Altersweisheit? Henning Venske winkt ab. «Ich glaube, das Wort ist ein Gerücht. Und wird oft damit verwechselt, dass man nachsichtig wird», sagt der agil wirkende 84-Jährige. Und erklärt: «Das ist bei einem Satiriker wie mir nicht zu erwarten. Ich bin mindestens noch genauso bösartig wie vor 50 Jahren.» Im Übrigen habe er nie aufgegeben, zu lesen und zu lernen - da komme zum bisherigen Wissen immer noch was dazu. In einem Punkt bezeichnet sich der Kabarettist, Satiriker, Buchautor, Journalist und Moderator, der am Mittwoch (3.4.) 85. Geburtstag feiert, allerdings als geradezu altersmild: «Gegenüber meinen beiden Enkeltöchtern bin ich der liebste Opa der Welt. Da schlägt die Milde voll zu.»
Da sei er nur dazu da, um zu verwöhnen, erzählt der mit seiner Frau Hilde in Hamburg und München lebende Venske der Deutschen Presse-Agentur in der Hansestadt. Bei Kaffee und Butterkuchen in seinem Lieblingscafé seit 1967. Ungewohnte Worte aus dem Mund eines Manns, der Millionen Fernsehzuschauern zwar aus Sendungen wie «Musik aus Studio B» (1971-1974) und «Sesamstraße» (1978-1980) präsent ist. Der jedoch - als 1939 in Stettin (Pommern) geborener Lehrersohn und ausgebildeter Schauspieler - jahrzehntelang als einer der bissigsten und streitbarsten politischen Kabarettisten der Republik Furore machte. So als Teil der Münchner Lach- und Schießgesellschaft - wobei er 2010, mit seinem Lieblingspartner Jochen Busse, den Ehrenpreis zum Deutschen Kleinkunstpreis erhielt.
«Deutschlands meist gefeuerter Satiriker»
«Henning ist der Meister in der von ihm selbst erschaffenen kabarettistischen Sonder-Klasse: messerscharfe Analyse, treffende Zuspitzung, sprachliche Eleganz, Boooomm», beschreibt ihn Jan-Peter Petersen, der Chef von Alma Hoppes Lustspielhaus in Hamburg, einer weiteren Wirkungsstätte. Inhaltliche Differenzen mit Arbeitgebern wie dem Hessischen (HR) und Norddeutschen Rundfunk (NDR) in den 70er- und 80er-Jahren führten dagegen zu Haus- und Sendeverboten.
Venske, der auch Chefredakteur der Satirezeitschrift «Pardon» war und vier Bücher über Wirtschaftskriminalität verfasst hat, steht im Ruf, «Deutschlands meist gefeuerter Satiriker» zu sein. Hartnäckig positioniert er sich bis heute als «Anarchist» - setzt sich mit Vehemenz dagegen ein, «dass Menschen Macht über andere Menschen gewinnen».
Venske vertritt provokant radikale Ansichten
Seine provokant radikalen Ansichten verfasst der in Ostwestfalen aufgewachsene Halbbruder der Schriftstellerin und früheren P.E.N International-Generalsekretärin Regula Venske (68, «Du sollst nicht töten») seit seinem Abschied vom Kabarett 2018 als Tagebuch-Gedanken auf seiner Homepage venske.de. Da sehnt der erklärte Pazifist, der als Kind noch hautnah die von den Nazis verursachten Schrecken des Zweiten Weltkriegs erlebt hat, in einer imaginären Art Gebet schon mal den Flugzeugabsturz von Spitzenpolitikern herbei. Oder behauptet, Medien wären meist Lügner und Analphabeten, berichteten etwa einseitig und in manipulierender Wortwahl über den Ukraine-Krieg. Angebrachter wäre es, Russland und seine Motive erst einmal zu verstehen, insistiert Venske dazu in schärfer klingender Tonart.
Was der Papst meine, sei ihm sonst zwar «wurscht», doch dessen Vorschlag, mit weißen Fahnen Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, sollten sich die Ukrainer zu eigen machen. Ein Reizthema ist für Venske auch die «German angst» - denn statt sich in Gefühle zu flüchten, sollten die Deutschen nachdenken und etwas gegen deren Ursachen tun.
Mit Toleranz hat der politische Kopf ebenfalls nicht viel am Hut - sie habe oft mit Gleichgültigkeit, Feigheit oder Überheblichkeit zu tun, wie er dpa erklärt. Am Herzen liegen Venske sozial engagierte, teils vergessene Autoren wie Erich Mühsam, ein nach dem Ersten Weltkrieg aufständischer Anarchist, der 1934 im KZ Oranienburg ermordet wurde. Mit Mühsam-Lesungen geht er dieses Jahr von Zeit zu Zeit auf Tour.
Satiriker hofft Denkanstöße gegeben zu haben
Ob er denn glaube, mit seinem lebenslangen beruflichen Agieren etwas bewirkt zu haben? Venske denkt nach und antwortet: «Es besteht die Hoffnung, Denkanstöße gegeben zu haben. Natürlich nicht allen, aber doch immer mal wieder jemandem. Wenn das passiert, dann hat man als Kabarettist oder Satiriker seinen Zweck erfüllt.» Und kann er sich seine Utopie einer perfekten Welt tatsächlich in der Realität vorstellen? «Das hängt mit der Frage nach der Beschaffenheit des Menschen zusammen. Ich bin nicht so ein Misanthrop, dass ich sage, es wäre nicht möglich,» sagt der Künstler, der den Tod von zweien seiner drei erwachsenen Kinder zu ertragen hat. «Es gibt genug freundliche, hilfsbereite Nachbarn und Menschen, mit denen ich gern zusammenlebe. Ich kann mir vorstellen, dass alle so sind. Aber es gibt da so ein paar Eigenschaften wie Habgier, Neid und Konkurrenz - doch das könnte man erziehen.»
Gerade erst hat Venske, der auch als Kinderbuchautor («Als die Autos rückwärts fuhren», 1976) Erfolge feierte, mit seiner kleinen Enkelin eine Aus- und Einwanderer-Geschichte für junge Leser verfasst. Eine mit viel Fantasie und skurrilen Momenten, wie der Großvater erklärt. Dazu hat die Elfjährige ihre sehr bemerkenswerten selbst gemalten Bilder beigesteuert. Beide halten nun Ausschau nach einem Verlag. Auch das ein Venske-Weg, die Welt vielleicht ein Stückchen besser zu machen.
Von Ulrike Cordes, dpa
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