Mehrere hundert Teilnehmer einer Demonstration ziehen mit Flaggen vom Königreich Preußen durch die Innenstadt.
Daniel Schäfer/dpa
Mehrere hundert Teilnehmer einer Demonstration ziehen mit Flaggen vom Königreich Preußen durch die Innenstadt.
Extremismus

Neue Details zu Razzia gegen «Reichsbürger» und deren Milieu

Im November gehen Ermittler bundesweit gegen sogenannte Reichsbürger vor, ein Schwerpunkt lag im Südwesten. Das Innenministerium gibt dazu jetzt mehr Details bekannt - und Auskunft über das Milieu.

Fast zwei Monate nach einer Razzia gegen mutmaßliche «Reichsbürger» in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern sind nun neue Details bekannt geworden. Bei den neun Beschuldigten handelt es sich um fünf Frauen im Alter von 54 bis 73 Jahren (54, 57, 57, 61, 73) und um vier Männer im Alter von 33 bis 59 Jahren (33, 55, 56, 59), schreibt das Innenministerium in einer Antwort auf einen Antrag der Grünen-Fraktion.

Es seien am 23. November zehn Objekte durchsucht worden. Hierbei handelte es sich um neun Wohnungen und um einen Haftraum in der Justizvollzugsanstalt Hechingen. Von den Durchsuchungsmaßnahmen waren die Polizeipräsidien Ravensburg (Waldburg, Bermatingen, Inzigkofen), Reutlingen (Rottenburg, Bitz), Konstanz (Gunningen, Rottweil), Offenburg (Kuppenheim), Ulm (Bad Schussenried) und Karlsruhe (Oberhausen-Rheinhausen) betroffen.

Federführung bei der Razzia hatte die Staatsanwaltschaft München. Die Behörde teilte damals mit, die Gruppe habe durch die gezielte, massenhafte Kontaktaufnahme mit Behörden deren Kommunikationswege blockieren und damit Einfluss auf deren Entscheidungen nehmen wollen. Den 20 Beschuldigten im Alter zwischen 25 und 74 Jahren wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.

Insgesamt wurden im November in acht Bundesländern - Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Niedersachsen und Hamburg - 20 Wohnungen unter die Lupe genommen.

Der mutmaßliche Rädelsführer der «Reichsbürger»-Gruppe kommt aus Oberbayern, aus Olching im Landkreis Fürstenfeldbruck. Der 58-Jährige wurde im April 2022 unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung und Nötigung angeklagt. Der Mann soll den maßgeblichen Telegram-Kanal der Gruppierung betrieben haben. Bei den in Baden-Württemberg von den Durchsuchungsmaßnahmen betroffenen Personen handelt es sich um Abonnenten des Telegram-Kanals.

«Reichsbürger» sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Der Verfassungsschutz rechnete der Szene im Jahr 2022 bundesweit rund 23.000 Anhänger zu (2021: 21.000). Bei mehr als fünf Prozent - rund 1250 Menschen - handele es sich um Rechtsextremisten. Als gewaltorientiert gelten demnach etwa 2300 der «Reichsbürger» und «Selbstverwalter».

Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) rechnete dem Milieu der Reichsbürger und Selbstverwalter in Baden-Württemberg rund 3800 Personen (2018: 3200) zu. Die Szene weise einen Altersdurchschnitt von etwa 53 Jahren auf, schreibt das Innenministerium nun. Über die Hälfte aller Anhänger seien älter als 50 Jahre.

Etwa 62 Prozent der bekannten Angehörigen des Milieus seien männlich, 38 Prozent weiblich. Der Frauenanteil sei - bedingt durch die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen - deutlich gestiegen. Vermehrt fielen Frauen mit Argumenten und Ansichten auf, die für die Reichsbürgerszene typisch seien.

«Etwa 20 bis 25 Prozent des Milieus sind nach derzeitigem Kenntnisstand in Personenzusammenschlüssen organisiert. Der Anteil derer, die in solchen Gruppierungen aktiv sind, ist zuletzt gestiegen», heißt es weiter in der Antwort des Innenministeriums.

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