Das Wort «Gender» ist auf dem Display eines Smartphones zu sehen.
Marijan Murat/dpa
Das Wort «Gender» ist auf dem Display eines Smartphones zu sehen.
Sprache

Krieg der Sternchen - Was steckt hinter dem Genderstreit?

Konservative laufen derart Sturm gegen Sternchen, Unterstriche und Doppelpunkte, das man meinen könnte, es gebe keine anderen Probleme im Land. Dabei wird im Alltag von Behörden kaum gegendert. Die Diskussion treibt nun gar einen Keil in die Koalition.

Rezession. Inflation. Wohlstandsverlust. Klimakrise. Pessimismus. Energiekrise. Rechtsextremismus. Krieg in der Ukraine. Krieg im Gazastreifen. Und, nun auch das noch, der Krieg gegen die Sternchen. Genauer gesagt, gegen Sternchen, Unterstriche und Doppelpunkte. Deutschland debattiert über kaum ein Thema so leidenschaftlich wie über die Geschlechtergerechtigkeit der Sprache - über das Gendern. Sprachverstümmelung, rufen die einen, nun werde den Menschen nicht nur vorgeschrieben, wie sie zu essen und Auto zu fahren hätten, sondern auch noch, wie sie sprechen müssten. Inklusion, Gleichstellung und Wertschätzung, rufen die anderen, und dass Sprache sich eben fortwährend entwickeln müsse.

Kaum irgendwo wird das Gendern derzeit so hitzig debattiert wie im Südwesten. Ein Heidelberger Rechtsanwalt, Klaus Hekking, CDU-Mitglied, ärgerte sich so sehr über die Sternchen, dass er ein Volksbegehren startete und 14.500 Unterschriften im Land sammelte. Damit wollte er ein Gender-Verbot in Behörden und Schulen durchsetzen. Hekking scheiterte mit seinem Antrag - nicht wegen der Rechtschreibung, sondern wegen Formalien.

Die CDU nahm den Ball trotzdem dankend auf - das Innenministerium lud Hekking zum Gespräch, schließlich auch die CDU-Fraktion, um sich mit den Gender-Gegnern zu solidarisieren. Fraktionschef Manuel Hagel sagte, was die Menschen wollten, seien keine Besonderheiten oder Extravaganzen, sondern sie wollten den Status quo. Es gehe um die gesellschaftliche Mitte. Gendern habe das Potenzial, einen weiteren Keil in die Gesellschaft zu treiben. Man spürt schon, da geht es um mehr als um ein Binnen-I.

Nach der Sitzung verkündete Innenminister Thomas Strobl (CDU), dass er nun gegen das Gendern in der Verwaltung vorgehen wolle. Eine Verwaltungsvorschrift soll kommen, die Genderzeichen im Schriftverkehr der Landesbehörden verbieten soll. Schrägstrich, Binnen-I, Doppelpunkt, Unterstreichung, Sternchen, Klammer, sie sind bereits unzulässig in der Rechtssprache, also etwa in Gesetzen und Verordnungen. Man wolle nun sicherstellen, so Strobl, dass das «verbindlich für förmliches Verwaltungshandeln» gilt.

Nun ist so mancher Grüner auf dem Baum wegen des Ansinnens des Koalitionspartners. Nicht Ministerpräsident Winfried Kretschmann - der hält gar nichts vom Gendern, findet sogar Formulierungen wie «Studierende» doof. Fraktionsvize Oliver Hildenbrand aber wirft Strobl am Mittwoch vor, sich von Verbots-Ideologen treiben zu lassen. «Es sind die Gegner*innen einer geschlechtergerechten Sprache, die ständig über das Gendern reden wollen», teilt Hildenbrand mit, Sternchen inklusive. «Einen Gender-Zwang herbeizufantasieren, um ein Gender-Verbot zu fordern - das ist und bleibt absurd.»

