Kanzler - ist klar: Wir lassen nicht alles mit uns machen.
Der Bundestag mit letztem Wort
Die Verhandler wollen den Haushalt am 17. Juli ins Kabinett bringen. Nach dem Kabinettsbeschluss wird der Entwurf dann an den Bundestag weitergeleitet. Die Haushalts-Experten in den Fraktionen brauchen fast den ganzen Sommer, um die mehrere Tausend Seiten durchzuarbeiten. Danach beginnt das parlamentarische Verfahren - und damit ein neues, monatelanges Ringen um Millionen für dieses und Milliarden für jenes Projekt. Denn das letzte Wort zum Haushalt hat das Parlament. Der endgültige Beschluss fällt üblicherweise in einer Haushaltswoche im Dezember.
Von Theresa Münch und MIchael Fischer, dpa
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