Der Influencer Liam Carpenter ist inzwischen hauptberuflich Content Creator.
Marijan Murat/dpa
Der Influencer Liam Carpenter ist inzwischen hauptberuflich Content Creator.
Social Media

Tiktoker nimmt in kurzen Videos deutsche Sitten aufs Korn

Stoßlüften, Pfand wegbringen oder Müll trennen - mehr oder weniger typisch deutsche Gewohnheiten sind auf Social Media ein Hit. Ein britischer Tiktoker hat vor drei Jahren sein erstes Video dazu hochgeladen.

Liam Carpenter steht vor seinem Handy, es klemmt in einem Stativ. Er überprüft kurz die Einstellungen, geht seinen Text durch, dann geht es los. Der gebürtige Brite drückt auf Play und sagt mit deutschem Akzent: «In Germany we don't say». Ein Satz, der Liam in den vergangenen drei Jahren rund 2,2 Millionen Follower auf Tiktok beschert hat.

Der 27 Jahre alte Influencer beschäftigt sich in seinen 30- bis 60-sekündigen Videos mit Themen wie Stoßlüften, Pfand wegbringen oder Müll trennen. Kurzum: Mit deutschen Gewohnheiten, die für Ausländer oder Ausländerinnen nicht immer einleuchtend sind. Ein Klischee über Essverhalten und Sparsamkeit der Deutschen? «In Germany we don't say: «Wow, that is delicious», sagt Liam im Video dazu. «We say: «Für den Preis kann man nicht meckern».»

Sein erstes Video hat Carpenter im Februar 2021 hochgeladen. «Fast eine Million Aufrufe für das erste Video. Das war so ein Adrenalinkick, dass ich einfach weiter machen musste.» Inzwischen ist Liam hauptberuflich sogenannter Content Creator. In seinen Beiträgen schlüpft er in unterschiedliche Rollen, immer dabei: der Klischee-Deutsche im grauen Jogginganzug mit einer schwarzen Kappe, mit Bauchtasche und Schuhen von Birkenstock. Seine Videos lädt er auch auf Social Media-Kanäle wie Instagram oder YouTube hoch.

Der Social Media Trend

Carpenter ist Teil eines Social Media-Phänomens: Influencer und Influencerinnen nehmen deutsche Gewohnheiten aufs Korn - und das, obwohl oder gerade weil sie meist gar nicht aus Deutschland kommen. Liam ist überzeugt, dass das Format vor allem deswegen so gut funktioniert: «Es passt, weil ich meinen Content über die Unterschiede über englische und deutsche Sachen mache.»

Das spiegelt sich in den unzähligen «In Germany we don't say...»-Videos (deutsch: «In Deutschland sagen wir nicht...») und den Reaktionen darauf wider. Auch Influencer aus den USA wie beispielsweise Zac Ryan oder Zack Bachelor, die seit ein paar Jahren in Stuttgart leben, thematisieren in ihren Videos, an welche deutschen Sitten sie sich inzwischen gewöhnt haben: der «Verdauungsspaziergang», die «Es gibt kein schlechtes Wetter, nur die falschen Klamotten»-Mentalität oder das «Liegen-Reservieren» im Urlaub. Auch deutsche Influencer greifen den Trend auf und nehmen sich dabei selbst nicht zu ernst.

Das Erfolgskonzept hinter dem Trend

Die Kommunikationswissenschaftlerin am Center for Advanced Internet Studies (CAIS, Bochum), Josephine B. Schmitt, sieht den Grund für den Erfolg dieses Social Media Trends vor allem in dem Gefühl, das bei den Nutzern entsteht: «Solche Angebote schaffen das Gefühl von Zugehörigkeit und betonen die eigene soziale Identität.» Es würden Dinge porträtiert, die viele Menschen auf unterschiedliche Art und Weise kennen.

Die humorvolle Darstellung sei ein entscheidender Faktor, da so Distanz entstehe: «So muss man sich nicht notwendigerweise mit dem Klischee oder den Eigenheiten identifizieren. Man kennt aber bestimmt Personen im Umfeld, auf die das zutrifft.»

Liam ist sich bei seiner Arbeit über den schmalen Grat zwischen Belustigung und Beleidigung bewusst. Warum der 27-Jährige überwiegend positive Rückmeldungen seiner oft auch deutschen Follower bekommt, erklärt er sich so: «In meinen Videos ist der Brite ja der größte Dummkopf, nicht der Deutsche. Der Deutsche zeigt ihm, wie es geht. Deswegen glaube ich, dass es eine gute Balance ist.»

Dass dieses Format vor allem auf Tiktok so erfolgreich ist, liegt nach Auffassung der Kommunikationswissenschaftlerin unter anderem daran, dass die Videos unterhaltsam und leicht zugänglich sind. «Das führt dann auch dazu, dass sie schneller verbreitet, geteilt, zitiert und kommentiert werden», sagt Schmitt.

«Gut eingedeutscht»

Der frühere Basketballprofi Liam, eigentlich aus England, wohnt inzwischen in Crailsheim (Kreis Schwäbisch Hall) mit seiner Frau und zwei Hunden. In seinen mittlerweile zehn Jahren in der Wahl-Heimat sind deutsche Gewohnheiten nicht spurlos an ihm vorbei gegangen: «Ich bin so gut eingedeutscht. Manchmal fühle ich mich eher in England wie ein Outsider. Zum Beispiel warte ich immer an der Ampel, bis es grün wird. Meine Freunde fragen mich dann: «Was machst du? Was ist los mit dir?»

Von Anna Ross, dpa
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