Gender-Gegner führen gerne an, dass die Sonderzeichen bestimmten Menschen das Leben schwer machten. Hekking nennt etwa Blinde, Hörgeschädigte und Migranten. Die FDP-Fraktion schreibt am Mittwoch von einer «diskriminierenden Wirkung gegenüber Nichtmuttersprachlern, Legasthenikern und Menschen mit Handicaps». Doch ist das so?

Der Blinden- und Sehbehindertenverein Südbaden sieht Genderzeichen durchaus als problematisch an. Etwa, wenn der Computer Schrift vertont, aber dann den Doppelpunkt nicht als Pause, sondern als «Doppelpunkt» spricht. «Das kann zu Verwirrungen führen», meint der Geschäftsführer des Vereins, Mischa Knebel. Der Blindenverein plädiert deshalb für neutrale Wörter statt Genderzeichen. Aber ein Riesenthema sei das nun auch nicht, so Knebel.

«Niemand wird vom Land zum Genderstern gezwungen», sagt Innenminister Strobl. Zwang? Wo gibt es denn Zwang zum Gendern? Wie groß ist das Problem, dass die Christdemokraten so dringlich bekämpfen wollen? Inwieweit wird im Verwaltungsalltag, in Schulen und Unis überhaupt gegendert? Strobl selbst spricht von Einzelfällen, nennen tut er keine.

Wer sich aufmacht auf die Suche nach Beispielen, wird enttäuscht. Die Schulen orientierten sich am Duden, heißt es aus dem Kultusministerium. «Wir haben eine erhebliche Anzahl junger Menschen, deren Muttersprache nicht deutsch ist. Für diese Kinder ist es schwer genug, sich das Deutsche anzueignen», sagte ein Sprecher am Mittwoch. Das Wissenschaftsministerium kennt auch keine Fälle, wo Genderzeichen an Universitätsprüfungen eine Rolle gespielt hätten.

Selbst das Innenministerium, das der Gendersprache den Kampf ansagt, findet nicht wirklich Beispielfälle. Es gehe aber auch darum, den Anfängen zu wehren, heißt es. Dabei hat das Innenministerium in der Vergangenheit auch schon selbst gegendert, wie in einer Pressemitteilung aus dem Dezember 2020, in der Strobl höchstpersönlich mit «Polizeirabbiner/innen» zitiert wird.

Im Ministerium des eher linken Verkehrsministers Winfried Hermann (Grüne) findet man zumindest eine Empfehlung zum geschlechtersensiblen Sprachgebrauch. Ministerialdirektor Berthold Frieß riet den Beschäftigten bereits im Oktober 2022 in einem Schreiben dazu, den Doppelpunkt («Bürger:innen», «Mitarbeiter:innen») für die Kommunikation im Haus und nach außen zu nutzen. Auf rein männliche Sprachformen und Rollenklischees sollten die Beschäftigten verzichten. «Paradox ist es‚ «gegenderte» Sprache zu verbieten, die niemand vorschreibt - beziehungsweise dagegen anzukämpfen», regt sich Hermann nun über den CDU-Vorstoß auf. Eine «Pseudodebatte» sei das, sagt er.

Muss Hermann bald Dokumente durchflöhen, um Doppelpunkte auszumerzen? Was geschieht, wenn künftig in der Landesverwaltung trotz Verwaltungsvorschrift gegendert wird? Wird es Sanktionen geben? Das sei alles noch unklar, heißt es aus dem Innenministerium. Alle Ministerien müssten sich jedenfalls daran halten. Aber kommt die Vorschrift überhaupt, wenn die Grünen sich bereits jetzt so dagegen aufbäumen? Hekking zumindest will seine Gender-Klage aufrechterhalten, bis das Verbot der Sonderzeichen kommt - damit «Dampf im Kessel» bleibe, sagt er. Das Ziel dürfte er erreichen.

Von Nico Pointner und Stefanie Järkel, dpa
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