Die Justiz sieht sich im Kampf um Nachwuchs immer mehr im Nachteil. «Die freie Wirtschaft lockt mit hohen Einstiegsgehältern, so dass schon viel Idealismus dazu gehört, wenn ein junger Jurist mit gutem Examen sich für den Staatsdienst entscheidet», sagte der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Baden-Württemberg (DRB BW), Wulf Schindler, der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. «Vielerorts können wir bestenfalls noch den Bedarf decken, ob wir allerdings noch eine Auswahl der Besten haben, ist sehr fraglich.» Große Kanzleien böten 150.000 Euro Einstiegsgehalt, das sei fast dreimal so viel wie in der Justiz.
Justizministerin Marion Gentges sieht die Lage nicht so dramatisch. Der Anspruch, für die Justiz in Baden-Württemberg die Besten zu gewinnen, werde derzeit erfüllt. Die Christdemokratin fügte hinzu: «Nach den letzten Prüfungen im Herbst konnten wir die Top-Kandidaten für die Justiz begeistern: Von den sieben Examensbesten haben sich sechs, darunter die besten drei, bei der baden-württembergischen Justiz beworben.» Allerdings müsse hart daran gearbeitet werden, dass das so bleibe. «Denn der Wettbewerb um gute Leute wird immer größer.» Dabei müsse man alle relevanten Faktoren in den Blick nehmen.
Aus Sicht von Schindler ist der jüngste Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst mit Sonderzahlungen und einer Gehaltserhöhung von 5,5 Prozent ein wichtiger kritischer Faktor. Er habe die Richter- und Staatsanwaltsgehälter nicht verbessert. Zudem seien die Besoldungsabstände zwischen den verschiedenen Laufbahnen im Verhältnis zueinander verzerrt worden. Wie in Hessen müsse das Gehalt im höheren Dienst in mehreren Stufen um jeweils drei Prozent zusätzlich erhöht werden.
«Noch immer geht ja ein guter Teil der Bevölkerung davon aus, dass Richter und Staatsanwälte in Saus und Braus leben, ihre Büros so ausgestattet sind, wie man das aus den Fernsehkrimis kennt, und sich die schicken, großen Einfamilienhäuser mit gehobener Ausstattung leisten können, die man dann in den Fernsehfilmen bewundern kann», so der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Stuttgart. «Wenn das im Einzelfall so sein sollte, ist das nicht aus dem eigenen Richter-/Staatsanwaltseinkommen finanziert, sondern meistens ererbt.»
Im vergangenen Jahr hätten sich im Südwesten 200 Juristen auf 170 Stellen in der Justiz beworben. «Da kann man sagen, das reicht doch, es garantiert aber nicht, dass die über ein glänzendes Examen hinausgehenden erforderlichen Kenntnisse von Psychologie, Wirtschaft und IT mitgebracht werden», sagte Schindler. Mit 57.000 Euro brutto im Südwesten sei das Einstiegsgehalt für Richter und Staatsanwälte nicht konkurrenzfähig. «Der Beruf ist toll, aber ob sich eine junge Familie davon ein Eigenheim leisten kann, steht auf einem anderen Blatt.»
Vor diesem Hintergrund warnt der Richterbund vor Qualitäts- und Geschwindigkeitseinbußen bei Urteilen. Vor allem in Ostdeutschland klaffe die Schere zwischen Nachfrage und Angebot an Studienabgängern weit auseinander. Dort werde die Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation zu Buche schlagen. Und die nachfolgende Generation - zu 60 Prozent weiblich - entscheide sich zunehmend zur Teilzeitarbeit.
Die finanzielle Vergütung ist zudem recht unterschiedlich, wie eine bundesweite Erhebung des DRB zum Jahreswechsel 2022/2023 ergab: So erhält ein junger unverheirateter Richter oder eine junge ledige Staatsanwältin in Bayern zum Start der beruflichen Laufbahn monatlich 5021 Euro brutto, das sind 271 Euro mehr als in Baden-Württemberg und 644 Euro mehr als im Saarland. Das Saarland bildet damit weiterhin das Schlusslicht bei der Besoldung junger Richter und Staatsanwälte, knapp davor stehen Thüringen auf dem vorletzten und Rheinland-Pfalz auf dem drittletzten Platz. Auf den vorderen Rängen folgen nach weiteren Angaben des DRB hinter Bayern auf Platz zwei Hamburg und das drittplatzierte Baden-Württemberg.
Der DRB plädiert für eine bundeseinheitliche und höhere Besoldung der 22.000 Richter und 6200 Staatsanwälte in Deutschland und verweist auf die Kritik der EU-Kommission an der aus deren Sicht bundesweit zu geringen Besoldung. Sie sei im Vergleich zum Durchschnittseinkommen eine der niedrigsten in Europa.
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