Das vor rund einem Jahr eingeführte Chancen-Aufenthaltsrecht für Migranten hat zu erheblichen Veränderungen geführt. Bei der Härtefallkommission in Baden-Württemberg ging die Anzahl der Anträge seitdem deutlich zurück. An die Kommission können sich Menschen wenden, die um eine Aufenthaltserlaubnis kämpfen. «Die Anzahl der Anträge ist in diesem Jahr deutlich zurückgegangen. Dies ist ganz wesentlich auf das Chancen-Aufenthaltsgesetz zurückzuführen», sagte der Vorsitzende der Härtefallkommission, Klaus Pavel.
Er geht davon aus, dass sich die Zahl der Einwendungen bis zum Ende des Jahres auf rund 250 einpendeln wird. Nach Pavels Angaben gab es im vergangenen Jahr 420 Anträge, im Jahr davor 450.
Das neue Chancen-Aufenthaltsrecht gibt Menschen, die sich zum Stichtag 1. Oktober 2022 mindestens fünf Jahre geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland aufgehalten haben, die Möglichkeit, gemeinsam mit ihren Angehörigen für 18 Monate eine Art Aufenthaltserlaubnis auf Probe zu erhalten. Ausgenommen sind Straftäter und Menschen, die zu ihrer Identität wiederholt vorsätzlich falsche Angaben gemacht und dadurch ihre Abschiebung verhindert haben. Am Ende der 18 Monate soll ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen, wer überwiegend selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommt, ausreichende Deutschkenntnisse und eine geklärte Identität vorweisen kann.
Die große Resonanz des am 31. Dezember 2022 in Kraft getretenen Gesetzes war schon Mitte des Jahres ersichtlich. Bereits in den ersten sechs Monaten seit Inkrafttreten der Gesetzesänderung hatten laut einer Umfrage des Mediendienstes Integration mindestens 49 000 Menschen einen entsprechenden Antrag gestellt. Davon wurden rund 17 000 Anträge bereits bewilligt und etwa 2100 Anträge abgelehnt. Tausende Anträge waren zum Zeitpunkt der Umfrage noch in Bearbeitung.
In Baden-Württemberg geht der Vorsitzende der Härtefallkommission davon aus, dass bis zum Ende des Jahres rund 80 Prozent aller Empfehlungen der Kommission vom Justizministerium genehmigt werden. «Die klareren Fälle laufen über das Chancen-Aufenthaltsgesetz. Wir sind jetzt wirklich nur für die schwierigen Fälle zuständig.»
Das Ausländerrecht könne nicht in allen Einzelfällen eine befriedigende Lösung bieten, sagte Staatssekretär Siegfried Lorek. «Für diese Fälle stellt die Härtefallkommission eine Möglichkeit dar, besonderen humanitären Härtefällen Rechnung zu tragen.» Das Ministerium der Justiz und für Migration habe das Ziel, eine hohe Stattgabequote zu erreichen. «In die Abwägung fließt insbesondere mit hoher Gewichtung ein, ob die Personen in Deutschland straffrei geblieben sind», bemerkte Lorek.
Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg erwartet, dass das Justizministerium die Entscheidungen der Härtefallkommission noch stärker als bislang berücksichtigt. «Im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit nehmen sich die Mitglieder der Kommission Zeit, sich intensiv mit den Einzelschicksalen der betroffenen Personen auseinanderzusetzen», sagte Anja Bartel von der Geschäftsstelle des Vereins, am Mittwoch. Auch Straftaten der Betroffenen müssten immer im Kontext der Gesamtbiografie bewertet werden und dürften nicht reflexartig zu einem Ausschluss aus aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten führen.
Die Annahme eines Härtefalls ist in der Regel ausgeschlossen, wenn Straftaten von erheblichem Gewicht begangen wurden oder ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse besteht. Dazu zählt beispielsweise die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wegen einer vorsätzlichen Straftat gegen das Betäubungsmittelgesetz. «Leider hatten wir in diesem Jahr einige Fälle, in den Straftaten im Zusammenhang mit dem Betäubungsmittelgesetz zum Vorschein traten», sagte Pavel. Auch gab es einige Antragsteller, die Körperverletzungen oder Diebstähle begangen hatten.
Die Härtefallkommission kann bei dringenden humanitären oder persönlichen Gründen ein Härtefallersuchen an das Justizministerium richten. Dieses entscheidet dann darüber, ob die jeweilige Behörde angewiesen wird, dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Die zehn Mitglieder der Kommission sind Vertreter der Kirchen, der kommunalen Landesverbände sowie unabhängige Persönlichkeiten.
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