Ernährungsmediziner beobachten mit Sorge, dass die Zahl schwangerer Frauen mit Übergewicht weltweit zunimmt. Allein in den USA gehe man davon aus, dass rund zwei Drittel der Frauen zu Beginn der Schwangerschaft zu viel Gewicht auf die Waage bringen. «Wir bewegen uns in Deutschland immer weiter in diese Richtung», sagte Regina Ensenauer, die Leiterin des Instituts für Kinderernährung am Max-Rubner-Institut in Karlsruhe.
Die Medizinprofessorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, die über viele Jahre als Kinderärztin praktizierte, warnte in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur vor den Folgen: «Die Ernährung der Mutter in der Schwangerschaft wirkt auf das ungeborene Kind ein.» Der Nachwuchs von beleibteren Schwangeren habe eine große Wahrscheinlichkeit, selbst dick zu werden und frühzeitig Folgeerkrankungen wie Diabetes Typ-2 oder Herzprobleme zu bekommen.
In Deutschland gehen nach den Daten der Bundesauswertung «Perinatalmedizin: Geburtshilfe» fast 44 Prozent der Frauen mit Übergewicht oder Adipositas in die Schwangerschaft hinein. 2014 waren es noch 35 Prozent. Dadurch komme es zu einer Fehlprägung bei den Nachkommen, die sich während ihrer Entwicklung im Mutterleib an die Überernährung anpassen müssen, bedauerte die Wissenschaftlerin. Es bestehe dann eine erhöhte «Anfälligkeit», im weiteren Verlauf des Lebens frühere und schwerwiegendere Symptome einer Adipositas, eines Typ-2-Diabetes und von kardiovaskulären Erkrankungen zu entwickeln als unter gesunder Ernährung im Mutterleib.
«Die ersten tausend Tage - von Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des zweiten Lebensjahres - sind entscheidend», betonte Ensenauer. «Auch dafür, was dem Kind später schmeckt. Schon früh in der Entwicklung sind die Geschmacksknospen voll funktionsfähig, und über das Fruchtwasser nimmt der Fötus Stoffe aus der Ernährung der Mutter auf.»
Die Medizinprofessorin hob außerdem die Bedeutung des Stillens hervor: «In der Stillphase entwickeln sich der Geschmacks- und Geruchssinn weiter. Die Muttermilch mit ihren verschiedenen bioaktiven Substanzen ist die ideale Ernährung für Säuglinge und gut für das Immunsystem. Die Natur hat das sehr gut gemacht.»
Aus Sicht der Expertin ist mehr Aufklärung nötig für werdende Eltern zur Ernährung in der Schwangerschaft, zum Stillen und zu frühen natürlichen Ernährungsweisen. Wichtig seien eine ausgewogene und vielfältige Ernährung der Mutter mit viel Salat, Gemüse und Obst.
Ensenauer ist Leiterin der Studie PEACHES (Programming of Enhanced Adiposity Risk in CHildhood - Early Screening), die seit 2010 läuft und in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführt wird. Die Langzeitstudie untersucht über Jahre hinweg den Einfluss von Überernährung und hohem Body-Mass-Index (BMI) bei Schwangeren auf die Entstehung von Übergewicht und Folgeerkrankungen bei den Nachkommen. Mehr als 1700 Mutter-Kind-Paare nehmen an der Studie teil.
Gerade bei Kindern tritt Übergewicht immer häufiger und auch früher auf, warnen Experten. Die Entwicklung sei besorgniserregend, zumal es oft schwierig sei, bereits vorhandenes Übergewicht ausreichend zu reduzieren. «Starkes Übergewicht, im Besonderen auch, wenn dieses sich schon sehr früh in der Kindheit entwickelt, ist mit einer erhöhten Gefahr für die Gesundheit des Kindes und für das spätere Leben verbunden», warnte Ensenauer. Betroffen seien insbesondere Kinder aus Familien mit niedrigerem Sozialstatus.
Für die langfristig angelegte PEACHES-Studie werden von Geburt an ausgewählte Werte («Übergewichts-Marker») im Blut und aus Abstrichen der Wangenschleimhaut bei Kindern gemessen, die einer Überernährung bereits in der Schwangerschaft ausgesetzt waren. Diese werden mit denen von Kindern ohne derartige frühe Einflüsse verglichen. Mit Hilfe dieser Messungen soll festgestellt werden, ob Abweichungen in diesen Markern einen Hinweis auf die spätere Gewichtsentwicklung des Kindes liefern können.
© dpa-infocom, dpa:240129-99-790085/2
Copyright 2024, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten