Vor Gericht schweigt der mutmaßliche Täter des Brandanschlags auf die Synagoge in Ulm. Beim Psychiater hatte er sich jedoch dazu geäußert. Der 47 Jahre alte Angeklagte habe angegeben, dass er mit der Tat auf das Leid der Palästinenser in der Auseinandersetzung mit Israel aufmerksam machen wollte, sagte der Sachverständige am Donnerstag, dem ersten Verhandlungstag. Er habe besonders das Leid der Kinder im Blick gehabt. Der Mann habe erklärt, dass er ein Zeichen setzen wollte. «Wenn die anderen nichts machen, mache ich selber etwas», soll der Angeklagte dem Sachverständigen zufolge gesagt haben.
Der Türke muss sich wegen versuchter schwerer Brandstiftung und gemeinschädlicher Sachbeschädigung vor dem Landgericht verantworten. Der Staatsanwalt sagte, der Angeklagte habe aus mutmaßlich antisemitischen Motiven im Juni 2021 eineinhalb bis zwei Liter Benzin an der südlichen Gebäudewand auf mehreren Metern verschüttet und dann mit einem Feuerzeug angezündet. Ziel sei gewesen, dass das Feuer wesentliche Teile der Synagoge erfasse.
Die Flammen erreichten kurzfristig eine Höhe von bis zu zwei Metern. Sie gingen weitgehend von alleine aus. Passanten informierten die Feuerwehr. Ein Polizist konnte den Brand mit einem Feuerlöscher endgültig löschen. In dem Gebäude waren zur Tatzeit keine Menschen. An der Fassade entstanden vier Brandflecken, Ruß verunreinigte das «Israelfenster» der Synagoge, wie der Staatsanwalt weiter sagte. Es entstand ein Schaden in Höhe von mehreren Tausend Euro.
Der Anwalt des Mannes sagte, die Anklage sei viel zu hoch gehängt worden. Der 47-Jährige sei ein «fehlgeleiteter Idealist». Er habe ohne politische Ansprüche gehandelt. Es seien lediglich die Mauer und ein Fenster verrußt worden. «Mehr war nicht. Das Vorgehen war ungeeignet, ein Gebäude zu zerstören.» Der Vorwurf der versuchten schweren Brandstiftung sei absurd.
Die Tat wurde von Augenzeugen beobachtet. Ein älterer Herr, der während des mutmaßlichen Brandanschlags im Auto saß, wunderte sich über die nassen Flecken an der Gebäudewand. Er dachte zunächst, hier hätten Wildpinkler ihr Unwesen getrieben. Erst später sah er die Flammen. Ein anderer Senior berichtete, dass das Feuer von selbst ausging. Der Vorfall ereignete sich an einem Samstag um kurz nach 8.00 Uhr. Nach Aussagen der Zeugen entfernte sich der mutmaßliche Täter nach der Legung des Feuers schnell wieder. Er fuhr nach Angaben des Psychiaters dann zurück in seine Wohnung und dachte, er werde bald von der Polizei festgenommen.
Nach dem Mann war nach der Tat öffentlich mit Bildern gefahndet worden. Er war laut Stuttgarter Staatsanwaltschaft zunächst in sein Heimatland geflüchtet.
Der Mann habe Deutschland nicht verlassen wollen, sagte der Sachverständige vor Gericht. Seine Freundin habe ihn dazu aufgefordert. Sie habe auch das Flugticket im Internet für die Türkei besorgt.
Weil das Land wie Deutschland eigene Staatsbürger nicht ausliefert, waren die rechtlichen Mittel der Ermittler zur Strafverfolgung zunächst ausgeschöpft. Doch als der Verdächtige Anfang Juli 2023 über den Stuttgarter Flughafen wieder nach Deutschland einreiste, wurde er festgenommen. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Vor der Tat lebte er nach Erkenntnissen der Ermittler in Ulm.
Politiker hatten den Anschlag verurteilt und einen besseren Schutz jüdischer Einrichtungen angekündigt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte den Angriff als «niederträchtig» verurteilt. Der Landtag hatte eine Resolution gegen Judenhass und Ausgrenzung verabschiedet.
Angesetzt für den Prozess sind vier Verhandlungstermine, ein Urteil könnte Ende Januar fallen.
Im Zuge des Kriegs im Gaza-Streifen hatte es in den vergangenen Wochen auch in Deutschland verstärkt antiisraelische Kundgebungen gegeben. Der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume sagte: «Die Hamas emotionalisiert und polarisiert mit ihrer Terrorpropaganda gezielt die freie Welt, spricht tiefsitzenden Antisemitismus an.» Er sei dankbar, dass ihre Gewaltaufrufe bisher in Baden-Württemberg gescheitert seien, rate jedoch weiterhin zu Wachsamkeit und klarer Haltung gegen Hass und Hetze.
Von Oliver Schmale, dpa
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