Anasitasia Nyirabashyitsi, 54, vor ihrem Haus im Versöhnungsdorf Mybo in Nyamata, wo kreative Projekte die Gemeinschaft stärken. Im April 1994 begann in Ruanda der Genozid an der Volksgruppe der Tutsi.
Brian Inganga/AP/dpa
Anasitasia Nyirabashyitsi, 54, vor ihrem Haus im Versöhnungsdorf Mybo in Nyamata, wo kreative Projekte die Gemeinschaft stärken. Im April 1994 begann in Ruanda der Genozid an der Volksgruppe der Tutsi.
Geschichte

30 Jahre nach dem Völkermord: Ruanda schaut in die Zukunft

30 Jahre nach dem Völkermord wirbt Ruanda mit sauberem Image um Investoren auch aus Deutschland. Doch mit Presse- und Meinungsfreiheit sieht es schlecht aus.

Wenn es einen afrikanischen «Phönix aus der Asche» gibt, dann dürfte das wohl Ruanda sein. 30 Jahre nach dem Völkermord in dem kleinen ostafrikanischen Land ist Ruanda mit seinen tausend Hügeln und der Hauptstadt Kigali beliebt bei Investoren auch aus Deutschland.

Saubere Straßen, geringe Kriminalität, kaum Korruption - das ist nicht selbstverständlich in afrikanischen Großstädten. Die Weltbank listet das Binnenland von der Größe Mecklenburg-Vorpommerns an zweiter Stelle der Länder in Afrika südlich der Sahara, in denen am besten Geschäfte gemacht werden können. Wenn es um Pressefreiheit oder Oppositionspolitiker geht, offenbart das Land aber seine dunkle Seite.

Der Völkermord vor 30 Jahren

Das grausamste und blutigste Kapitel der Geschichte des kleinen Staates liegt mittlerweile drei Jahrzehnte zurück: Am 7. April wird im ganzen Land an den Genozid im Jahr 1994 erinnert. Konkreter Anlass war der bis heute ungeklärte Abschuss des Flugzeugs des ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana am 6. April 1994. Bereits kurz darauf rief die Hutu-Regierung im Rundfunk dazu auf, sämtliche Tutsi zu töten.

Warnzeichen hatte es jedoch bereits viel früher gegeben. Hassparolen heizten seit Monaten die Stimmung gegen die Tutsi-Minderheit an. Schon im Januar 1994 hatte der kanadische Kommandant der UN-Friedensmission in Ruanda die New Yorker UN-Zentrale vor einem möglichen Genozid in Ruanda gewarnt. Ohne ein entsprechendes Mandat des Weltsicherheitsrates war es ihm jedoch nicht erlaubt, gegen Waffenlager von Hutu-Milizen vorzugehen.

Innerhalb von nur 100 Tagen ermordeten Hutu-Milizen mindestens 800.000 Angehörige der Tutsi sowie gemäßigte Hutu. Die Opfer wurden mit Macheten regelrecht zerstückelt oder bei lebendigem Leib verbrannt. Es war der traurige Höhepunkt ethnischer Spannungen und Konkurrenzkämpfe, die noch auf kolonialen Ursprüngen beruhten.

Der Völkermord in Ruanda gilt heute auch als Versagen der internationalen Gemeinschaft, die spät und zunächst zögerlich reagierte. Dass das Morden ein Ende hatte, ist auch dem Mann zu verdanken, der heute an der Spitze des Staates stand: Paul Kagame, der Führer Ruandischen Patriotischen Front (RPF), marschierte aus dem ugandischen Exil mit seinen Truppen in Ruanda ein und nahm den Kampf mit Regierungstruppen und Hutu-Milizen auf. Je weiter sie vorrückten, desto deutlicher offenbarte sich das ganze Ausmaß des Völkermords.

Kritik an Verfolgung Oppositioneller

Heute sitzt der einstige Rebellenführer Kagame als starker Mann Ruandas nicht nur fest im Sattel, er regiert sein Land autoritär. Bei der Parlament- und Präsidentenwahl im Juli strebt der 66-Jährige eine vierte Wiederwahl als Staatspräsident an. Niemand zweifelt an dem absehbaren Ergebnis - nicht zuletzt, weil politische Opposition es schwer hat in Ruanda und eine führende Oppositionspolitikerin nicht zur Wahl antreten darf.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren Kagame wegen der Verfolgung kritischer Politiker, Journalisten und anderer Gegner. «Wer es wagt, die Regierungspolitik oder Präsident Paul Kagame zu kritisieren, geht ein hohes Risiko ein - und selbst wer ins Ausland flieht, um Verfolgung zu entgehen, ist dort nicht sicher», betonte Lewis Mudge von der Menschenrechtsorganisation Human Right Watch im Januar bei der Vorstellung eines Berichts über Angriffe auf Oppositionelle im Ausland.

Das Gesetz gegen eine Leugnung des Genozids, vergleichbar mit Strafbarkeit der Leugnung der nationalsozialistischen Verbrechen in Deutschland, wird auch angewandt, um Regierungskritiker zum Verstummen zu bringen. «Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen der vergangenen Jahre entsprachen nicht den internationalen demokratischen Standards», heißt es auch auf der Webseite des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) über Ruanda.

Musterland und «Schweiz Afrikas»?

In Kritik ist die Regierung in Kigali auch wegen ihrer Rolle im Konflikt im Ostkongo. Die Demokratische Republik Kongo, aber auch internationale Experten werfen Ruanda vor, im Nachbarland die Miliz M23 zu unterstützen, die große Teile der Provinz Nord-Kivu an der Grenze zu Ruanda kontrolliert.

Dennoch gilt Ruanda in mancher Hinsicht als Vorzeigeland, wird gerne als «Schweiz Afrikas» bezeichnet. Zum einen wegen des buchstäblich sauberen Image, Kagames erfolgreichen Vorgehen gegen Vermüllung und Korruption, die hier kein Thema mehr sind. Aber auch wenn es um Frauenförderung geht, steht Ruanda nicht nur im afrikanischen Vergleich gut da: In keinem anderen Parlament weltweit ist der Frauenanteil so hoch wie in Ruanda - derzeit beträgt er 61 Prozent. Allerdings: wie in den meisten afrikanischen Staaten spielt auch in Ruanda das Parlament keine herausragende Rolle bei der Gestaltung des Staates.

Deutsches Engagement

Deutschland engagiert sich in Ruanda unter anderem über Projekte der GIZ oder der KfW. So werden etwa im Rahmen einer 2022 vereinbarten Klimapartnerschaft Deutschlands mit Ruanda Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel und Stadtentwicklung vorangetrieben. Dazu gehört das Vorhaben «Green City Kigali», das von der KfW gefördert wird.

Hier entsteht ein grünes Stadtviertel mit klimafreundlichen Häusern für über 7000 Menschen. Andere Beispiele deutsch-ruandischer Zusammenarbeit sind die afrikanische mRNA-Produktionsstätte von Biontech in Kigali und ein gemeinsames Pilotprojekt von Siemens und Volkswagen zur Elektromobilität.

Bis 2035 möchte Ruanda der eigenen Zukunftsstrategie zufolge zu einem Land mit mittlerem Einkommen aufsteigen - und bis 2050 sogar ein hohes Einkommensniveau erreichen. Es sind ehrgeizige Ziele des Landes, das sich endgültig aus dem Schatten des Völkermords befreien will, doch ohne ihn zu vergessen.

von Eva Krafczyk, dpa
© dpa-infocom, dpa:240405-99-569827/5
Copyright 2024, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten