Eine geschlossene Pforte in einer Justizvollzugsanstalt.
Frank Molter/dpa/Symbolbild
Eine geschlossene Pforte in einer Justizvollzugsanstalt.
Strafvollzug

Häftlinge auf der Flucht: Erlass strengerer Vorschriften

Zwei Männer sind auf der Flucht, obwohl sie hinter Gittern sitzen müssten. Der Druck auf das Justizministerium ist gewaltig. Nun gibt es erste Änderungen bei den gesetzlich vorgegebenen Ausführungen.

Nach zwei erfolgreichen Fluchtversuchen von Häftlingen bei sogenannten Ausführungen sind die Vorgaben für die Justizvollzugsanstalten bei den Aufenthalten außerhalb von Gefängnissen verschärft worden. Das Land habe einen entsprechenden Erlass formuliert, teilte das Justizministerium in Stuttgart mit. Bei Ausführungen darf ein Strafgefangener für einige Stunden in Begleitung die Haftanstalt verlassen. Zwei Häftlinge aus Bruchsal und Mannheim hatten dies zuletzt genutzt und waren entkommen.

Bislang hätten die JVA weitgehend in eigener Verantwortung über Details entschieden, sagte eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage. Dies werde sich ab sofort ändern. Künftig werde der Häftling erst kurz vor einer Ausführung zum Beispiel zum Gericht oder zu Arzt informiert, um entsprechende Absprachen auszuschließen. Es würden keine konkreten Orte als Ziele vorgegeben und größere Menschenmengen wie zum Beispiel Weihnachtsmärkte müssten gemieden werden.

Es werde zudem geprüft, ob JVA noch konkretere Vorgaben gemacht werden müssten oder weitere organisatorische oder technische Maßnahmen notwendig seien, hieß es weiter. Auf lange Sicht werde auch die bereits angewandte Telemedizin ausgebaut, um das Risiko von Praxisterminen außerhalb der JVA zu verringern.

Die beiden Fluchten hatten vor allem in den Reihen der baden-württembergischen Oppositionsparteien für scharfe Kritik gesorgt. Die FDP hatte eine Reform der Ausführungspraxis gefordert.

Einer der beiden Flüchtigen, ein 25 Jahre alter Häftling der Justizvollzugsanstalt (JVA) Mannheim, hatte am Donnerstag einen Arztbesuch im Klinikum der Nachbarstadt Ludwigshafen zur Flucht genutzt. Nach Angaben des Ministeriums war er von zwei Bediensteten zum Kieferorthopäden begleitet worden. Als er nach der Behandlung zum Transportauto zurückgebracht wurde, sei er sowohl mit Handfesseln als auch an einen JVA-Mitarbeiter gefesselt gewesen. «In der geöffneten Tür des Fahrzeugs ist die Fesselung an den Bediensteten gelöst worden, damit der Gefangene in das Fahrzeug einsteigen konnte», teilte das Ministerium weiter mit.

Ein entscheidender Moment: Der 25 Jahre alte Häftling riss sich laut Ministerium los, zeitgleich näherte sich - wohl nicht erkennbar - von hinten ein vermummter Kumpan auf einem Motorroller, richtete eine Schusswaffe aus geringer Entfernung auf den Beamten und schoss in die Luft. Die beiden Bediensteten seien nicht bewaffnet gewesen, sagte die Ministeriumssprecherin. Der Gefangene sei seit Juli 2021 bereits insgesamt 25 Mal zu Arzt-, Klinik- und Gerichtsterminen ausgeführt worden, nie habe es Vorkommnisse gegeben.

Der Häftling war im Oktober 2022 vom Landgericht Mannheim unter anderem wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung und räuberischer Erpressung zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Es ist die zweite Flucht eines Häftlings aus Baden-Württemberg in Rheinland-Pfalz innerhalb weniger Wochen. Ein Gefangener der JVA Bruchsal war am 30. Oktober bei einem bewachten Ausflug an einen Baggersee in Germersheim entkommen und hatte dabei seine Fußfessel mithilfe eines Werkzeugs geknackt. Er war 2012 vom Landgericht Karlsruhe zu lebenslanger Haft verurteilt worden, weil er einen Mann erwürgt hatte. Auch dieser Mann befindet sich weiter auf der Flucht.

Insgesamt sind in Baden-Württemberg nach Angaben des Ministeriums allein im ablaufenden Jahr rund 9000 Aus- und Vorführungen organisiert worden, dazu zählen unter anderem Arzt-, aber auch Gerichtstermine. Deutlich geringer ist die Zahl von Ausführungen «zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit» wie dem Ausflug des Bruchsaler Häftlings mit seiner Familie an den Baggersee. Diese Ausführungen sind gesetzlich vorgegeben. «Es ist unumgänglich, dass die Justizvollzugsanstalten diese grundsätzlich durchführen», sagte eine Ministeriumssprecherin.

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