Michelle O'Neill in der Großen Halle des Parlamentsgebäudes in Stormont (bei Belfast).
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Michelle O'Neill in der Großen Halle des Parlamentsgebäudes in Stormont (bei Belfast).
Michelle O'Neill

Erstmals Katholikin an Regierungsspitze von Nordirland

Auf den Tag genau nach zwei Jahren bekommt Nordirland wieder eine Regierung. Für die britische Provinz ist es ein einschneidendes Ereignis.

Nordirland wird zum ersten Mal in seiner Geschichte von einer katholischen Politikerin angeführt, die das frühere Bürgerkriegsgebiet gerne mit dem EU-Mitglied Irland vereinigen würde.

Michelle O'Neill von der Partei Sinn Fein wurde am Samstag im Regionalparlament in Belfast zur neuen Regierungschefin bestimmt. Sie ist die erste Katholikin in dem Amt in der 103-jährigen Geschichte des britischen Landesteils. Der irische Fernsehsender RTÉ kommentierte, es handele sich um ein politisches Erdbeben.

Damit endet auch die politische Krise in Nordirland - auf den Tag genau zwei Jahre nach dem Bruch der vorigen Regierung. O'Neills katholisch-republikanische Partei Sinn Fein hatte bei der jüngsten Regionalwahl im Mai 2022 erstmals die meisten Stimmen erhalten - kann sich aber den Regierungspartner nicht frei aussuchen.

Katholiken und Protestanten in der Regierung

Das fein ausbalancierte politische System Nordirlands sieht vor, dass die konfessionellen Lager gemeinsam eine Einheitsregierung bilden müssen. Festgelegt ist das im Karfreitagsabkommen, das 1998 den jahrzehntelangen Bürgerkrieg zwischen Katholiken, die eine Vereinigung mit Irland anstreben, und Protestanten beendet hatte.

Der größten protestantischen Partei DUP, die für die politische Union mit Großbritannien eintritt, steht nun das Amt des gleichberechtigten Vize-Regierungschefs zu. Dafür wurde Emma Little-Pengelly nominiert, eine Vertraute von Parteichef Jeffrey Donaldson.

«Dies ist ein Parlament für alle - Katholiken, Protestanten und Andersdenkende», sagte O'Neill in ihrer ersten Rede. «Trotz unserer unterschiedlichen Ansichten über die künftige Verfassungslage verlangt die Öffentlichkeit zu Recht, dass wir zusammenarbeiten, Ergebnisse liefern und zusammenarbeiten.»

Die DUP hatte zwei Jahre die Kooperation verweigert. Sie forderte ultimativ ein Ende aller Zollkontrollen zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs, auf die sich die Zentralregierung in London und die EU nach dem Brexit geeinigt hatten. Erst vor wenigen Tagen stimmte die DUP einem neuen Dokument zu.

Die innerbritischen Kontrollen sollen auf ein Minimum reduziert werden - doch Experten nennen die Einigung mit der britischen Zentralregierung symbolisch. Die Zeitung «Belfast Telegraph» kommentierte, die DUP habe ihr Ziel verfehlt und verkaufe ihre Niederlage als Sieg.

Eine Chance auf ein vereinigtes Irland?

O'Neills Amtsübernahme gilt als historischer Durchbruch für den irischen Nationalismus. «Der heutige Tag öffnet die Tür zur Zukunft», sagte die 47-Jährige. Zuvor hatte Sinn-Fein-Präsidentin Mary Lou McDonald gesagt, ein geeintes Irland rücke «in greifbare Nähe». Auch in der Republik Irland ist die Partei, die einst als politischer Arm der Terrororganisation IRA galt, laut Umfragen stärkste Kraft. Dort verhindern aber zwei liberal-konservative Parteien mit einer Koalition eine Regierungsbeteiligung.

In Umfragen ist die Skepsis auf nordirischer Seite bisher groß. Die Zeitung «Irish Times» ermittelte Ende 2023, dass sich dort bei einem Referendum nur 30 Prozent für die Vereinigung aussprechen würden, aber 51 Prozent dagegen. In Irland liegt die Zustimmung bei knapp zwei Dritteln. Grundsätzlich strebt auch die irische Führung einen Zusammenschluss an. «Ich glaube, dass es ein vereintes Irland zu meinen Lebzeiten geben wird», hatte Regierungschef Leo Varadkar im September gesagt - und scharfe Kritik aus London ausgelöst.

Die Demografie spricht für die Republikaner. Erstmals leben mehr Katholiken in Nordirland als Protestanten, wie eine Volkszählung von 2021 gezeigt hat. Stand jetzt sieht es nicht danach aus, dass sich das wieder ändert. Dabei war das Gebiet 1921 nach dem irischen Bürgerkrieg ausdrücklich als Heimstätte für diejenigen gegründet worden, die weiterhin Teil Großbritanniens sein wollten - und das waren in der Mehrheit Protestanten.

Brexit und die Folgen

Umso intensiver beharren die Unionisten, die sich als Briten und nicht als Iren sehen, mittlerweile auf ihren Positionen, wie Experten meinen. Aus Protest gegen die Brexit-Kontrollen hatten militante Loyalisten auch Busse angezündet.

Ziel der bisherigen Regelung zwischen Großbritannien und EU war, nach dem Brexit eine «harte Grenze» zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland zu vermeiden, um keine neuen Konflikte zu schüren. Doch die Umsetzung führte teilweise zu Engpässen bei Lebensmitteln, Medikamenten oder Gärtnereiprodukten. Haustiere konnten nicht mehr mit in den Urlaub nach Großbritannien genommen werden. Loyalisten fürchteten, dass die Kontrollen die Union mit Großbritannien gefährden.

Die meisten Parteien in Nordirland begrüßten die Rückkehr der DUP ins «power-sharing», also die Teilung der Macht. Doch Hardcore-Unionisten sind nicht überzeugt. Sie kritisieren, Nordirland sei weiterhin von den Gesetzen der EU abhängig, zu deren Binnenmarkt die Region de facto auch nach dem Brexit gehört. Auch die «Inthronisierung» von O'Neill kritisieren sie. «Wir haben eine Sinn-Fein-Regierungschefin, aber nicht in meinem Namen oder dem Tausender anderer Unionisten», sagte der Chef der Partei Traditional Unionist Voice, Jim Allister.

Von Benedikt von Imhoff, dpa
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